Erinnerung an den besten Kenner der Rahner'schen Theologie
Das von Karl Rahner und Herbert Vorgrimler herausgegebene Konzilskompendium ist bis heute eines der wichtigsten Bücher, mit dem es Generationen von Theologiestudierenden zu tun haben. Mittlerweile ist es in der 35. Auflage erschienen, was bei dem ständig wachsenden Buchmarkt wohl mehr als eine Seltenheit ist. Während Rahner für Viele noch ein Begriff ist, wissen die wenigsten Benutzer des Kompendiums etwas mit Vorgrimler anzufangen. Heute hätte der 2014 verstorbene Herbert Vorgrimler seinen 90. Geburtstag gefeiert. Ein Anlass, sich des Theologen zu erinnern, der sich nicht nur für die Bewahrung des theologischen Erbes von Karl Rahner einsetzte, sondern auch selbst im wissenschaftlichen Diskurs wichtige Beiträge leistete.
Herbert Vorgrimler wurde am 4. Januar 1929 in Freiburg im Breisgau geboren. In Jugendjahren wurde Vorgrimler mit den Wirren des Zweiten Weltkriegs konfrontiert, kurz vor Kriegsende sollte er noch zum Militärdienst eingezogen werden. Doch Herbert Vorgrimler weigerte sich, als Soldat in diesen Krieg zu gehen; im Freiburger Caritasdirektor Alois Eckert fand er einen Verbündeten, der ihm in seiner Bibliothek im Carolus-Haus Unterschlupf gewährte. Rückblickend auf diese Zeit schreibt Vorgrimler einmal: "Ich begann zu lesen, tagaus, tagein. Damals habe ich meine Leidenschaft für die Theologie entdeckt."
Eine prägende Begegnung
Nicht nur die Begeisterung für die Theologie wurde im Kriegsversteck geweckt, sondern auch die Liebe zum Priestertum reifte in diesen Monaten heran. Es war wohl auch die eindrückliche Gestalt des Priesters Eckert, die Vorgrimler tief beeindruckte. Nach seinem Abitur am Freiburger Berthold-Gymnasium bat er deshalb zum Wintersemester 1948/49 als Kandidat für die Theologie in das Collegium Borromaeum aufgenommen zu werden. Zunächst studierte Vorgrimler in Freiburg, bevor er zum Ende des Jahres 1950 ans Canisianum nach Innsbruck wechselte. Dort lernte er auch Karl Rahner und seinen Bruder Hugo kennen; eine Begegnung, die für das ganze weitere Leben Vorgrimlers von tiefer Bedeutung sein sollte.
Nach den Abschlüssen in Theologie und Philosophie empfing Vorgrimler am 22. März 1953 in der Konviktskirche von Freiburg durch Erzbischof Wendelin Rauch die Priesterweihe. Als Primizspruch wählte er einen Vers aus den Abschiedsreden des Johannesevangeliums: "Ich komme wieder und ich werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. Und wohin ich gehe – den Weg dorthin kennt ihr" (Joh 14,2f). Diese vertrauensvolle Grundhaltung hat nicht nur das priesterliche, sondern auch die wissenschaftliche Arbeit des Theologen Herbert Vorgrimler geprägt.
Im Jahr 1958 wurde Vorgrimler unter Betreuung von Karl Rahner im Fachbereich Dogmatik mit einer Arbeit über die biblische Begründung des Bußsakraments in der kirchlichen Lehre promoviert. Für mehr als zehn Jahre wurde der junge Doktor der Theologie der engste Mitarbeiter Rahners und dadurch vielleicht sogar der beste Kenner der Rahner’schen Theologie: 1963 hat Vorgrimler sogar die erste Rahner-Biographie veröffentlicht. Zusammen mit ihm brachte er 1961 das "Kleine Theologische Wörterbuch" heraus, ein Büchlein, das viele Bischöfe am Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils als kleine Nachhilfe oder Auffrischung in theologischen Fragen gerne zur Hand nahmen. Da Rahner selbst in den Konzilsjahren den Wiener Kardinal Franz König nach Rom begleitete, übernahm Vorgrimler zuhause in Freiburg die Arbeiten an der zweiten Auflage des "Lexikons für Theologie und Kirche". Im Dezember 1966 erschien erstmals das "Kleine Konzilskompendium", das alle sechzehn Konzilstexte mitsamt einer kleinen Einführung vereint. Bis heute ist es aus der Handbibliothek eines jeden theologisch Interessierten nicht wegzudenken.
Seinen theologischen Lehrer charakterisiert Herbert Vorgrimler Jahre später folgendermaßen: "Karl Rahner lebte, wenn ich so sagen darf, in zwei Welten. Auf der einen Seite war er ein in sich gekehrter, ständig der Meditation zugewandter Ordensmann. (…) Auf der anderen Seite war er auf Menschen neugierig. Er wollte wissen, wie sie leben, was ihnen wichtig ist, was sie bedrückt." Diese menschliche Seite des großen Theologen durfte Vorgrimler, als sein engster Mitarbeiter, wohl immer wieder spüren.
