Niehues: Sexualität darf Priester nicht bestimmen
Priester dürfen ihre sexuellen Neigungen laut dem Münsteraner Regens Hartmut Niehues nicht zum bestimmenden Teil ihrer Persönlichkeit werden lassen. Gleichzeitig dürften sie ihre Sexualität nicht verleugnen, sagte der Vorsitzende der deutschen Regentenkonferenz im Interview mit der Kirchenzeitung "Kirche und Leben". Er plädierte für einen unverkrampften Umgang mit dem Thema besonders in der Priesterausbildung.
Die Seminaristen müssten lernen, mit ihrer Sexualität umzugehen, so Niehues. Das gelte für heterosexuelle genauso wie für homosexuelle Männer. Mit Blick auf die vatikanischen Leitlinien zur Weihe Homosexueller erklärte der Regens: "Eine homosexuelle Orientierung darf nicht das überlagernde Motiv sein, Priester zu werden." Im Dezember 2016 hatte der Vatikan neue Regeln für die Priesterausbildung erlassen, die unter anderem die Weihe von Männern untersagen, die "tiefsitzende homosexuelle Tendenzen" aufweisen. Die Formulierung war bei zahlreichen Theologen und Experten aus der Praxis auf Kritik gestoßen.
Niehues: Sexualität ist nicht die einzige Kraft des Menschen
Unabhängig von ihrer Orientierung sei von den Zölibatären gefordert, mit ihrer Sexualität als von Gott gegebener Kraft verantwortlich umzugehen, so Niehues. "Ich habe als Mensch ja auch einen Aggressionstrieb und muss lernen damit umzugehen, um nicht sofort jemanden zu schlagen." Grundsätzlich sei es jedoch entscheidend, dass die angehenden Priester verstehen, "dass genital gelebte Sexualität nicht das einzige ist, was ich als Mensch an schöpferischer Möglichkeit habe". Priester müssten sich in besonderer Weise die Frage stellen, wie sie intime Beziehungen pflegten.
Die Sexualität der Kandidaten sei heute selbstverständlicher Bestandteil der Ausbildung im Priesterseminar, sagte Niehues weiter. "Wir sind da sicher oft unverkrampfter in der Ansprache, als das in anderen gesellschaftlichen Bereichen, auch in vielen Familien der Fall ist." Zugleich herrsche in der Gesellschaft insgesamt eine größere Akzeptanz gegenüber unterschiedlichen sexuellen Neigungen. "Als Anfang der 90er bei der RTL-Show 'Tutti Frutti' das erste Mal halbnackte Frauen im Fernsehen zu sehen waren, war das noch ein Skandal. Heute würde darüber vermutlich kein Mensch mehr reden", so der Priester.
Zöibat ist schwer zu vermitteln
Andererseits sei es heute für viele Menschen kaum mehr verständlich, "wie ein Mann auf eine exklusive Beziehung mit einer Frau und damit auf körperlich-sexuelle Betätigung freiwillig verzichten kann." Für Niehues liege der Wert des Zölibates darin, "eine große persönliche Freiheit in der Beziehung zu den Menschen" zu bringen. Für die angehenden Priester sei es daher auch entscheidend, zu lernen, mit einem Scheitern an diesem Ideal umzugehen. "Es hilft nicht, das zu dramatisieren." Probleme müssten die Seminaristen etwa im Gespräch mit geistlichen Begleitern klären. Zugleich warnte der Regens: "Natürlich gibt es gleichzeitig rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen."
Den häufig kolportierten überdurchschnittlichen Anteil homosexueller Männer im katholischen Klerus hält Niehues für nicht nachweisbar. "Konkrete Zahlen habe ich nicht", sagte er. Ihm gegenüber würden sich zwar einzelne Seminaristen im vertraulichen Gespräch "mit ihren Fragen" anvertrauen, eine allgemeine Statistik gebe es jedoch nicht. Ohnehin sei die Zahl der homosexuellen Priester laut Niehues nur "wichtig für die, die von außen blicken, weil hier viele Männer unter einem Dach wohnen. Das macht die Sache 'spannend'." In der Vergangenheit hatten sich teilweise auch katholische Experten zu dieser Frage geäußert. So erklärte der Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller im Gespräch mit katholisch.de, "weit über 20 Prozent aller Priester" seien homosexuell. (kim)