Bischofstreffen in schwieriger Zeit
Lingen ist offenbar der Ort für die schwierigen Themen. Als die deutschen Bischöfe vor 20 Jahren, im Februar 1999, erstmals zu einer Frühjahrsvollversammlung in der emsländischen Stadt zusammenkamen, befand sich die katholische Kirche gerade auf dem Höhepunkt der jahrelangen Auseinandersetzung um die Schwangerenkonfliktberatung. Die von Papst Johannes Paul II. (1978-2005) erhobene Forderung, schwangeren Frauen in katholischen Einrichtungen keine für eine Abtreibung erforderlichen Beratungsscheine mehr auszustellen, und die daraus resultierenden innerkirchlichen Verwerfungen dominierten die Vollversammlung und machten das Treffen für die Bischöfe zu einem harten Stück Arbeit.
Es ist davon auszugehen, dass auch die an diesem Montag in Lingen beginnende Vollversammlung für die 66 teilnehmenden Mitglieder der Bischofskonferenz kein einfaches Treffen wird. Ein halbes Jahr nach der Vorstellung der Studie zum sexuellen Missbrauch an Minderjährigen in der katholischen Kirche in Deutschland und zwei Wochen nach dem Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan werden der Missbrauchsskandal und der daraus resultierende Vertrauensverlust auch bei den Beratungen im Ludwig-Windthorst-Haus im Mittelpunkt stehen.
Stichwort: Deutsche Bischofskonferenz
Die Deutsche Bischofskonferenz ist der Zusammenschluss aller katholischen Bischöfe in Deutschland. Aufgabe der Konferenz sind das Studium und die Förderung gemeinsamer pastoraler Aufgaben, die gegenseitige Beratung, die notwendige Koordinierung der kirchlichen Arbeit, der gemeinsame Erlass von Entscheidungen sowie die Pflege von Verbindungen zu anderen Bischofskonferenzen. Oberstes Organ der Bischofskonferenz ist die zweimal jährlich tagende Vollversammlung. Weitere Organe sind der Ständige Rat, in dem jede Diözese durch den Bischof mit Sitz und Stimme vertreten ist, der Vorsitzende und die Bischöflichen Kommissionen.Das Problem: Die öffentliche Meinung könnte für die katholische Kirche in Deutschland derzeit kaum schlechter sein. Nach dem vor allem in den Medien überwiegend negativ beurteilten Gipfel im Vatikan und der kurz danach aufgeflammten Debatte um den wegen Missbrauchs verurteilten australischen Kardinal George Pell steht die Kirche auch hierzulande erneut massiv unter Druck. Spätestens seit die "Bild"-Zeitung vor gut einer Woche damit begonnen hat, in einer ganzen Reihe von Artikeln und mit allen Mitteln des Boulevards über den kirchlichen Missbrauchsskandal zu berichten, dürfen die Bischöfe kein Wohlwollen erwarten.
Auch kirchentreue Katholiken erwarten von den Bischöfen weitere konkrete Schritte
Die Vollversammlung unter Leitung von Kardinal Reinhard Marx steht also – trotz zahlreicher bereits ergriffener Aufarbeitungs- und Präventionsmaßnahmen in den vergangenen Jahren – vor der Herausforderung, liefern zu müssen. Ein bloßes "Weiter so" ohne greifbare Ergebnisse können sich die Bischöfe nicht leisten. Mit Blick auf die weitere Aufarbeitung der Missbrauchsfälle der vergangenen Jahrzehnte, den Umgang mit Opfern und Tätern sowie notwendige Präventionsmaßnahmen erwarten auch kirchentreue Katholiken an der Basis von dem Treffen weitere konkrete Schritte.
Was für Schritte dies möglicherweise seien könnten, zeigt ein Blick in einzelne Bistümer, die unter dem Eindruck des vatikanischen Gipfels bereits aktiv geworden sind. So stärkte etwa der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst unmittelbar nach dem Gipfel die Unabhängigkeit der bistumseigenen Missbrauchskommission. Künftig sind dort nur noch die ehrenamtlichen und nicht vom Bischof abhängigen Mitglieder stimmberechtigt. Außerdem schlug Fürst vor, einen unabhängigen Gerichtshof aller Diözesen für den Umgang mit Missbrauchsfällen einzurichten. Er werde sich auf der Vollversammlung dafür einsetzen, "hierfür übergeordnete Strukturen zu schaffen", so Fürst in einem Brief an die Mitarbeiter seines Bistums.
