Ein Schritt zurück?
Im Dezember 2014 stellte der Vatikan einen Katalog von 46 Fragen zur Ehe- und Familienpastoral vor. Gemeinsam mit dem Abschlussdokument der Familiensynode bildete er die "Lineamenta", das Planungspapier für das zweite Bischofstreffen in diesem Herbst. Schon damals zeichnete sich ab, dass der zweite Fragebogen, zu dessen Beantwortung zuerst der Vatikan und dann Anfang des Jahres auch die Deutsche Bischofskonferenz aufgerufen hatte, deutlich weniger Resonanz hervorrufen würde als sein Vorgänger. Vielleicht, weil "das erste Mal" immer etwas Besonderes ist, auch bei einer Umfrage unter den Gläubigen. Vielleicht aber auch, weil der neue Katalog für eben diese Gläubigen schlichtweg eine Überforderung darstellen würde.
Wirft man einen Blick hinein, bewahrheitet sich die Vermutung. Unter Punkt 6 soll den Herausforderungen für die Seelsorge auf den Grund gegangen werden. Dort heißt es: "Welche Vorgehensweisen werden gewählt, um das 'Verlangen nach Familie' hervorzurufen und wertzuschätzen, das vom Schöpfer in das Herz jedes Menschen gesät wurde und besonders bei den Jugendlichen vorhanden ist, auch bei denen, die in einer Familiensituation leben, welche nicht der christlichen Sicht entspricht?" Die Fragestellung ist zu detailliert, die Sätze sind zu verschachtelt und die Formulierungen zu weit entfernt von der Lebenswirklichkeit der Menschen. Dieses Muster zieht sich durch den gesamten Fragebogen – und hat die Gläubigen verunsichert und geärgert.
Bistum Erfurt: Anliegen des Fragebogens ins Gegenteil verkehrt
"Leider wird durch die komplizierte Sprache das Anliegen zerstört und ins Gegenteil verkehrt", fasst das Bistum Erfurt die Kritik zusammen. In einem in der vergangenen Woche veröffentlichten Schreiben an die Bischofskonferenz nimmt es als erste Diözese Stellung zum vatikanischen Fragebogen. Und die anderen ziehen mittlerweile nach. In Magdeburg kritisiert man den knappen Zeitrahmen für die Beantwortung und die "nicht nachvollziehbaren kirchlichen Aussagen", in Rottenburg-Stuttgart wird die Sprache als "belehrend und weltfremd" wahrgenommen und in Berlin beschwert man sich über suggestive Fragen. Die Gläubigen im Bistum Essen gehen sogar noch einen Schritt weiter und werfen dem Vatikan vor, dass der schwer verständliche Sprachstil Anlass gegeben hätte, "die gute Absicht einer breiten Befragung in Frage zu stellen".
Die Kritik der Katholiken am Fragebogen lässt sich auch in Zahlen messen: In Essen wurde der Katalog von 35 Personen teilweise und von 14 komplett beantwortet. In Erfurt waren es knapp 20 Einzelpersonen, einige Paare und drei Familienkreise. Das Bistum Magdeburg verzeichnete sogar nur 18 Rückmeldungen insgesamt. Und auch in Berlin, wo es immerhin noch 70 schriftliche Rückmeldungen gab, ist die Beteiligung im Vergleich zum Vorjahr eher gering. Denn da waren es noch knapp 500 Einsendungen.
Besser lief es dagegen im Bistum Dresden-Meißen. Nicht ohne Grund. Denn hier hat Familienreferentin Claudia Leide den Fragebogen für die Gläubigen ihrer Diözese "überarbeitet" und eine vereinfachte Version ins Internet gestellt. Rund 160 Rückmeldungen seien eingegangen; nur 20 davon auf den originalen Fragebogen, der neben Leides Neufassung ebenfalls zur Verfügung stand. "Das sind ziemlich viele Antworten für ein so kleines Bistum", freut sich die Familienreferentin. Im Nachhinein ist sie froh, diesen Weg gewählt zu haben, der wohl für viele "einladender und ansprechender" gewesen sei.
Die Ehe als Symbol für Sicherheit, Urvertrauen – und als Stärkung in Krisenzeiten
Sieht man von der heftigen Kritik an der Form des Fragebogens ab, ist auffälig, dass sich viele Gläubige mehr Unterstützung seitens der Kirche wünschen. Leide benennt drei inhaltliche Schwerpunkte der Rückmeldungen: Der erste drehe sich um das breite Feld Krankheit und Pflege, das vor allem die Gläubigen über 50 beschäftige und in der Kirchengemeinde vor Ort kaum eine Rolle spiele. Als zweites wünschten sich die Befragten eine besser aufgestellte Ehevorbereitung. Eine positive Vermittlung von Ehe, gerade Jugendlichen gegenüber, sollte seitens der Kirche noch stärker stattfinden, heiße es in den Rückmeldungen. Dabei gebe es durchaus gelebte Beispiele für das, "was das Sakrament der Ehe bewirken kann", sagt Leide und verweist auf zahlreiche Antworten. Die Ehe als Symbol für Sicherheit, Urvertrauen – und als Stärkung in Krisenzeiten.
Womit der dritte und vielleicht schwierigste Punkt erreicht ist: die Ehekrisen. Die sind nicht nur für die Gläubigen im Bistum Dresden-Meißen ein Thema, sondern für den Großteil der deutschen Katholiken. Kirchliche Äußerungen zu christlicher Ehe und Familie seien meist "zu idealisiert" heißt es aus Magdeburg. Das sieht die Familienreferentin ähnlich. Deshalb bedürfe es einer besseren Ehebegleitung in den ersten Jahren und eines generellen Ausbaus der Beratung. "Orientierung und Unterstützung im Blick auf das Gelingen von Partnerschaft sind durchaus erwünscht, aber bitte ohne moralische Keule", zitiert sie eine deutliche Antwort. Viel Wert legten die Gläubigen unter anderem auf Familienkreise, in denen man sich über Probleme austauschen könne.
Doch was, wenn eine Ehe trotz aller Bemühungen nicht mehr zu retten ist? Auch hier ist die Position der Gläubigen klar. Die Kirche "muss wieder eine barmherzige, zuhörende, zugewandte Kirche werden, die Schwache und Verletzte nicht ausschließt", formuliert das Bistum Essen in seinem Schreiben an die Bischofskonferenz. Und Diskussionen über einen Sakramentenempfang wiederverheirateter Geschiedener dürften nicht aus der "Perspektive einer kirchenrechtlichen Sanktion", sondern müssten aus einer "Perspektive des Heilens" geführt werden. Auch bei Claudia Leide sind diese Antworten immer wieder auf dem Schreibtisch gelandet. Sie liest vor: "Wir dürfen den Wiederverheirateten doch nicht verweigern, was als Katholik ihre größte Kraftquelle ist."
Ob das mantraartige Wiederholen dieser Forderungen am Ende einen Einfluss auf die Familiensynode haben wird, bleibt abzuwarten. Viele Gläubige beurteilen den zweiten Fragebogen des Vatikans jedoch als Rückschritt. Ihre Lebenswirklichkeit und die damit verbundene Vision einer Kirche von morgen käme nicht mehr darin vor, urteilen die Berliner Katholiken. In erster Linie werde danach gefragt, "wie die Lehre der Kirche attraktiver verkündet werden kann". Eine Antwort darauf müssen nun die Bischöfe geben.
Von Björn Odendahl