Zwischen Diskriminierung und Normalität

Kopten in Ägypten sitzen zwischen den Stühlen

Veröffentlicht am 05.04.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Kairo ‐ Immer wieder kommen Angriffe auf koptische Kirchen in Ägypten in die Medien. Die christliche Minderheit in dem nordafrikanischen Land sieht sich zum Teil verfolgt. Doch die Situation ist weitaus komplexer.

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Das Christentum in Ägypten hat eine lange Geschichte: Bereits 50 bis 60 Jahre nach Christi Geburt brachte der Apostel Markus den Glauben in das Land am Nil. Damit ist die heutige koptisch-orthodoxe Kirche die älteste Kirche Afrikas und eine der ältesten christlichen Gemeinschaften der Welt. Das liegt sicher auch daran, dass das Christentum gut an vorhandene ägyptische Vorstellungen anknüpfen konnte. So galten dort etwa die Pharaonen als Gottessöhne und auch die Vorstellung einer Heiligen Familie gab es. Nicht zuletzt ähneln Darstellungen der Göttin Isis, die Horus als Kind stillt, sehr der Muttergottesikonographie.

Die Kopten waren eine der ersten Gemeinschaften, die sich von der restlichen Kirche abspalteten. Grund dafür war ein Disput über das Christusbild. Das Konzil von Chalcedon legte 451 als Dogma fest, dass Christus "wahrer Gott" und "wahrer Mensch" zugleich sei. Diese beiden Naturen bestehen in ihm eigenständig weiter, haben aber auch eine enge Beziehung untereinander. Deshalb sagt das Konzil, dass beide sowohl "ungetrennt" als auch "unvermischt" in Christus vorhanden sind. Die ägyptische Gemeinschaft betonte jedoch die göttliche Natur Christi, mit der sich, ihrer Überzeugung nach, die menschliche Natur bei seiner Menschwerdung vermischte. Diese Vorstellung – der sogenannte Monophysitismus – führte dazu, dass die koptische Kirche seitdem eigene Wege geht.

Von der Mehrheit zur Minderheit

Ende des dritten Jahrhunderts war die Mehrheit der Ägypter Christen. Das änderte sich aber 640, als die Araber das Gebiet eroberten und Ägypten islamisch wurde. Geändert hat sich das nicht mehr. Seit fast 1.500 Jahren sind die Kopten nun eine Minderheit im Land, über deren Zahl es sehr unterschiedliche Angaben gibt. Seriöse Schätzungen gehen von fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung aus. Andere christliche Konfessionen spielen am Nil dagegen kaum eine Rolle.

Sicherheitskräfte und Krankenwägen unweit der Markuskathedrale in Kairo, wo sich zuvor ein Anschlag mit dutzenden Toten ereignet hat.
Bild: ©picture alliance / AP Photo

Sicherheitskräfte und Krankenwägen unweit der Markuskathedrale in Kairo, wo sich zuvor ein Anschlag mit dutzenden Toten ereignet hat.

Die Situation der Kopten in Ägypten ist heute schwierig, da sie gleich von zwei Seiten bedrängt werden: Einerseits gibt es immer wieder Anschläge von Islamisten auf Kirchen, Schulen und Kindergärten der Gemeinschaft. So starben etwa bei einem Bombenattentat in der Nähe der Markuskathedrale in Kairo 2016 mindestens 25 Menschen.

Andererseits haben die Christen auch mit staatlicher Diskriminierung zu kämpfen: Ihnen ist der Zugang zu höheren Posten in der staatlichen Wirtschaft und Verwaltung, in Polizei und Militär verwehrt. Auch die bürokratischen Hürden für die Errichtung von Kirchenbauten oder  deren Renovierungen sind sehr hoch: So müssen die Gemeinden etwa nachweisen, dass eine Kirche die "muslimische Umgebung nicht beeinträchtigt". Der Polizei wird vorgeworfen, nicht genug zum Schutz der Minderheit zu tun – sei es aus ideologischen Gründen oder mangelnder Motivation. "Der Staat Ägypten ist noch lange nicht bereit, die Kopten wirklich gleich zu behandeln", fasst es Ulrich Delius, Afrikakenner und Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker, zusammen.  

