Wieviel Event passt ins Gotteshaus?

Pro und Contra: Kulturevents in der Kirche

Veröffentlicht am 09.06.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Kultur

Bonn ‐ Kirchen öffnen gern ihre Türen, nicht mehr nur zu Gottesdienst und Gebet: Für Kunstausstellungen, und jetzt sogar für einen Stadtlauf. Gut so, sagt katholisch.de-Redakteurin Agathe Lukassek. Ihr Kollege Kilian Martin ist skeptisch.

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Pro: Macht die Türen der Kirchen weit auf!

In diesem noch jungen Jahrtausend scheinen sie zuzunehmen: Veranstaltungen in Kirchen, die mit Gottesdienst nichts zu tun haben. An Konzerte haben wir uns wohl alle schon gewöhnt, aber es gibt inzwischen auch regelrechte "Events" auch in katholischen Gotteshäusern. Etwa moderne Ausstellungen, Theateraufführungen, Lichtinstallationen mit DJ, die "Nacht der offenen Kirchen", Führungen für die Netzgemeinde bei "Instakirche" oder am Sonntag auch den Jogginglauf "Urban Trail" durch die Bochumer Propsteikirche.

Ich mag diese Öffnung der Gotteshäuser und wünsche mir, dass noch mehr davon kommt. Denn es ist zwar gut, dass die meisten katholischen Kirchen in Deutschland tagsüber den ganzen Tag offen haben, aber das ist viel zu wenig. Denn das bringt nur Touristen und dem sprichwörtlichen "alten Mütterchen" was. Berufstätige etwa bleiben außen vor. Und die sogenannten Fernstehenden sowieso. Ich habe schon von vielen Menschen gehört, dass es sie eine große Überwindung kostet, eine Kirche zu betreten. Es scheint eine – für praktizierende Katholiken kaum nachvollziehbare – unsichtbare Mauer zu geben. Und die müssen abgebaut werden.

Frei nach Papst Johannes XXIII. sage ich "Macht die Türen der Kirchen weit auf!" Und da es zu der Kirche frei nach Benedikt XVI. "so viele Wege gibt, wie Menschen", bin ich über (fast) jede neue Idee froh. Vor zwei Jahren strömten so junge Fans von PC-Spielen in den Kölner Dom und für Kardinal Woelki war klar, dass keine Gefahr bestand, als Technoparty missverstanden zu werden. Zu den Instawalks kommen Leute mit ihren Smartphones und Kameras, die nie an einer klassischen Kirchenführung interessiert wären – und zeigen sich beeindruckt über den Kirchenraum, den sie an ihrem Wohnort bislang nur von außen kannten. Ausstellungen und die "langen Nächte" locken eher die Kulturinteressierten.

Aber müssen es auch Jogger sein? Zugegeben: Ich habe kurz geschluckt. Schließlich werden katholische Kirchen als Zeichen der Verehrung der Sakramente und des Wortes Gottes geweiht und somit ist ein würdiger Umgang mit ihnen geboten. Wie so oft hilft hier ein genauerer Blick: Die "Urban Trails" sind Entdeckungsläufe ohne Wettkampfcharakter oder Zeitmessung. Die Teilnehmer sind eingeladen, in den Gebäuden, die sie passieren, zu stoppen und die Sehenswürdigkeiten zu erleben. Würdelos durch die Kirche hetzen wird wohl niemand. Und die Propsteikirche will den Besuchern zusätzlich helfen, den Kirchenraum zu erleben: Weihrauch, Orgelspiel und Lichtspiele durch die Kirchenfenster werden geboten.

Warum nicht? Das sind 2.500 Menschen, von denen sich womöglich einige vornehmen werden, die spätgotische Hallenkirche noch einmal in Ruhe zu besuchen. Es wird auch weiterhin nicht einfacher werden, Menschen für den Glauben zu gewinnen. Sie in eine Kirche zu bekommen kann dazu ein erster Schritt sein. Aber das ist nicht einfach und kostet oft viele Ressourcen. Monat für Monat versuchen es etwa Freiwillige bei dem Projekt "Nightfever", indem sie samstagabends in Innenstädten Passanten ansprechen und ihnen vorschlagen, in der Kirche eine Kerze anzuzünden. Sie und all die anderen, die mit ihren Ideen die Türen öffnen, leisten der Kirche einen großen Dienst.

