Mann des geraden Wortes
Sein Bistum Xingu ist das flächenmäßig größte Brasiliens . Nun ist "Dom Erwin" sogar so etwas wie der Übersetzer von Papst Franziskus im deutschsprachigen Raum geworden: Er lebt das vor, was der lateinamerikanische Papst fordert.
"Dom Erwin" trägt gern Turnschuhe und einen schlichten Priesterornat. Nur drei Monate im Jahr verbringt er am Schreibtisch in Altamira. Sein Platz ist in den Gemeinden im Regenwald, die sonst nur selten einen Priester zur Messfeier haben; an der Seite der entrechteten Indios, deren Lebensraum von Großunternehmen zerstört wird. Kräutler ist ein Mann des geraden Wortes, auch wenn es bedrohlich wird. Wirtschaftsbossen und Landräubern, Holzhändlern und Großgrundbesitzern stellt er sich in den Weg.
Kräutler kämpft für die Rechte der Ureinwohner
Wenige Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Vorarlberg geboren, personifiziert "Dom Erwin" die Entwicklung der Kirche Lateinamerikas seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965). Den jungen Ordenspriester rief 1965 sein Onkel, Bischof Erich Kräutler, nach Brasilien. Dort lernte er zunächst eine klassische Seelsorge kennen, die den Priester vor allem als Massenspender von Sakramenten sah, die aber ohne jede Anbindung an eine Gemeinde blieben.
Bei ihrer Generalversammlung in Medellin 1968 beschlossen die Bischöfe Lateinamerikas eine grundlegende Neuordnung der Seelsorge: eine Kirche, gemeinsam auf dem Weg. Kleine Gemeinden mit viel Laienverantwortung , schon bald "kirchliche Basisgemeinden" genannt, sollten zur Keimzelle der Kirche werden; die wenigen Priester sollten möglichst viel bei den Menschen sein.
Als Bischof von Xingu und als Präsident des CIMI, des Indianermissionsrates der Brasilianischen Bischofskonferenz, kämpft Kräutler für die Rechte der Ureinwohner und der Landlosen im Amazonas, für den Schutz des Regenwaldes. 2010 wurde er dafür mit dem sogenannten Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Mehrere Mitarbeiter Kräutlers wurden ermordet; auch er selbst erhielt Morddrohungen. Er steht unter dauerndem Polizeischutz und kann seinen allmorgendlichen Fünf-Kilometer-Spaziergang nicht mehr am Fluss absolvieren, sondern nur noch im Haus.
"Wie eine zweite Bischofsweihe"
1983 machte Kräutler international Schlagzeilen, als er während der Militärdiktatur von der Polizei verprügelt wurde. Er hatte sich mit Zuckerrohrschnittern solidarisiert, die fast ein Jahr auf ihren Lohn gewartet hatten. In ihrer Verzweiflung besetzten sie die zentrale Straße "Transamazonica". Auch Kräutler, der zur Verhinderung einer Eskalation hergeeilt war, wurde als vermeintlicher Aufwiegler angegangen. Journalisten dokumentierten, wie er von Sicherheitskräften zu Boden geworfen und abtransportiert wurde.
Kräutler selbst meint, er habe damals nur seinen Job gemacht: Er sei bei den Menschen gewesen. Die scharten sich um ihn und schrien: "Lasst ihn los - er ist unser Bischof!" das war, sagt er rückblickend, "für mich wie eine zweite Bischofsweihe". 1987 wurde er bei einem mysteriösen Autounfall schwer verletzt - als er sich dafür einsetzte, die Rechte der Indigenen in der neuen Verfassung zu verankern. Der Kampfeswille ist weiter da, die Empörung über Menschenrechtsverletzungen, soziale Missstände und das Riesenstaudammprojekt am Xingu-Fluss, durch das Zehntausende Menschen ihnen Lebensraum verlieren.
Schon 1985 seufzte Papst Johannes Paul II. über der Landkarte mit Kräutlers Diözese: "Zu groß!". Und über die Zahl seiner damals 16 Priester: "Zu wenige!" Heute sind es 26 - für eine inzwischen 15 mal größere Zahl von Katholiken. Immerhin: Kräutler soll nun Pläne für eine Dreiteilung der Diözese vorlegen. Und mit seinem 75. Geburtstag muss er dem Papst seinen Amtsverzicht anbieten. "So kann es sein, dass ich gleich drei Nachfolger bekomme - damit käme ich ins Guinness-Buch der Rekorde." Arbeitslos wird er so oder so nicht werden. Unter anderem hat ihm Franziskus angetragen, an dessen Umweltenzyklika mitzuarbeiten.
Von Alexander Brüggemann (KNA)