Alina Rafaela Oehler über Familienplanung und das kirchliche Frauenbild

Sehe ich aus wie Maria?

Veröffentlicht am 24.09.2015 um 00:01 Uhr – Von Alina Rafaela Oehler – Lesedauer: 
Familiensynode

Bonn ‐ Wenn die Theologiestudierende Alina Rafaela Oehler daran denkt, wie sie später Familie und Beruf miteinander vereinbaren soll, sieht sie Probleme auf sich zu kommen. Auch von der Kirche fühlt sie sich in dieser Frage allein gelassen.

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Nirgends hat die katholische Kirche ihre Rolle als moralische Instanz so hoffnungslos verloren wie bei der  Familienplanung. Wer lebt in Deutschland nach katholischen Idealvorstellungen? Die "natürliche Verhütung" ist kaum verbreitet, der Kinderreichtum hält sich in Grenzen. Abtreibungen sind gesellschaftlich akzeptiert. Eine Niederlage für die Kirche in allen Punkten. Dabei könnte sie sich an die Spitze des Fortschritts setzen.

Das kirchliche Interesse am Thema "Familienplanung" richtet sich vor allem auf das Schlafzimmer der Eheleute: Die Kirche spricht über die richtige Verhütungspraxis. Oder es gilt der Schwangerschaft. Kirche möchte Abtreibungen verhindern. Die wirkliche Familienplanung bleibt außen vor. Etwa im Blick auf Sorgen, Nöte und Probleme vor der Entscheidung für ein Kind oder vor der Geburt. Ich kenne nur wenige Beispiele, wo die Kirche wirkliche Hilfen bietet. Das finde ich schade. Für Frauen liegen hier Lebensentscheidungen. Da erhoffe ich von einer sinnstiftenden Institution mehr als Beistand im seelsorgerischen Gespräch. Gerade dann, wenn die "Offenheit für Kinder" in ihrem Eheverständnis so eine große Rolle spielt.

Die Ehe - mehr als eine formal geschlossene Partnerschaft

Denn die Ehe ist für die katholische Kirche mehr als eine formal geschlossene Partnerschaft. Das Eheversprechen ist der Beginn einer neuen Familie, in der die christlichen Vorstellungen weitergegeben und Gottes Liebe lebendig werden soll. Ehe und Familie haben für die Kirche einen hohen Wert. Eigentlich stellt das die besten Voraussetzungen bereit, um auf dem Markt der Orientierungssuchenden ein gefragter Ansprechpartner für die zu sein, die sich nach Familie sehnen und Kinder bekommen wollen.

Bild: ©milazvereva/Fotolia.com

Für Alina Rafaela Oehler bleibt die wirkliche "Familienplanung" bei der Kirche oft außen vor - vor allem mit Blick auf die Sorgen, Nöte und Probleme, die vor einer Geburt oder der Entscheidung für ein Kind stehen.

Doch ich fühle mich von meiner Kirche nicht ermutigt, sondern unverstanden – als Frau, die berufliche Ambitionen entwickelt. Dabei hat die Kirche doch die theologischen Grundlagen für ein glückliches Frauen- und Familienleben parat. Sie hat diese Grundlagen nur nicht für unsere Zeit ausformuliert. Besonders deutlich wird das für mich bei der Frage nach dem Zeitpunkt für die Familiengründung. Denn für junge, ehrgeizige Frauen in Deutschland liegt darin im Moment ein großes Problem. Keine Lebensphase scheint dafür gemacht, wenn wir außerdem noch im Beruf vorankommen wollen.

Glauben wir Biologen und Medizinern, läge der richtige Zeitpunkt für Kinder in unseren Zwanzigerjahren. Der Körper ist vorbereitet. Die Chancen auf ein gesundes Kind und eine risikoarme Schwangerschaft liegen so hoch wie nie mehr. Doch wir wagen gerade die ersten Schritte in Studium oder Beruf und haben unseren Partner vielleicht noch nicht gefunden. Auch die Finanzen machen Sorgen. Das Elterngeld bemisst sich am Gehalt. Das ist zu diesem Zeitpunkt bescheiden oder nicht vorhanden. Also zögern wir.

Wann ist der richtige Zeitpunkt?