Wechsel nach Münster zu hohem Preis
Erst relativ spät entließ Karl Rahner seinen Assistenten, der 1968 Professor für Dogmatik an der Universität Luzern wurde. Die Berufung Vorgrimlers kam durch die Unterstützung des Theologen Hans Urs von Balthasar zustande. Ihn hatte Vorgrimler schon während seiner Zeit bei Rahner kennengelernt, Rahner und von Balthasar hatten sich nach dessen Buch "Cordula oder der Ernstfall" zerstritten. Die Situation in Luzern war sehr ärmlich, für alle Professoren war eine Sekretärin zuständig, eine Bibliothek existierte nicht. Für Vorgrimler waren mit der neuen Stellung etliche Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten verbunden. Bischof Anton Hänggi zählte ebenso dazu wie der evangelische Systematiker Heinrich Ott oder Lukas Vischer vom Weltkirchenrat in Genf.
Als an der Luzerner Fakultät das Gerücht die Runde machte, man habe Vorgrimler als Professor nach Münster berufen, verfassten beinahe sämtliche Theologiestudierende einen Brief, in dem sie den beliebten Dogmatiker zum Bleiben überreden wollten. Doch Karl Rahner, der akademische Lehrer von Vorgrimler, hatte anderes im Sinn. Mithilfe eines umstrittenen Sondervotums wurde Herbert Vorgrimler am 01. August 1972 offiziell zum Nachfolger Rahners an der Münsteraner Fakultät ernannt. Der Preis hierfür war allerdings hoch: Die Professorenschaft hatte sich infolge des langwierigen Berufungsverfahrens teilweise zerstritten, Vorgrimler konnte vonseiten der Kollegen nicht ausschließlich mit Sympathie und Wohlwollen rechnen.
Nichtsdestotrotz war Herbert Vorgrimler in den Münsteraner Jahren äußerst produktiv. Der Dogmatiker schrieb nicht nur etliche Bücher zu systematisch-theologischen Themen, er arbeitete immer wieder auch als Konsultor des Päpstlichen Rates für die Nichtglaubenden. Anfangs gab Vorgrimler zusammen mit Rahner die Internationale Dialog-Zeitschrift heraus, deren alleiniger Herausgeber er später wurde. Hierfür hatte Vorgrimler zu Bischöfen, Theologen und christlichen Politikern im damaligen Ostblock Kontakt aufgenommen, um sie um Beiträge für die Zeitschrift zu bitten. Der kritische Dialog zwischen Christentum und Marxismus, sowie die nachhaltige Auseinandersetzung mit den Fragen des Atheismus lagen Vorgrimler dabei besonders am Herzen.
Heilig-Land-Pilger und Krankenhausseelsorger
Nach den vielen Jahren in Lehre und wissenschaftlicher Forschungsarbeit wurde Vorgrimler 1994 emeritiert, was für ihn allerdings keinen Ausstieg aus dem theologischen Geschäft bedeutete. Bereits ein Jahr später begann er zusammen mit Karl Lehmann, Albert Raffelt und Karl H. Neufeld SJ mit der Edition der "Sämtlichen Werke" Karl Rahners. Ein Mammutprojekt, das Vorgrimler bis zuletzt maßgeblich voranbrachte.
Die Jahre nach dem aktiven Dienst an der Theologischen Fakultät widmete Vorgrimler allerdings nicht nur der Wissenschaft. Besonders seine Liebe zum Heiligen Land nahm in der letzten Lebensphase noch einmal großen Raum ein. Zusammen mit dem Münsteraner Bischof Reinhard Lettmann und dem Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff verbrachte Vorgrimler mehrmals einige Wochen in Israel, Palästina, Syrien und Ägypten. Schließlich widmete sich Vorgrimler auch verstärkt pastoralen Aufgaben: Zunächst war er nur aushilfsweise als Seelsorger im Clemenshospital in Münster tätig, später übernahm er mehr und mehr die Aufgaben in der Krankenhausseelsorge. Mit einem kleinen Festakt beging er zusammen mit Freunden und Weggefährten im Januar 2014 noch seinen 85. Geburtstag. Am 12. September des gleichen Jahres ist er – nur wenige Tage nach den Theologen Otto Hermann Pesch und Wolfhart Pannenberg – in Münster gestorben.
Das "Kleine Konzilskompendium" ist nicht das Lebenswerk des Theologen Herbert Vorgimler. Er hat viel mehr in der theologischen Forschungsarbeit geleistet. Aber es offenbart ein Doppeltes: Einerseits zeigt es bis heute die enge Verbindung zwischen Rahner und Vorgrimler, die weit über ein Lehrer-Schüler-Verhältnis hinausging. Und zum Zweiten weist es auf die hohe Bedeutung des Konzils für das theologische Wirken Vorgrimlers hin. Wer sich mit der Theologie Vorgrimlers auseinandersetzt, der kommt am Zweiten Vaticanum nicht vorbei. Im Kleinen Konzilskompendium kommen diese engen Verbindungslinien bis heute deutlich zum Ausdruck.