Das Bistum Osnabrück, das die Vollversammlung als Gastgeber ausrichtet, verschärfte wenige Tage später sein Konzept gegen sexuellen Missbrauch. Das von Bischof Franz-Josef Bode vorgestellte Maßnahmenpaket umfasst die Handlungsfelder Prävention, Intervention, Hilfe für Betroffene, Umgang mit Beschuldigten und Sanktionierung von Tätern sowie die Klärung kircheninterner systemischer Grundsatzfragen. Für alle fünf Felder seien Gremien mit internen und externen Experten eingerichtet worden. Das Konzept schlage "eine Schneise ins bisherige System" und solle auch der "berechtigten Ungeduld" vieler Menschen sowie ihrem "Schrei nach Konkretisierung" im Nachgang Rechnung tragen, so Bode. Einen Tag später kündigte das Bistum zudem an, Priestern, denen Missbrauch nachgewiesen worden sei, das Gehalt zu kürzen.
Die Kirche ist in Sachen Aufarbeitung und Prävention weiter auf dem Weg
Zuletzt erließ schließlich vor wenigen Tagen das Bistum Passau einen neuen Verhaltenskodex für seine haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter. Die im Auftrag von Bischof Stefan Oster verfassten Regeln sollen ein achtsames Miteinander mit Minderjährigen sicherstellen und Grenzverletzungen, sexuelle Übergriffe und Missbrauch in der kirchlichen Arbeit verhindern.
Auch wenn die jüngsten Aktivitäten der einzelnen Bistümer – die es so oder ähnlich auch in anderen Diözesen gibt – weitgehend unkoordiniert und in ihrer inhaltlichen Stoßrichtung nicht einheitlich sind, wird deutlich: Die Kirche in Deutschland ist in Sachen Aufarbeitung und Prävention weiter auf dem Weg. Bei der Vollversammlung in Lingen muss sich nun zeigen, ob und in welcher Form sich die Bischöfe bei zentralen Fragen auf bundesweit einheitliche Standards einigen können.
Nach Missbrauchsskandal: Umfrage zeigt Vertrauensverlust in Kirche
Schlechte Noten für die katholische Kirche: Eine aktuelle Umfrage offenbart einen deutlichen Vertrauensverlust in die Kirche. Eine große Mehrheit der Befragten sieht durch den Missbrauchsskandal einen "langfristigen Schaden".Erheblich schwieriger dürften für die Bischöfe die zuletzt auch in der Öffentlichkeit immer lauter gestellten "systemischen Fragen" zu beantworten seien. Dabei geht es um Grundsätzliches, etwa die zölibatäre Lebensform, die katholische Sexualmoral und – unter dem allgegenwärtigen Schlagwort Klerikalismus – um Fragen nach Macht und Partizipation. Der Ständige Rat der 27 Diözesanbischöfe hatte Ende Januar Arbeitsgruppen zu diesen Themen eingesetzt und auch in Lingen werden die "systemischen Fragen" natürlich Thema sein – etwa bei einem Studientag unter dem etwas verklausulierten Titel "Die Frage nach der Zäsur. Studientag zu übergreifenden Fragen, die sich gegenwärtig stellen".
Weiteres Thema der Versammlung: Frauen in kirchlichen Leitungspositionen
Es braucht nicht viel Phantasie, um zu vermuten, dass die Bischofskonferenz in diesem Zusammenhang auch über die vor einigen Wochen von vier Mitbrüdern ins Spiel gebrachte Idee einer "synodalen Veranstaltung" diskutieren wird. Der Vorstoß der Bischöfe Peter Kohlgraf (Mainz), Franz-Josef Overbeck (Essen) Karl-Heinz Wiesemann (Speyer) und Stefan Oster (Passau) für ein nationales Debatten- und Diskussionsforum, auf dem die Bischöfe mit Laien, Theologen, Kirchenkritikern und externen Fachleuten über systemische Veränderungen in der Kirche diskutieren sollten, hatte laut Recherchen der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" beim Ständigen Rat für Streit unter den Oberhirten gesorgt.
Angesichts der Dominanz des Missbrauchsskandals auf der Tagesordnung drohen andere Themen in der öffentlichen Wahrnehmung unterzugehen, obwohl sie ebenfalls Beachtung verdient haben und teilweise Berührungspunkte mit den "systemischen Fragen" aufweisen. So wollen sich die Bischöfe bei ihrem Treffen etwa auch über das Thema "Frauen in kirchlichen Leitungspositionen" informieren. Bei einem Pressegespräch am Dienstag werden die Theologin Andrea Qualbrink, die ihre Doktorarbeit einer empirischen Studie über die Aufstiegs- und Führungserfahrungen von Frauen in hohen Leitungspositionen in bischöflichen Ordinariaten deutscher Diözesen gewidmet hatte, und Birgit Mock vom Bonner Hildegardis-Verein gemeinsam mit Bischof Bode dazu auch öffentlich informieren.