"Manche Formen von Kinderarbeit sind nützlich"
Frage: Herr Krämer, was ist das Anliegen des Tages der Kinderarbeit?
Krämer: Der Tag wurde 2002 von der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ins Leben gerufen und ist pauschal darauf ausgerichtet, Kinderarbeit abzuschaffen. Wir als Christliche Initiative Romero beteiligen uns aber nicht daran. Denn der Tag schadet den Kindern unter Umständen mehr als er ihnen nutzt. Nicht jede Form von Kinderarbeit ist schädlich. Wenn Regierungen Maßnahmen gegen Kinderarbeit ergreifen, werden die Kinder in die Illegalität gedrängt. Dort sind die Bedingungen aber noch viel schlimmer, als wenn Kinder als Straßenverkäufer in der Öffentlichkeit arbeiten.
Frage: Was meinen Sie damit, dass nicht jede Form von Kinderarbeit schädlich ist?
Krämer: In Asien gibt es stark ausbeuterische Formen von Kinderarbeit. Dort arbeiten sehr viele Kinder wie Sklaven in industriellen Fabriken oder in Steinbrüchen. Das ist natürlich überhaupt nicht akzeptabel. Aber diese Form macht nur den kleinsten Teil von Kinderarbeit aus. Mehr als die Hälfte der Kinder, die weltweit arbeiten, sind in der Landwirtschaft beschäftigt und helfen in den kleinbäuerlichen Betrieben ihrer Familien mit. Dieser Bereich ist meist gar nicht im Blick, aber er ist es, der die hohen Zahlen der Kinderarbeit zustande kommen lässt. In Lateinamerika arbeiten zusätzlich viele Kinder im sogenannten "informellen Sektor", als Tortilla-Verkäufer, als Schuhputzer, Scheibenputzer auf der Straße. Auch unter diesen Jobs gibt es natürlich solche, die viel zu gefährlich sind. Aber viele Formen von Arbeit schaden den Kindern nicht. Wir sagen sogar: Es gibt Formen von Kinderarbeit, die positiv zu bewerten sind.
Frage: Welche könnten das sein?
Krämer: In Lateinamerika, wo wir uns besonders engagieren, herrscht häufig eine Art Dreiklang: Die Kinder gehen zur Schule, haben Freizeit, aber sie tragen eben auch zum Unterhalt ihrer Familien bei. Das sehen sie selbst durchaus positiv: Das betonen auch Organisationen, in denen sich arbeitende Kinder zusammenschließen, um für ihre Rechte einzustehen. Manchmal wird sogar die eigene Schulbildung erst dadurch möglich, weil die Familien sich das finanziell sonst nicht leisten könnten.
Linktipp: Kinderarbeit
Sie schuften in Steinbrüchen und auf Plantagen, werden in Privathaushalten wie Sklaven gehalten oder verkaufen ihre Körper. Kinderarbeit gefährdet nicht nur Gesundheit und Sicherheit, sie hinterlässt auch tiefe Wunden an Körper und Seele.Frage: Engagiert sie sich die Kirche ausreichend gegen Kinderarbeit?
Krämer: Die Kirche macht schon einiges. Die Haltung ist aber je nach Organisation unterschiedlich. Manche haben noch den traditionellen Blick, dass Kinderarbeit pauschal verboten werden müsse. Wenn für fair gehandelte Produkte mit dem Slogan "garantiert ohne Kinderarbeit" Werbung gemacht wird, geht das für unser Verständnis an der Sache vorbei. Denn auch Kinder, die möglicherweise unter würdigen Bedingungen mit ihren Eltern bestimmte Produkte herstellen, dürfen nicht mehr arbeiten, wenn ein Produkt dieses Siegel tragen soll. Das ist aber überhaupt nicht in ihrem Interesse. Wir vertreiben zum Beispiel Weihnachtskarten, die von Kindern gebastelt werden und wir machen provokant Werbung damit, dass sie aus Kinderhand stammen, aber eben unter würdigen Bedingungen hergestellt sind. Sie entstehen in Werkstätten in Peru, wo Kinder unter geschützten Bedingungen arbeiten und damit ihr Geld verdienen.
Frage: Worauf können die Verbraucher beim Konsum achten?
Krämer: Ein Kriterium, nach dem sich Verbraucher richten können, ist nach wie vor das klassische "Fairtrade" Siegel. Es geht differenziert mit Kinderarbeit um, achtet also darauf, dass keine Produkte aus ausbeuterischer Arbeit angeboten werden, sieht aber auch, dass auch ein mithelfendes Kind in einer bäuerlichen Familie nicht automatisch ein Problem darstellt. Außerdem berücksichtigt es neben der Kinderarbeit auch noch andere Kriterien. Das unterstützen wir. Denn auch die Rechte von erwachsenen Arbeitnehmern müssen gewährleistet sein.