Devotionalienhandel heute: Es wird einsam um die Heiligenfiguren
Schon seit dem Mittelalter sind Jakobsmuscheln ein Mitbringsel aus Santiago de Compostela. Einmal zurück in der Heimat, sicherten sie ihren Trägern Ansehen und folgten manchem gar bis ins Grab. So weit würden die meisten heute zwar nicht mehr gehen, trotzdem sind Devotionalienhändler aus den Wallfahrtsorten dieser Welt nicht wegzudenken: Die Ständer voller Rosenkränze, Regalmeter mit Heiligen aller Art und Kisten voller Kreuze bestimmen dort bis heute das Bild. Doch auch an der Wirtschaft mit Heiligenbildern und Co. gehen Säkularisierung und Digitalisierung nicht spurlos vorbei – sodass mancher Händler sogar nach Mitbringseln ohne Gott sucht, um die Bilanz aufzubessern.
Wie sich Glaube und Frömmigkeit verändern, verändert sich auch die Devotionalienbranche. "Es soll schlichter sein, weniger prunkvoll und aufwendig", beobachtet Andreas Püttmann. Der Geschäftsführer des Münchner Unternehmens Schreibmayr hat in den letzten Jahren vor allem bemerkt, dass andere Materialien nachgefragt werden: Kreuzformen aus Schiefer, Edelstahl oder Glas sind "in", gerne mit glatten Oberflächen und in klaren Formen ohne viel Verzierung. Geschnitzte Barock-Heiligenfiguren – zum Beispiel aus dem Grödnertal – sind eher Ladenhüter. "Am ehesten wird noch eine Maria gekauft, andere Heilige aber fast gar nicht." Die Folge: Klassische Heiligenfiguren werden nach und nach aus dem Sortiment gestrichen.
Der Bedarf ist gedeckt
Ähnliches beobachtet man in Kevelaer. Auch dort, wo seit 1641 die Muttergottes als "Trösterin der Betrübten" verehrt wird, wandelt sich der Geschmack. "Es sind weniger große Figuren oder Krippen als früher, da scheint der Bedarf gedeckt zu sein", weiß Christoph Schwerhoff, der als Kaplan in der Pfarrei St. Marien rund um die Gnadenkapelle arbeitet. Die Wallfahrer wollen kleine Kreuze, Ketten oder Geschenke – gerne zur Taufe oder Firmung. Außerdem sind Kerzen ein großer Faktor, was aber auch an den örtlichen Verhältnissen liegt: Schließlich gibt es auf dem Kapellenplatz in dem niederrheinischen Städtchen eine eigene Kerzenkapelle. "Die Leute kaufen sich zum Beispiel eine Kerze, um sie selbst aufzustellen und bringen dann ihren Lieben zu Hause noch ein kleines Geschenk mit", beobachtet Schwerhoff. Sowohl in München als auch in Kevelaer ist den Verantwortlichen klar: Die Mitbringsel werden nicht nur kleiner, sondern auch insgesamt weniger abgesetzt. Abgesehen vom generell gesunkenen Interesse an klassischen Wallfahrten liegt das auch am Online-Handel, der in den vergangenen Jahren stärker geworden ist.
Solche großen Umwälzungen gehen am oberbayerischen Altötting wohl vorbei. Die Pilger zur Schwarzen Madonna scheinen über die Jahre hinweg beständig zu sein: Ulrike Kirnich vom Wallfahrts- und Tourismusbüro hat sich bei den örtlichen Händlern umgehört – "die verkaufen seit 10, 20 Jahren das Gleiche", erzählt sie katholisch.de. Kerzen, Rosenkränze, Heiligenbilder und Medaillen – das alles läuft noch gut im dortigen Wallfahrtsgeschäft. Dazu kommt eine regionale Besonderheit: Wetterkerzen, die noch auf den heiligen Bruder Konrad zurückgehen. Die schwarzen Kerzen wurden und werden bei Gewittergefahr angezündet, um ein Unwetter abzuwenden. Ihre schwarze Farbe erhielten sie ursprünglich, weil sie aus Wachsresten gefertigt wurden. Heute werden sie eingefärbt.