Enge Verbindung zwischen Kirche und Regierung

Trotz der Benachteiligung haben die Kopten so enge Bande mit der ägyptischen Regierung geschmiedet, dass man sie auch schon einmal als "Staatskirche" bezeichnet: Gab es schon zur Amtszeit von Staatschef Husni Mubarak (1981-2011) eine Annäherung, hat sich die Kirche durch die Ereignisse des Arabischen Frühlings und den damit verbundenen anarchischen Zuständen, die zu Plünderungen und Gewalt gegen Kopten führten, sehr eng mit dem Staat verbunden. Seit seinem Amtsantritt 2012 sieht der amtierende Koptenpapst Tawadros II. die Anbindung an die Regierung als essenziell. Diese enge Beziehung macht die Kopten allerdings zum Ziel von Islamisten, sagt Delius. "Die Islamisten sehen sich als Opposition zur Regierung. Sie greifen deshalb diejenigen an, die sie als Stützen des Systems sehen – und das sind die Kopten." Außerdem sind Anschläge auf Kopten für Islamisten ein einfaches Mittel, um in die öffentliche Diskussion zu kommen, so Delius: "Ein Anschlag auf eine Kathedrale bekommt weltweite Aufmerksamkeit, ein Angriff auf einen Markt interessiert dagegen niemanden."

Nicht zuletzt deswegen ist die enge Verbrüderung mit der Politik unter Tawadros II. innerhalb der koptischen Kirche umstritten, auch einige Bischöfe stehen in Opposition zu diesem Schulterschluss. Zuletzt gab es sogar Gerüchte über eine mögliche Absetzung des Kopten-Papstes, die von der Kirche jedoch sofort dementiert wurden.

Bild: ©KNA

Der koptisch-orthodoxe Papst Tawadros II.

Die Bande mit den Kopten nutzt die ägyptische Regierung auf dem internationalen Parkett ausgiebig: Präsident Abdel Fattah al-Sisi präsentiert sich gern als Beschützer der Christen gegen Islamisten und will die Kopten "als Türöffner in Europa nutzen", wie es Delius ausdrückt. Damit soll auch überspielen werden, dass al-Sisis Regierungshandeln von zahlreichen NGOs als überaus autoritär kategorisiert wird – mit diversen Menschenrechtsverletzungen und zwischen 50.000 und 60.000 politischen Gefangenen in ägyptischen Gefängnissen.

Keine generellen Vorbehalte

Die Angriffe und Diskriminierungen stehen Delius' Ansicht nach jedoch nicht für die Einstellung der Mehrheit der Zivilgesellschaft: "Es gibt keine grundsätzlichen Vorbehalte in der ägyptischen Bevölkerung gegenüber den Kopten. Meist leben sie mit ihren Nachbarn friedlich zusammen." Wenn es beispielsweise Konflikte in kleinen Dörfern in Oberägypten, also dem Südteil des Landes, gibt, werden diese laut Delius oft von außen in die Gemeinschaft hereingetragen. Das hat wiederum politische Gründe. Denn geschürte muslimisch-christliche Konflikte sind Wahlwerbung für die Islamisten.

Von Verfolgung zu sprechen, hält Delius mit Blick auf Ägypten also für falsch – Christen werden im Land nicht an der Ausübung ihres Glaubens gehindert. Wohl aber haben sie nicht immer einen leichten Stand – was zum Teil durch Vorurteile unterstützt wird: "Ich vergleiche die Kopten häufig mit der Situation der Juden im europäischen Mittelalter, wo auch die breite Bevölkerung dachte: ‚Die haben das Geld, die vergeben unlautere Kredite‘", so Delius. Dieses Pauschalurteil sei mit Blick auf die Juden genauso falsch wie auf die Kopten. "Da gibt es Müllsucher genauso wie die Betuchteren, die schlimme Zeiten im Ausland abwarten", also genug Geld haben, um sich in schwierigen Situationen abzusetzen. Durch ihre Bindung an den Staat sind sie in der politischen Auseinandersetzung nicht mehr neutral, gesellschaftlich sitzen sie als Christen und Ägypter zwischen den Stühlen. Diesen Zwiespalt werden die koptischen Christen auch in Zukunft aushalten müssen.

Von Christoph Paul Hartmann