Von Agathe Lukassek
Der Instawalk #Instakirche im Bonner Münster.
Bild: ©KNA

Der Instawalk #Instakirche im Bonner Münster – Kirchen öffnen ihre Türen für Instagram-Fotografen.

Contra: Nicht alles, was Kultur ist, gehört in die Kirche

Die Kirche ist seit jeher ein Hort der Kultur. Das gilt besonders für die Gotteshäuser, die Meisterwerke der bildenden Kunst schon beherbergten, lange bevor irgendjemand daran dachte, ein Museum zu eröffnen. Auch die abendländische Musik ist ohne ihre Wurzeln in der Liturgie nicht denkbar. Und selbstverständlich ist diese enge Verflechtung von Kultur und Kirche kein Relikt der Vergangenheit, sondern muss auch in Gegenwart und Zukunft gepflegt werden. Aber längst nicht alles, was kulturell bedeutsam sein mag, gehört deshalb in die Gotteshäuser.

Eine Hamburger Gemeinde mag das etwas spät festgestellt haben, als sie die angekündigte Ausstellung der Fotokünstlerin Julia Krahn in ihrer Kirche absagte. Zu viel nackte Haut würden die Bilder zeigen. Wenngleich der Zeitpunkt der Absage überrascht: Wer sich die Fotos im Portfolio der Fotografin ansieht, kann die Entscheidung der Gemeinde wohl nachvollziehen. Kunstvoll sind die Bilder, aber ob sie dem Sinn eines Gotteshauses entsprechen, ist wohl die wichtigere Frage.

Diese stellt sich auch in Bochum beim "Urban Trail". Der Stadtlauf entlang sehenswerter Orte ist eine tolle Idee. Sport lebt schließlich nicht allein vom Ehrgeiz, sondern im Besonderen auch vom Erleben der Schönheit, etwa in der Natur oder eben der Architektur. Weshalb die Laufstrecke aber gleich durch die Kirche hindurch führen muss, bleibt mir jedenfalls unklar.

In beiden Fällen – und sicherlich noch vielen weiteren – wird der Sinn eines liturgischen Raumes falsch verstanden. Denn während Kunst grundsätzlich primär den Selbstzweck zu erfüllen hat, sind Kirchenbauten immer und zuerst Zweckbauten: Sie dienen dem Gebet, der Liturgie, der Anbetung und Verehrung. Da findet sich die Kultur in einem Spannungsverhältnis mit der Kirche wieder. Aktfotografien und Laufveranstaltungen jedoch können den Bogen ganz schnell überspannen.

Am Ende leisten sich Kirchen mit provokanten Kulturveranstaltungen selbst einen Bärendienst. Denn was die Besucher dabei erleben, ist nicht das, wofür die Kirchen außerhalb der Events stehen. Gänzlich profane Kunst und Kultur können in Sakralräumen zweifelsohne funktionieren, dabei laufen sie aber Gefahr, das Sakrale zu überlagern. Wo die Kirche zu Ausstellungshalle oder Laufstadion umfunktioniert wird, ist sie in erster Linie exzentrischer Veranstaltungsort. Sie sollte aber ein Ort sein, die dem Besucher bei egal welcher Gelegenheit vermittelt: Hier ist ein besonderer, ein heiliger Ort.

In seinem Buch "Von heiligen Zeichen" rät Romano Guardini, Stufen und Portal zum Gotteshaus sehr andächtig zu passieren. Man solle sich bei diesen wenigen Schritten bewusst machen, dass man nun – wenn auch nur für einen Moment – das Alltägliche und Profane hinter sich lässt. Ob das auch gelingen kann, wenn man schwitzend und mit Startnummer auf der Brust durch die Türe hetzt?

Von Kilian Martin