Katholisches Kinderheim war über Jahrzehnte ein Ort des Grauens
Vernichtend - anders kann man das Urteil über das einstige katholische Kinderheim Heilig Kreuz im schwäbischen Donauwörth nicht nennen. Jahrzehntelang gab es dort körperlichen, seelischen und sexuellen Missbrauch durch den Heimleiter, Erzieherinnen, ältere und frühere Bewohner. Das geht aus dem am Donnerstag vorgelegten Schlussbericht einer vom Augsburger Bischof Konrad Zdarsa beauftragten unabhängigen Arbeitsgruppe hervor. 14 Personen sprechen darin von Gewalttaten aus den 1950er bis 1970er Jahren. 1977 schloss die Einrichtung der Pädagogischen Stiftung Cassianeum.
Doch schon lange vor den von den Opferzeugen geschilderten Fällen war die Einrichtung offenbar ein Ort des Grauens. 1916 eröffnet, dürfe bereits die Gründungsidee des Heims als fragwürdig gelten, erklärte die Theologin Gerda Riedl, Hauptabteilungsleiterin im Ordinariat und an der Arbeitsgruppe beteiligt. "Weniger der sozialen Not geschuldet, sollte damit vielmehr die Richtigkeit des pädagogischen Konzeptes des Stiftungsgründers - Ludwig Auer - erwiesen werden." Ein paternalistischer Geist mit strengen Befehls- und Gehorsamsketten habe von Anfang an durch das Haus geweht und später ein Sich-Wehren gegen Missstände praktisch unmöglich gemacht.
Ungewöhnlich hohe Säuglingssterblichkeit
Auch Unterbringung, sanitäre Verhältnisse und Lebensmittelversorgung waren lange prekär, wie Riedl festhielt. Eine Folge: "Das Totenbuch der ehemaligen Pfarrei Heilig Kreuz weist in den Jahren zwischen 1945 und 1953 eine ungewöhnlich hohe Säuglingssterblichkeit im Kinderheim aus." Das Personal sei überfordert und zu wenig qualifiziert gewesen. Kontrollen hätten versagt, sowohl innerhalb der Stiftung wie im Bereich der staatlichen Heimaufsicht und der Vormünder der Kinder.
Das alles ist jetzt ans Licht gekommen, weil Anfang 2018 eine heute 59-jährige einstige Heimbewohnerin - sie nennt sich Marsha - im Bayerischen Rundfunk über ihr Schicksal sprach. Danach beauftragte Bischof Zdarsa den ehemaligen Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht München, Manfred Prexl, mit einer großangelegten Aufarbeitung.
Der 68-seitige Schlussbericht liest sich als eine einzige Bilanz des Schreckens. So seien Kinder blutig geschlagen worden. Stundenlang hätten sie auf Kleiderbügeln knien müssen, Toiletten- und Trinkverbote bekommen oder ungenießbare Fettbrocken aus der Hausschlachtung essen müssen. Mit dem Löffel seien sie gestopft worden wie Gänse. Hätten Erbrochenes wieder zu sich nehmen müssen. In dunkle Keller seien die Kleinen gesperrt worden, über Stunden und allein - wobei manchmal jemand gekommen sei, um sie dort unten als Teufel in der Hölle zu begrüßen.
Hinzu kam sexuelle Gewalt. Derer machte sich auch Max Auer schuldig. Der Pfarrer und Enkel des Gründers leitete das Haus von 1947 bis zur Schließung; er starb 1980. Laut Bericht wurde er unter anderem zum Vergewaltiger - nicht durch rohe Gewalt, sondern weil er seine Opfer durch Vergünstigungen von sich abhängig gemacht hatte. Die Betroffene Marsha berichtete zudem von Verfehlungen im Beichtstuhl: "Da roch er an meinen Fingern, um zu sehen, ob ich mich unten angefasst hatte."
"Man könnte davon einen Gruselroman schreiben"
Als sich nach der Vorstellung des Berichts einige Betroffene äußerten, zitterten den meisten die Stimmen. "Man könnte davon einen Gruselroman schreiben", sagte ein Mann. Bis heute litten er und seine Schicksalsgenossen etwa an chronischen Schmerzen und Essstörungen.
"Monströs" nannte Cassianeum-Chef Peter Kosak die Schilderungen. "Zutiefst erschüttert" zeigte sich Augsburgs Generalvikar Harald Heinrich. Ausdrücklich dankten ihnen Opfer für die öffentliche Aufarbeitung. Aus ihr gehe hervor, dass an ihren Darstellungen keine Zweifel bestünden.
Gleichwohl, so Marsha, sei das Thema Entschädigung noch nicht zufriedenstellend gelöst. Darum wird sich nun ein neues Gremium von Opfern, Cassianeum-Stiftung und Berichtsgruppe kümmern. Es soll auch darüber beraten, wie künftig an das Geschehene erinnert werden kann, womöglich in Form eines Mahnmals.