Wie die katholische Kirche ihre Interessen in der EU-Hauptstadt vertritt

Für Gott in Brüssel

Veröffentlicht am 20.11.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Europa

Bonn/Brüssel ‐ Es gibt sie nicht nur für Medikamente oder die Umwelt, sondern auch für den lieben Gott: Rund 15.000 Lobbyisten tummeln sich in der EU-Hauptstadt Brüssel, um Unternehmen oder Verbänden Gehör zu verschaffen – sei es, um Zulassungen für neue Pillen durchzusetzen, für geringe Abgaswerte von Autos zu kämpfen oder eben um Gottes Wort im Bewusstsein von EU-Kommission und Europaparlament zu halten.

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Seit 1980 gibt es die "Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft", kurz ComECE. Zweimal im Jahr kommen die entsandten Bischöfe aus den Bischofskonferenzen in der EU zu Beratungen zusammen. Die tägliche Arbeit dazwischen leistet das ständige Sekretariat.

Von ihren Fenstern aus blicken die katholischen Interessensvertreter auf den Square de Meeûs im Herzen der belgischen Hauptstadt. Das EU-Parlament ist quasi um die Ecke, zur Kommission sind zu Fuß knapp 15 Minuten. Von hier aus kümmert sich ein Dutzend Mitarbeiter um die Belange der katholischen Kirche zwischen Portugal und Finnland.

Nicht nur Kirchenthemen

Die nächste Vollversammlung der EU-Bischöfe beginnt am morgigen Mittwoch. Bis Freitag beraten die Oberhirten unter anderem über die Finanz- und Wirtschaftskrise. Auch von diesen Beratungen werden deutliche Signale an Politik ausgehen: "Schauen Sie sich an, welche erheblichen sozialen Einschnitte zum einen in den Krisenstaaten vorgenommen werden müssen", sagt Münchens Kardinal und ComECE-Präsident Reinhard Marx im Interview mit katholisch.de . "Und schauen Sie sich an, welche Risiken für die Generationengerechtigkeit in denjenigen Ländern eingegangen werden müssen, die in Form von Rettungspaketen die Haftung für die Staatsschulden anderer Staaten übernehmen. Dazu kann die Kirche nicht schweigen."

Für den Europaabgeordneten Bernd Lange (SPD) schieben sich die Glaubensgemeinschaften im europapolitischen Betrieb vor allem bei "klassischen Kirchenthemen" wie Stammzellenforschung, Sonntagsarbeit oder Asylpolitik in Blickfeld. "Die Wahrnehmung der Gestaltungskraft der EU ist in den Kirchen aber noch nicht so stark entwickelt", so der Experte für Kirchenpolitik. Auf katholischer Seite sei man da weiter als bei den Protestanten, sagt Lange weiter, der selbst evangelisch ist. In Zeiten der Finanzkrise bedürfe es einer Stimme, die an Grundwerte erinnere, findet er.

Europa und Christentum sind allerdings längst keine natürliche Verbindung mehr. Intensive Diskussionen gab es zum Beispiel um den Gottesbezug in der europäischen Verfassung, der in Vertrag von Lissabon letztendlich nicht aufgenommen wurde. Auch in den Debatten um einen möglichen Beitritt der Türkei zur Union schwingt die Frage mit, wie viel christliche Religion noch in Europa steckt.

Präsent und sichtbar

Auch in solchen Fragen sieht Kardinal Marx die ComECE in der Pflicht. "Wir sehen die Chance und die Aufgabe der Kirche und der Christen, Europa mitzugestalten. Und deshalb arbeiten wir an einem positiven Verhältnis zwischen den europäischen Institutionen und den Kirchen, das von einer grundsätzlichen Trennung und freundschaftlichen Zusammenarbeit ausgeht, nicht von einem kämpferischen Gegeneinander", sagt er.

Ebenso beobachteten die Kirchenleute kritisch, dass Religion in Europa mehr und mehr an den Rand gedrängt und zu einer reinen Privatangelegenheit werde. "Dagegen wenden wir uns ganz entschieden und deshalb ist es so wichtig, immer wieder selbst in Brüssel präsent und sichtbar zu sein und unsere Stimme hörbar zu machen", so Marx.

Nicht selten mahnen Kritiker eine zu große Einflussnahme auf politische Entscheidungen durch die Lobbyarbeit an, ganz gleich, ob sie für die Wirtschaft, die Industrie oder die Kirche geleistet wird. Zugleich erscheint es aber doch beruhigend, dass es bei Lobbyarbeit nicht immer nur um Banken, Zigaretten und Arzneimittel geht – sondern auch um den lieben Gott.

Von Christoph Meurer

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