Erzbischof Heße: Kapitänin Rackete steht in der Nachfolge Jesu
Als "unannehmbar" bezeichnete Erzbischof Stefan Heße Anfang der Woche die vorübergehende Festnahme von Carola Rackete. Im Interview mit katholisch.de verteidigt er das Handeln der "Sea-Watch 3"-Kapitänin erneut: Ertrinkende müssten gerettet werden – "ohne Wenn und Aber".
Frage: Herr Erzbischof Heße, die Kapitänin der "Sea Watch-3", Carola Rackete, wurde freigelassen – für Sie die richtige Entscheidung des Gerichts?
Erzbischof Stefan Heße: Selbstverständlich. Ich habe ja bereits vorher mit Unverständnis auf die Festnahme reagiert.
Frage: Hat Kapitänin Rackete richtig gehandelt, als Sie ohne Erlaubnis mit ihrem Seenotrettungsboot samt Flüchtlingen auf Lampedusa angelegt hat?
Heße: Frau Rackete folgte einem klaren ethischen Imperativ: Ertrinkende muss man retten, ohne Wenn und Aber. Das passt auch sehr gut mit dem Evangelium zusammen. Wer wie die Kapitänin ein Menschenleben rettet, steht in der Nachfolge Jesu.
Linktipp: EKD zur Freilassung Racketes: "Punktsieg für Menschlichkeit"
Die deutsche Kapitänin der "Sea Watch 3", Carola Rackete, ist auf freiem Fuß. Eine Richterin ließ mehrere Vorwürfe fallen. Dafür kommt Lob von Kirche und Hilfsorganisationen. Doch einer poltert weiter.Frage: Auch der Kölner Weihbischof Ansgar Puff hat Frau Rackete als Ideal der christlichen Nachfolge dargestellt…
Heße: Ein Staat darf niemanden davon abhalten, Standards der Mitmenschlichkeit zu realisieren und hochzuhalten. Wenn Menschen zu ertrinken drohen, dann ist klar, dass der ethische Imperativ dahin geht, sie zu retten.
Frage: Es ist also legitim, Gesetze aus guter Absicht heraus zu brechen?
Heße: Die Kapitänin hat aus einer klaren humanitären Notlage heraus gehandelt. Ich bewerte das als eine sehr fundierte Entscheidung und nicht als willkürlichen Gesetzesbruch. Wenn ich mir die gesamte Situation im Mittelmeer anschaue, dann wird deutlich, dass wir eine gemeinsame europäische oder internationale Flüchtlings- und Migrationspolitik brauchen. Dabei ist Seenotrettung nur ein Element. Solange die Staaten zu so einer gemeinsamen Lösung offenbar nicht in der Lage sind – oder das sogar verweigern – halte ich eine privat organisierte Seenotrettung für notwendig.
Frage: Braucht es sogar noch mehr Missionen zur Seenotrettung?
Heße: Für mich gilt: Wenn die Staaten eine wirksame Seenotrettung nicht auf die Reihe bringen, braucht es das private Engagement. In welchem Maße hängt davon ab, was leistbar ist. Grundsätzlich würde ich aber sagen: Wo der Staat es nicht schafft, sind private Initiativen immer gefragt
Frage: Der evangelische Kirchentag hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit einer Petition dazu aufgefordert, ein eigenes Rettungsschiff aufs Mittelmeer zu schicken. Machen Sie mit?
Heße: Ich habe von dem Vorschlag gehört und finde, dass damit ein starkes Signal gesetzt wird. Ob allerdings die EKD oder die Deutsche Bischofskonferenz die richtigen Träger sind, weiß ich nicht. Ist es nicht besser, wenn hier NGOs aktiv werden?
Frage: Gibt es Überlegungen, kleinere NGOs vonseiten der Bischofskonferenz zu unterstützen?
Heße: Auf Ebene der Diözesen gibt es nicht nur Überlegungen, sondern schon konkrete Taten. Einzelne Bischöfe haben sich bei Rettungsmissionen finanziell eingebracht. Außerdem weiß ich von einem Pfarrer des Erzbistums Köln, der die Seenotrettungsorganisation MOAS seelsorglich begleitet hat (Regamy Thillainathan, Anm. d. Redaktion). Das sind Zeichen der Unterstützung und wichtige Signale.
Heße: Aber ist es nicht an der Zeit, mehr als nur Signale zu setzen?
Heße: Wie gesagt: Es ist eine Frage, wer was leisten kann. Es gibt eine Reihe von Diözesen, die ihre Unterstützung einbringen, und dafür bin ich dankbar.
Frage: Nun gehört zur Realität dazu, dass die Seenotretter ein Teil des Systems der Schlepper geworden sind. Schlepper kalkulieren mit ein, dass es die Missionen gibt. In diesem Zusammenhang hat Innenminister Horst Seehofer im vergangenen Jahr gesagt, es dürfe keinen "Shuttle-Service" zwischen Libyen und Europa geben. Was antworten Sie darauf?
Heße: Es ist eine vereinfachende Argumentation, die Verantwortung den Seenotrettern zuzuweisen. Man muss den Blick auf die Situation der Menschen in Libyen und Afrika lenken. Ich habe den Eindruck, dass die Situation der Menschen in den Ländern, aus denen sie flüchten, und in den Flüchtlingscamps höchst problematisch ist. Deswegen gilt es, etwas zu ändern, damit die Fluchtbewegungen in dieser intensiven Form gar nicht erst zustande kommen.
Frage: Was wäre die Alternative?
Heße: Es muss sichere und legale Wege nach Europa geben. Asylverfahren müssen klar geregelt sein; sie müssen verlässlich und transparent durchgeführt werden. Da haben wir in Europa noch viel zu tun. Außerdem muss jeder Staat seiner Verantwortung nachkommen. Diese Verantwortung muss solidarisch zwischen den Staaten Europas und der ganzen Welt geteilt werden, statt sie auf andere abzuwälzen.
Frage: Was muss in Ihren Augen das Hauptziel sein?
Heße: Man muss alles versuchen, damit Menschen nicht in Lebensgefahr geraten. Wie auch der Papst sagt: Das Mittelmeer darf nicht zum größten Friedhof der Welt werden.
Frage: In der EU ist in den vergangenen Jahren genau das Gegenteil von Ihren Forderungen geschehen. Immer mehr Grenzen und damit Flüchtlingsrouten wurden geschlossen. Gegen Seenotretter wird immer härter vorgegangen. Ein Armutszeugnis für die EU?
Heße: Man muss beklagen, dass die EU-Staaten nicht abgestimmt vorgehen. Insofern kann man durchaus von einem Armutszeugnis sprechen. Die aktuelle Situation zeigt aber auch, dass die Politik von geschlossenen Grenzen, geschlossenen Häfen und Mauern das Problem nicht löst.