kfd fordert Reformen gegen Missbrauch

#MachtLichtAn: Tausende Taschenlampen für die Erneuerung der Kirche

Veröffentlicht am 13.12.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ In ganz Deutschland fordern Katholikinnen Reformen von der Kirche: "Macht Licht an" war das Motto der bundesweiten Protestaktion, bei der sich Frauen zur Klageandacht vor Kirchenportalen getroffen haben. Können sie die Bischöfe zu Reformen drängen?

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Es ist kalt auf dem Kirchplatz von St. Josef im Bonner Stadtteil Beuel, vier, vielleicht fünf Grad. Ein kalter Wind weht über den Platz. Trotzdem stehen vor der Kirche gut 50 Frauen und eine Handvoll Männer, viele von ihnen haben Taschenlampen in der Hand, einige rote Schals sind zu sehen. Die Frauen warten nicht auf die Abendmesse. Sie demonstrieren in einer Klageandacht für die Erneuerung der Kirche. Drei Vorbeterinnen beten einen Klagepsalm: "Gott, ich trage meine Verzweiflung und Enttäuschung vor dich, ich muss klagen und schreien vor dir", klingt es über den Platz, und: "So viel sexuelle Gewalt und Missbrauch ist verübt worden, von Priestern, deinen und der Menschen Dienern." Immer wieder bricht einer der Frauen beim Beten die Stimme. Man merkt: Der Klagepsalm wird nicht einfach nur abgelesen.

Frauen beten gemeinsam einen Klagepsalm
Bild: ©katholisch.de/fxn

"Gott, ich trage meine Verzweiflung und Enttäuschung vor dich, ich muss klagen und schreien vor dir. Lass mein Gebet zu dir dringen, wende dein Ohr meinem Flehen zu. Wut, Erschütterung, Entsetzen sind in mir. Es treibt mich um morgens und abends und in der Nacht, es zerreißt mich." (Aus dem Klagepsalm)

Er bringt das ins Wort, was viele hier umtreibt. Gerade die Frauen, die seit Jahrzehnten in ihrer Gemeinde engagiert sind, trifft es schwer, was Menschen in der Kirche angetan wurde. "Gott, ich denke an die Opfer, oft noch Kinder, Jungen und Mädchen, denen Gewalt an Leib und Seele angetan wurde und deren Leben nie mehr heil werden kann", geht der Psalm weiter. Dann richten sich dutzende Taschenlampen – und ein paar Handy-Blitzlichter – auf das geschlossene Portal der Josefskirche.

"Macht Licht an!" ist das Motto der Protestaktion. Aufgerufen dazu hat die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands. Gut 450.000 Frauen gehören zu dem größten katholischen Verband. Der kampagnenstarke Zusammenschluss hat schon deutliche Verbesserungen bei Themen wie der Rente für Mütter erstreiten können – dieses Mal haben sie sich ein innerkirchliches Reformthema ausgesucht. Zehntausende Postkarten mit Forderungen zur Reform der Kirche haben sie bisher geschrieben.

Lichtkegel einer Taschenlampe
Bild: ©katholisch.de/fxn

Im Fokus: Missbrauch in der Kirche. kfd-Mitglieder fordern die Bischöfe auf, den Missbrauch aufzuklären und Reformen anzugehen.

Die Forderungen werden auch in Beuel verlesen: Die Bischöfe sollen den Missbrauch endlich glaubwürdig und umfassend aufklären, sie sollen Stellen für unabhängige Missbrauchsbeauftragte einrichten. Die Frauen fordern auch eine Reform der kirchlichen Sexualmoral: Ein "verantwortungsbewusster und befreiender Umgang mit Körperlichkeit und Sexualität" soll Einzug halten in die Ausbildung, Lehre und Katechese der Kirche. Und schließlich: weg mit dem Klerikalismus! "Priester sind Diener Gottes und der Menschen und nicht durch ihre Weihe überlegen oder mächtiger", heißt es im Demonstrationsaufruf.