Die Wirtschaftswelt unterstützt uns darin. Wir können beispielsweise unsere Eizellen einfrieren lassen und den "richtigen Zeitpunkt" damit in die Zukunft verschieben. Konzerne wie Facebook haben diesen Service zur Arbeitgeberleistung erklärt, denn sie wissen: Frauen ohne Familie haben mehr Zeit. Viele junge Frauen wollen aber nicht erst als Rentnerin erleben, dass ihre Kinder Abitur machen, und sie möchten kein erhöhtes Risiko einer Schwangerschaft ab 40 eingehen. So geht es auch mir. Für die Wirtschaft und meine Karriere ist es also am besten, wenn ich keine Kinder bekomme oder wenn ich der Elternteil bin, der sich nicht um sie kümmern muss. Ich soll ohne Einschränkungen funktionieren und planbar sein wie der nächste Jahresgewinn.

Themenseite: Familiensynode

Vom 4. bis 25. Oktober 2015 trifft die XIV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode unter dem Thema "Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute" in Rom zusammen. Die Themenseite bündelt die Berichterstattung von katholisch.de zur Synode.

Wenn ich an meine berufliche Zukunft denke, fühle ich mich also gefangen in einem System, das auf einem übertriebenen Funktionalismus aufbaut. Er legt mir nahe, dass Kinder am unproblematischsten sind, wenn sie im Job unsichtbar werden. Es ist ein System, das vielleicht gar nicht zu uns Frauen mit Kinderwunsch passt, denn es baut auf einen starken Egalitarismus, der keinen Unterschied machen will zwischen Mann und Frau. Ein Gedanke, der mir einerseits gefällt, denn er ist das Grundprinzip aller Gleichberechtigung. Doch die Andersartigkeit einfach glattzubügeln funktioniert spätestens dann nicht mehr, wenn wir Frauen schwanger werden. Das wurde mir schmerzlich bewusst, als ich sah, wie Frauen in meinem Umfeld an der Vereinbarkeit von Kind und Karriere scheiterten.

Fremdbetreuung also statt Mutterglück? Diese Wahl möchte ich nicht treffen. Ich will mich beruflich verwirklichen, aber später auch für meine Kinder da sein können. Viele ältere Frauen lächeln mich müde an, wenn ich das sage. Sie sind in Teilzeitjobs ohne Aufstiegschancen gestrandet oder haben den Weg zurück in den Beruf gar nicht mehr gefunden. Für sie bin ich eine Träumerin. Kirchenmänner lächeln milde und schwärmen mir von "Muttergefühlen" vor, die allein glücklich machen sollen. Doch Kinder, Küche, Kirche ist für mich nun wirklich keine Option. Warum sollte ich dann studieren? Und wer bezahlt mir meine Altersvorsorge?

Genau an dieser Stelle der scheinbar ausweglosen Überlegungen, die im Kopf einer studierenden Mittzwanzigerin ablaufen, kommt für mich die Kirche ins Spiel. Sie hätte eine so wichtige Gegenstimme zu vertreten. Doch sie beschränkt sich auf Schwärmereien von angeblichem Mutterglück. Ich finde das zu wenig. Die katholische Kirche sollte stattdessen heraustellen, dass die Unterschiedlichkeit der Geschlechter etwas Gutes ist und die gegenseitige Ergänzung von Mann und Frau mit ihren jeweiligen Besonderheiten ein Teil der Schöpfung. Ich wünschte mir, die Kirche machte deutlich, dass in der natürlichen, unterschiedlichen Geschöpflichkeit auch ein tieferer Sinn liegt.

Eröffnungs-Gottesdienst zur Familien-Synode
Bild: ©KNA

Alina Rafaela Oehler wünscht sich eine Kirche, die auf die Lebenswirklichkeit der Frauen eingeht und sie als moderne Frau und Mutter nicht nur akzeptiert, sondern ihre beruflichen Ambitionen und ihre intellektuelle Stärke auch wertschätzt.

Ich würde mich freuen, wenn die Kirche sich bereits um die Familie sorgen würde, wenn diese noch geplant wird. Junge Paare könnten von einer Kirche profitieren, die ihnen nicht in erster Linie als Instanz begegnet, die ihnen vorschreibt, wie "verantwortete Elternschaft", also Verhütung, dem Evangelium gemäß auszusehen hat. Das tun die meisten Seelsorger ohnehin schon nicht mehr. Nein, die jungen Paare könnten von einer Kirche profitieren, die ihren Kinderwunsch und ihre Wohnungssuche unterstützt, vielleicht auch finanziell; egal, wann sie dahin gelangen.

