Karl, der Große
Mit Zahlen allein kann man die Bilanz eines Lebens nicht ziehen. Wohl aber können sie einen Eindruck von der Bedeutung eines Lebens geben. Bei Kardinal Karl Lehmann sind es vor allem zwei Zahlen, die herausragen: 33 Jahre war er Bischof von Mainz, 21 Jahre Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Lehmann war über Jahrzehnte hinweg einer der bekanntesten Vertreter des Katholizismus in Deutschland, als Bischof hat er in seinem Bistum und bundesweit eine ganze Ära geprägt. Jetzt ist er im Alter von 81 Jahren in Mainz gestorben.
Seit seinem altersbedingten Rücktritt vom Bischofsamt am 16. Mai 2016 – seinem 80. Geburtstag – hatte sich Lehmann auch aus gesundheitlichen Gründen weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Am 27. August vergangenen Jahres konnte man ihn jedoch noch einmal bei einem großen Auftritt erleben. Damals weihte er Peter Kohlgraf zum neuen Mainzer Bischof und legte "sein" Bistum Mainz damit endgültig in die Hände eines Nachfolgers. Kurz nach der Bischofsweihe erlitt Lehmann einen Schlaganfall, von dem er sich trotz einer mehrmonatigen Rehabilitation nicht mehr erholen konnte.
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33 Jahre lang war er Bischof von Mainz, 21 Jahre lang Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Am Sonntagmorgen ist der große Theologe und Kardinal Karl Lehmann im Alter von 81 Jahren gestorben.Die große kirchliche Karriere war Lehmann nicht in die Wiege gelegt. Am 16. Mai 1936 wurde er als ältester von zwei Söhnen des Volksschullehrers Karl Lehmann und dessen Frau Margarete in Sigmaringen geboren. Ab 1942 besuchte Lehmann die Grundschule in Liggersdorf und anschließend das Staatliche Gymnasium Sigmaringen, wo er auch in das Erzbischöfliche Studienheim St. Fidelis eintrat. Nach dem Abitur studierte Lehmann von 1956 bis 1964 Philosophie und Katholische Theologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.
Priesterweihe 1963 in Rom durch Kardinal Döpfner
Hier empfing Lehmann am 10. Oktober 1963 durch Kardinal Julius Döpfner auch die Priesterweihe und hier erlebte er als Assistent von Karl Rahner hautnah das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965). Mit Blick auf diese Zeit sprach er später von einem "Aufbruch mit viel frischem Wind", den er gespürt habe. "Verglichen mit der Enge zu Beginn meines Studiums war jetzt eine deutlich größere Weite und Freiheit zu spüren", so Lehmann.
Lehmann, der an der Gregoriana 1962 in Philosophie mit einer Arbeit über Martin Heidegger und 1967 in Theologie mit einer Arbeit über die Auferstehung promoviert wurde, kam 1968 erstmals in offizieller Funktion nach Mainz. 15 Jahre bevor er in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Bischof werden sollte, wurde er hier auf den Lehrstuhl für katholische Dogmatik und Theologische Propädeutik berufen. Da Lehmann nicht in Deutschland promoviert worden war und sich auch noch nicht habilitiert hatte, war die Berufung mit einem formalen Problem verbunden. Mit Hilfe eines externen Gutachtens des Tübinger Dogmatikprofessors Joseph Ratzinger wurde die Lehrbefähigung Lehmanns an der Mainzer Fakultät jedoch bestätigt.
Diese erste Mainzer Phase Lehmanns währte aber nicht lange: Bereits drei Jahre später ging er als Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie nach Freiburg. Zu seinen Doktoranden zählte hier auch Gerhard Ludwig Müller, der spätere Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation. Über ihn sagte Lehmann einmal: "Er war sehr gelehrig und konnte gut mit Kritik umgehen. Er hat tadellose Arbeiten geschrieben. Später hat er sich verändert." Als Freiburger Professor nahm Lehmann von 1971 bis 1975 auch an der Würzburger Synode teil, die die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils für Deutschland umsetzen wollte.
"Steht fest im Glauben" als bischöflicher Wahlspruch
Am 23. Juni 1983 wurde Lehmann schließlich von Papst Johannes Paul II. (1978-2005) zum Bischof von Mainz ernannt; die Bischofsweihe spendete ihm sein Amtsvorgänger Kardinal Hermann Volk am 2. Oktober im Mainzer Dom. Als bischöflichen Wahlspruch wählte sich Lehmann, der damals der jüngste katholische Bischof Deutschlands war, Worte aus dem 1. Brief des Paulus an die Korinther: "State in fide" – "Steht fest im Glauben" (1 Kor 16,13).
1987 wurde Lehmann als Nachfolger von Kardinal Joseph Höffner Vorsitzender der Bischofskonferenz. Es war der Beginn einer 21-jährigen Amtszeit, die Lehmann bundesweit als Gesicht und Stimme der katholischen Kirche in Deutschland bekannt machte. Als Konferenzvorsitzender gab er wichtige Impulse in gesellschaftlichen Grundfragen und im ökumenischen Gespräch, für die Politik war er ein geschätzter Gesprächspartner, wie es der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder einmal formulierte. Wichtige Wegmarken in seiner Zeit an der Spitze der Bischofskonferenz waren unter anderem 1989/1990 der Fall der Berliner Mauer und die Deutsche Einheit, in deren Folge Lehmann die Katholiken aus Ost- und Westdeutschland zusammenführte.
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Lehmanns wohl größte Herausforderung als Vorsitzender der Bischofskonferenz war jedoch die Debatte um die staatliche Schwangerenkonfliktberatung. Lange widersetzte er sich Ende der 1990er-Jahre dem Willen von Johannes Paul II. nach einem Ausstieg der Kirche aus dem staatlichen Beratungssystem. Immer wieder reiste er in dieser Zeit in den Vatikan, um den Papst umzustimmen. "Ich hätte gedacht, der schmeißt mich mal raus", erinnerte sich Lehmann später. Doch im Gegenteil durfte der Mainzer Bischof dem Papst immer wieder seine Haltung verdeutlichen; dadurch habe er, so Lehmann, Johannes Paul II. "sogar noch mehr schätzen gelernt". Sein Einsatz für die Schwangerenkonfliktberatung war trotzdem vergeblich: Am 23. November 1999 gaben die Bischöfe den Ausstieg aus dem staatlichen System bekannt und kündigten eine Neuordnung der kirchlichen Schwangerschaftsberatung "im Sinne der Weisung des Papstes" an.
Ein "wunderbarer Bischof" und großer Theologe
Trotz der jahrelangen Auseinandersetzung wurde Lehmann im Jahr 2001 von Johannes Paul II. überraschend zum Kardinal erhoben – Beobachter werteten dies auch als Auszeichnung für Lehmanns Dienst für die Kirche in Deutschland. Als Mitglied des Kardinalskollegiums nahm er an zwei Konklaven teil – im April 2005, als Papst Benedikt XVI. (2005-2013) gewählt wurde, und im März 2013, als Papst Franziskus Benedikts Nachfolger wurde.
Weit über die Grenzen seines Bistums hinaus war Lehmann über Jahre hinweg einer der beliebtesten Bischöfe Deutschlands. Eindrucksvoll wurde dies auch bei seinem Abschied als Mainzer Bischof deutlich. Als "großes Geschenk", "wunderbarer Bischof", großer Theologe und Menschenfreund wurde Lehmann dort gewürdigt. Die Reaktionen, die jetzt auf die Nachricht seines Todes folgen, zeugen noch einmal von dieser großen Wertschätzung.