Protest mitten aus der Kirche

So wie in Beuel haben sich am Mittwochabend in ganz Deutschland kfd-Frauen vor 160 Kirchen versammelt, um das Licht anzumachen, um auf geschlossene Kirchentüren zu zeigen und Reformen zu fordern. "Ich hab so 'nen Hals", sagt eine der Frauen aus dem Beueler Vorstandsteam. Auf dem Kirchplatz hört man das öfter: Wut, Unverständnis, Trauer, dass so lange unter dem Dach der Kirche Missbrauch möglich war. "Die Leute sprechen einem schon an", erzählt eine andere Frau, die Mitglied im Pfarrgemeinderat ist: "Wir kannst du dich da noch engagieren? Wie kannst du da noch mitmachen?" Für sie ist klar: Sie gehört zur Kirche. Aber jetzt geht es darum, ein Zeichen zu setzen.

Eine kfd-Frau richtet ihre Lampe aufs Kirchenportal
Bild: ©katholisch.de/fxn

Zu den Forderungen des Frauenverbandes gehören unabhängige Missbrauchsbeauftragte und eine Reform der Sexualmoral der Kirche.

Für kirchliche Verhältnisse, wo es oft brav zugeht, wo man bestenfalls eine deutliche Resolution beschließt und offene Briefe verschickt, ist der Protest der kfd ungewöhnlich scharf. Warum zeigen die Frauen so mit dem Finger auf die Bischöfe? "Wir zeigen ja nicht mit dem Finger, sondern mit Taschenlampen, um Licht ins sprichwörtliche Dunkel zu bringen", beschwichtigt die stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbandes, Agnes Wuckelt. Wichtig ist ihr ebenso wie den Beueler Frauen: "Wir zeigen nicht als Außenstehende auf die Kirche; für uns ist klar, dass wir an unserer Kirche und unserem Glauben festhalten." Die kfd will das Signal setzen, dass die Gläubigen von ihrer Kirche ein Signal erwarten. "Dass sie volle Verantwortung übernimmt und dass sie sich wirklich verändern will", erläutert Wuckelt.

Wie das konkret aussehen soll, ist gar nicht so einfach. Dass es keine klerikal-autoritären Machtstrukturen mehr geben soll, wie es in den Forderungen steht: Das ist schnell geschrieben. Da kann wohl auch fast jeder Bischof zustimmen – immerhin war das auch ein zentrales Ergebnis der Missbrauchsstudie, die die Bischöfe selbst in Auftrag gegeben hatten. "Sexueller Missbrauch ist vor allem auch Missbrauch von Macht", heißt es in der Studie. "Die Pfarrer sind doch nicht schon durch die Weihe heilige Menschen, das kann doch nicht sein, dass die sich für was besseres halten", sagt auch eine elegante, sicher über 80-jährige Dame mit adretter grauer Dauerwelle und elegantem Mantel auf dem Beueler Kirchplatz.

Teilnehmerinnen der kfd-Klageandacht #MachtLichtAn in Bonn-Beuel
Bild: ©katholisch.de/fxn

Auch bei jahrzehntelang in ihrer Pfarrei engagierten Frauen ist die Wut groß: Wie konnte es sein, dass so lange Missbrauch in ihrer Kirche möglich war?

Aber wie steuert man da in der Praxis dagegen? Wie können die Verantwortlichen in der Kirche das erreichen? "Was die Bischöfe angeht, bin ich leider überfragt; sie müssen selbst tätig werden", sagt dann auch Wuckelt, die an der Katholischen Hochschule in Paderborn Religionspädagogik lehrt. "Aber wir Gläubigen können uns noch stärker bewusstmachen, dass wir Kirche sind. Das Zweite Vatikanum betont, dass das Volk Gottes aus Laien und Geistlichen besteht und es einen offenen Dialog sowie ein Aufeinander-Hören braucht. Hier sehe ich einen Ansatzpunkt."

Konsequenzen der Bischöfe reichen den Frauen nicht aus

Auch die anderen Forderungen greifen Ergebnisse der Missbrauchstudie auf. "Unabhängige und interdisziplinär besetzte Anlaufstellen für Betroffene" fordern die Forscher in ihrem Fazit. Bisher würden Betroffene dadurch abgeschreckt, dass die Zuständigen für die Missbrauchsaufklärung zu eng an kirchliche Stellen angebunden seien. Die Studie problematisiert auch die Haltung der Kirche zu Sexualität: Zwar wird darin der Zölibat selbst nicht als Risikofaktor gesehen, ebenso wenig wie Homosexualität unter Priestern. Doch die Forscher mahnen eine bessere Auseinandersetzung der künftigen wie der fertig ausgebildeten Seelsorger "mit der eigenen Emotionalität, Erotik und Sexualität" an. Priester sollen psychologisch und seelsorgerisch begleitet werden.