Die Kirche sollte auf die Lebenswirklichkeit der Frauen eingehen

Sie könnten also von einer Kirche profitieren, die junge Frauen ermutigt, dass der Zeitpunkt für Kinder der richtige ist, an dem sie feststellen, dass sie schwanger sind - und die die Frauen darin bestärkt, dass sie keine Rabenmütter sind, wenn sie sich auch beruflich weiterentwickeln wollen. Eine Kirche also, die auf die Lebenswirklichkeit der Frauen eingeht. Die sie als moderne Frauen und Mütter nicht nur akzeptiert, sondern ihre beruflichen Ambitionen und ihre intellektuelle Stärke wertschätzt. Kurz: Ich wünsche mir eine Kirche, die ihre Stimme erhebt, um ein familien- und damit vor allem frauenfreundlicheres Wirtschaftssystem einzufordern, und die als Arbeitgeberin vorlebt, wie ein familienfreundliches Berufsleben aussehen kann.

Das Arbeitsdokument der bevorstehenden Familiensynode hat diese Themen im Blick. Als ich es las, überraschte mich ein Satz: "Vielfach ist in der Tat das Frausein Grund für Diskriminierung, und auch das Geschenk der Mutterschaft führt oft eher zu Nachteilen, als dass es wertgeschätzt wird." Eine treffende Diagnose! Ich würde mir wünschen, dass sie Konsequenzen nach sich zieht. Ein ermutigendes neues Mutter- und Frauenbild der katholischen Kirche könnte Vorreiter sein gegen den gesellschaftlichen Trend eines funktionalistischen Egalitarismus, der uns Frauen das Gefühl gibt, dass unsere Gebärfähigkeit unsere Karriere zu stören droht. Damit würde die Kirche mehr Herzen gewinnen, als wenn sie verschämt über "natürliche Verhütung" mit Thermometer und Kalender spricht.

Und ich würde mich freuen, wenn daraus eine politische Agenda erwüchse, die Gesellschaft und Wirtschaft aufforderte, sich an den Unterschieden zu orientieren. Für mich wäre das die Voraussetzung für eine wahre Gleichberechtigung. Die Theologie legt dafür alles bereit: Die Rolle der Mutter, der Lebensrhythmus der Frau wird als wertvoll anerkannt, und in einer Ehe ist kein Partner trotz der natürlichen Andersartigkeit mehr oder weniger wert als der andere. Würde die Kirche dieses Thema besetzen, sie hätte viel mehr Ansehen.

Keine Pöbeleien gegen die "Gender-Ideologie"!

Deshalb ärgert es mich, wenn manche Christen unreflektiert gegen die "Gender-Ideologie" pöbeln und gleichzeitig ein Mutterideal vertreten, dass geradezu direkt bei der Muttergottes beginnt. Es lässt Frauen entweder an der Unerreichbarkeit des Ideals verzweifeln oder es stößt sie von vornherein ab. Der katholischen Kirche fehlt ein modernes Mutterbild. Kirchenmänner verweisen in Gesprächen gern auf das Apostolische Schreiben Johannes Pauls II. "Mulieris dignitatem" (Für die Würde der Frau) aus dem Jahr 1988. Ich habe es mir ausgedruckt. Auf knapp 40 Seiten entfaltet Johannes Paul II. in theologisch schöner Sprache ein kirchliches Bild der Frau als Jungfrau, Mutter und Braut. Ich las das Schreiben und stimmte oft zu. Doch ich fand mich darin nicht wieder. Am Ende dankt der polnische Papst im Namen der Kirche den Frauen für ihre Verdienste.

Bemerkenswert: Zwischen Frauen im Beruf und in der Familie steht ein Semikolon. In der Wirklichkeit findet sich diese Trennung längst nicht mehr. Für mich ist das der springende Punkt. Die Kirche könnte so viel gewinnen, würde sie die neue Realität anerkennen und ihr Mutter- und Frauenbild erweitern. Es ist Zeit für ein neues Verständnis der Rolle der Frau – und für Aktionen, die Frauen unterstützen, die ihr Muttersein genauso leben wollen wie ihren beruflichen Erfolg.

Die Autorin

Alina Rafaela Oehler (*1991) studiert Katholische Theologie, Politikwissenschaft und Philosophie, bislang in Tübingen, ab Oktober in Rom.
Von Alina Rafaela Oehler