Ein paart wenige Veränderungen gibt es aber auch in Altötting. So haben dort etwa in Gestalt eines Weihrauchmuseums auch Geschäfte angesiedelt, die nicht mehr unmittelbar mit der Wallfahrt in Verbindung stehen. Ansonsten scheint der Ort in Oberbayern jedoch noch eine Oase des Devotionalienhandels zu sein.
Handel unter Handlungsdruck
Dagegen sehen sich die Händler anderswo durchaus unter Handlungsdruck. Bei Püttmann wird jede Saison festgehalten, was gut und was schlecht ging – und der Katalog dementsprechend überarbeitet. "Wir müssen uns jedes Jahr neu erfinden", sagt er. Deshalb kommen regelmäßig neue Produkte auf den Markt. Wie sich Formen und Material ändern, sind auch die Motive anders: vielsagender. So kommen Kreuze heute meistens ohne Christuskorpus aus. Dadurch ist der christliche Charakter nicht mehr so plakativ, die Symbolkraft jedoch bleibt. Indem diese Richtung weiterverfolgt wird, sollen neue Kundengruppen akquiriert werden: So hat sich Schreibmayr unter anderem dem Geschäft mit Grablichtern zugewandt – "Kerzen sind völlig unabhängig von Gott", sagt Geschäftsführer Püttmann dazu. Mit Produkten, denen man auch abseits des Christentums einen Symbolgehalt zusprechen kann, soll der Interessentenkreis verbreitert werden – auf diejenigen, die etwas kirchenferner sind. Dazu wird das gewachsene Umweltbewusstsein aufgegriffen – Grablichter und Opferkerzen gibt es jetzt auch in der Glashalterung anstatt in Plastik. Gleiches gilt auch anderswo: Beim Kevelaerer Traditionsbetrieb Butzon und Bercker bestimmen glaubensunabhängige Engel das Figurensortiment, sie stehen gleichberechtigt neben klar identifizierbaren christlichen Motiven.
Bei allen Bemühungen um ein zeitgemäßes Sortiment gibt es aber auch Grenzen: "Viele Händler wollen nicht in erster Linie verkaufen, sondern einen guten Kontakt mit den Pilgern haben", sagt der Kevelaerer Kaplan Schwerhoff. So mancher Händler würde nichts verkaufen, das dem christlichen Bild entgegensteht. Die Grenzen sind im Ort sogar ganz wörtlich zu nehmen: Auf dem Kapellenplatz wird nicht verkauft, sondern gebetet – die Händler müssen sich etwas abseits positionieren. Auch in München folgt man nicht jedem Trend: Einen Nikolaus gibt es zwar, den Weihnachtsmann sucht man aber vergeblich. Wegen umstrittenen Geschäftspraktiken arbeitet man dort außerdem nicht mit Amazon zusammen.
Während sich das Devotionaliengeschäft ändert, bleibt auch die Wallfahrt an sich nicht stehen, sondern sucht nach neuen Möglichkeiten. So gibt es etwas in Kevelaer seit ein paar Jahren eine Motorradwallfahrt. Neben den Jugendgruppen und den eher von Älteren frequentierten traditionellen Wallfahrten kommt damit nun eine neue Gruppe zur Gnadenkappelle – die wiederum eigene Vorstellungen von Devotionalien mitbringt. Denn die Biker statten vor allem ihr Motorrad aus, zum Beispiel mit einer Plakette des heiligen Christophorus, dem Patron der Reisenden – damit die PS-berittenen Wallfahrer auch sicher wieder zu Hause ankommen. Mit dem Devotionalienhandel ist es also noch nicht zu Ende – eine Renaissance der barocken Schnitzfiguren wird aber wohl auf sich warten lassen.