Mainzer Oberhirte predigt bei Jahresgedächtnis für Vorgänger Lehmann

Bischof Kohlgraf: Kirche muss vor Gott "neu erzittern"

Veröffentlicht am 18.03.2019 um 09:36 Uhr – Lesedauer: 

Mainz ‐ Die Kirche habe sich durch ihr Verhalten unglaubwürdig gemacht und müsse nun "eine Zeit der scheinbaren Gottferne aushalten": Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf spricht deutliche Worte zur derzeitigen Krise.

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Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat die Kirche dazu aufgerufen, sich neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zu verschließen. "Wenn Glaube vernünftig sein will, darf er sich dem Gespräch mit den Wissenschaften heute nicht entziehen", sagte Kohlgraf am Sonntag bei einem Gottesdienst in Mainz. "Wenn wir in den vergangenen Monaten, Wochen und Tagen in der Bischofskonferenz über Themen wie 'Priesterliche Lebensform', 'Macht und Machtbeschränkung' sowie 'Sexualmoral' nachgedacht haben, haben manche auch gespürt, dass wir an den Ergebnissen moderner Wissenschaften nicht vorbeikommen, wenn wir nach Antworten suchen."

Glaube meine nicht, "ein totes Glaubensgut zu besitzen, das in einem Tresor von neuen Erkenntnissen unberührt lagert und von Generation zu Generation weitergereicht wird". Sonst gehörte Glauben "ins Museum". Ein Glaube ohne Bewegung sei Ideologie. Kohlgraf gedachte bei dem Gottesdienst seines Vorgängers, Kardinal Karl Lehmann, der vor rund einem Jahr am 11. März 2018 gestorben war. Lehmann stehe für eine weltoffene und menschenfreundliche Theologie, die sich neuen Einsichten nicht verschließe.

"Eine große unheimliche Angst"

Glaube könne "auch Strecken der Angst" beinhalten. Im Moment erlebe die Kirche "eine große unheimliche Angst, eine tiefe Nacht", betonte Kohlgraf mit Blick auf den Missbrauchsskandal. "Wir haben in der Kirche durch unser Verhalten ein Reden über einen liebenden Gott so unglaubwürdig gemacht." Vielleicht müsse die Kirche deshalb "eine Zeit der scheinbaren Gottferne aushalten". Im Moment bleibe es der Kirche nicht erspart, "vor Gott neu zu erzittern, seinem Anspruch, seiner Gegenwart im Dunkel".

"Gott ist nicht harmlos", betonte Kohlgraf. "Er ist die Liebe, aber nicht 'lieb' in unserem umgangssprachlichen Sinne." Deswegen sei es nicht harmlos, von Gott zu sprechen. Wenn das Reden über Gott aber dazu diene, die eigene Macht zu sichern, sei dies "eine der schlimmsten und gefährlichsten Formen des Atheismus". Gott werde dann zum Instrument.

Kohlgrafs Vorgänger Lehmann war von 1983 bis 2016 Bischof von Mainz. Von 1987 bis 2008 war er zudem Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. 2001 wurde Lehmann von Papst Johannes Paul II. zum Kardinal erhoben. (tmg/KNA)