Das alles haben die Bischöfe schon gelesen und debattiert. Bei ihrer letzten Vollversammlung haben sie intensiv die Ergebnisse der Studie in den Blick genommen. Die Konsequenzen der Bischofskonferenz haben nicht alle überzeugt; kirchliche Reformgruppen hatten sich enttäuscht über die vorgestellten Schritte geäußert: ein standardisiertes System für Personalakten, stärkere Einbindung externer Fachleute, eine "Fortentwicklung" des Systems der Entschädigungszahlungen. Und immerhin: Man wolle einen Gesprächsprozess öffnen über den Zölibat und "verschiedene Aspekte der katholischen Sexualmoral", kündigte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, an.

Dranbleiben, weiter laut sein

Auch für die kfd war damit noch nicht genug Licht im Dunkel; erst nach der Vollversammlung der Bischofskonferenz haben sie zu ihrer Protestaktion aufgerufen. Bisher hat sich noch kein Bischof bei dem Verband gemeldet, um über die Forderungen zu reden, trotz des großen Medienechos im Vorfeld. "Wahrscheinlich wartet die Bischofskonferenz erst einmal das Ausmaß und die Wirkung unserer Aktion ab", vermutet Wuckelt. Verhallen werden die Proteste nicht, glaubt sie: "Eine solche Masse von Unterschriften kann auch eine Bischofskonferenz nicht ignorieren."

Unterschriften für Reformen in der Kirche sammeln
Bild: ©katholisch.de/fxn

Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, sammelt die kfd Unterschriften: 85.000 Postkarten wurden verschickt, die später der Deutschen Bischofskonferenz überreicht werden sollen.

In Beuel endet die Aktion, Taschenlampen werden in den Taschen der Wintermäntel verstaut. Nach einem Vaterunser und einem Gebet zur Erneuerung der Kirche ("Schenke den Verantwortlichen Gottes Geistkraft, damit nach vielen Worten nun Taten folgen!") verteilen Helferinnen Postkarten mit den Forderungen. Die Teilnehmerinnen der Klageandacht füllen sie eifrig aus. Die Beueler Postkarten werden jetzt nach Düsseldorf in die Zentrale der kfd geschickt, in ein paar Wochen sollen sie auf der anderen Bonner Rheinseite der Bischofskonferenz übergeben werden. "Und im Anschluss heißt es wie immer: dranbleiben, nicht nachlassen, weiter laut sein", kündigt Wuckelt an: "Gerne auch noch lauter."

Von Felix Neumann

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kfd-Gebet zur Erneuerung der Kirche

Gott, Dein Licht leuchtet in der Finsternis. Vor Deinem Licht bleibt nichts verborgen. Kein Opfer von Gewalt ist von dir vergessen.

Du bist die Sonne der Gerechtigkeit. In Deinem Licht sehen wir die Welt neu. Du willst, dass Deine Kirche sich immer wieder auf das Evangelium besinnt und sich erneuert. Durch die Taufe sind wir beauftragt, Deine Frohe Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden, in dem Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Missbrauch keinen Platz haben. Durch Deinen Sohn Jesus Christus ist eine neue Wirklichkeit angebrochen.

Er sammelte Jüngerinnen und Jünger um sich und lebte ein neues Miteinander von Frauen und Männern vor. Er nahm sich der Ausgestoßenen und Armen an. Er begehrte gegen Hierarchien auf und stritt mit religiösen Führern. Er blieb sich treu bis zum Tod am Kreuz.

Wir sind berufen, am Reich Gottes weiterzubauen. Als Christinnen und Christen sind wir beauftragt, von der Hoffnung Zeugnis zu geben, die in uns ist.

Wir glauben an eine Kirche, die als Gemeinschaft die Kraft zur Erneuerung und zu grundlegenden Reformschritten hat. Schenke den Verantwortlichen dazu Gottes Geistkraft, damit nach vielen Worten nun Taten folgen.

Gott, stärke deine Kirche!

So segne uns Gott, der mehr ist als Vater und Mutter, durch Jesus Christus, Kind Gottes, das uns immer wieder neues Leben verheißt, in der Heiligen Geistkraft, die uns stärkt und aufrecht gehen lässt. Amen.