So wollen die Legionäre Christi Vertrauen zurückgewinnen
Bei seiner Generalversammlung in Rom hat das Regnum Christi vor wenigen Wochen neue Gemeinschaftsstatuten erlassen und dem Vatikan vorgelegt. Wichtigste Neuerung ist eine kollegialle Leitungsstruktur, die ein System des Missbrauchs wie unter Ordensgründer Marcial Maciel Degollado (1920 bis 2008) verhindern soll. Pater Valentin Gögele hält den Erneuerungsprozess im Regnum Christi für gelungen. Der Ordensprovinzial für West- und Mitteleuropa hofft, dass sich die Gemeinschaft nun wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren kann.
Frage: Pater Valentin, 2009 wurde bekannt, dass es bei den Legionären Christi jahrzehntelang sexuellen Missbrauch gab, an dem auch Ordensgründer Marcial Maciel beteiligt war. Wie ist die Gemeinschaft damit umgegangen?
Pater Valentin: Die Jahre nach dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals waren natürlich sehr hart. Es gab viele Momente der Unsicherheit und des Zweifels – institutionell, aber auch die einzelnen Personen betreffend. Wir haben uns die Frage gestellt, inwiefern die Taten des Ordensgründers auch strukturelle Spuren hinterlassen haben. Das, was in den letzten Wochen und Monaten erarbeitet wurde – mit den neuen Gemeinschaftsstatuten für das Regnum Christi als Ergebnis –, ist die Frucht eines Erneuerungsprozesses, der teilweise steinig und herausfordernd war, der uns aber an der Hand der Kirche zu einer echten Erneuerung sowohl der Ordensgemeinschaft der Legionäre Christi als auch des Regnum Christi geführt hat. Ohne eine geistige Erneuerung – Umkehr, Tiefgang und geistliche Hinwendung auf Jesus Christus – wäre das nicht möglich gewesen. Das Ganze war schon ein reinigender Prozess, der den Blick wieder auf das Wesentliche gelenkt hat.
Frage: Mit dem Missbrauchsskandal ging ein großer Vertrauensverlust in ihre Gemeinschaft einher. Welche Strategie verfolgt das Regnum Christi, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen?
Pater Valentin: In erster Linie versuchen wir, so transparent wie möglich zu sein. Es geht nicht darum, den guten Namen oder den Schein zu wahren. Es geht darum, Gerechtigkeit walten zu lassen und die Dinge beim Namen zu nennen. Wir sind durch die Geschichte gezeichnet und tragen deshalb eine besondere Verantwortung. Doch die beste Strategie, um Vertrauen zurückzugewinnen, ist meines Erachtens ein authentisches Leben und die Freude am gelebten Christsein. Die Glaubwürdigkeit ist das Entscheidende. Ich hoffe – und das ist unser tägliches Bemühen –, dass das nichts Aufgesetztes ist, sondern dass das aus einem Gebetsleben heraus kommt, aus der lebendigen Gemeinschaft, aus einem echten Wunsch, auf die Menschen zuzugehen und in irgendeiner Form einen Beitrag für Kirche und Gesellschaft zu leisten.
Frage: Inwiefern trägt das Regnum Christi der Missbrauchsprävention Rechnung?
Pater Valentin: Wir haben auf diesem Feld in den vergangenen Jahren bereits viel angepackt. Weltweit haben wir in unserer Gemeinschaft, in unseren Institutionen, Schulen und Universitäten Präventionskonzepte eingeführt. Für unsere haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter haben wir überall Schulungen durchgeführt. Wir haben die Vorgaben der Deutschen Bischofskonferenz und der Ordensoberenkonferenz ratifiziert, aber wir haben auch ordensintern Vorgaben formuliert. Wir möchten dazu beitragen, dass eine Kultur der Achtung, des Respekts und der Offenheit gefördert wird. Das ist meiner Meinung nach die beste Missbrauchsprävention. Sollte es – was wir keinesfalls hoffen – dennoch zu erneuten Verdachtsfällen kommen: Wir sind mit den Maltesern übereingekommen und haben dort eine externe Anlaufstelle eingerichtet. Deren Adresse ist auf unseren Internetseiten auch offen zugänglich. Auf der anderen Seite sind auch unsere Leute dazu angehalten, jeden begründeten Verdacht an die entsprechenden Stellen weiterzuleiten.
Frage: Haben die Eintrittszahlen bei den Legionären und im Regnum Christi unter dem Skandal gelitten?
Pater Valentin: Jemand aus unserem Orden hat einmal gesagt: "Wir sind froh, dass wir überlebt haben." Die Eintrittszahlen bei den Legionären Christi sind anfangs schon eingebrochen, oder besser gesagt stagniert. Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass wir uns wieder gefangen haben. Da würde ich Parallelen zur Gesamtkirche ziehen: Wenn sich heutzutage jemand bewusst in der Kirche oder in einer Gemeinschaft engagiert, dann handelt er aus Überzeugung.
Frage: Wie gehen Menschen, die in den letzten Jahren eingetreten sind, mit der Vorgeschichte der Gemeinschaft um?
Pater Valentin: Natürlich wissen sie über die Vorfälle Bescheid. Aber für jemanden, der 2018 mit dem Regnum Christi in Berührung kommt, zählt auch der Erneuerungsprozess der letzten neun Jahre zur Vorgeschichte. Wir haben die Hausaufgaben gemacht, die uns die Kirche aufgetragen hat, und alle Karten auf den Tisch gelegt. Derjenige, der jetzt zu uns stößt, kann das sehen. Er kann sich selber ein Bild machen, ob das authentisch ist und ob er damit etwas anfangen kann. Wir stellen fest, dass sich die Menschen nach wie vor für uns interessieren. Wir haben Mühe, dass wir den ganzen Nachfragen hinterherkommen.
Frage: Der Erneuerungsprozess des Regnum Christi dauerte mehrere Jahre. Wie ist die Gemeinschaft an diesen herangegangen – gerade unter den besonderen Gegebenheiten?
Pater Valentin: Wir mussten Schuld, Fehler und Schwierigkeiten anerkennen – dafür haben wir auch unsere Zeit gebraucht. Wir mussten auch anerkennen, dass sich einige von uns distanziert haben. Der erste Schritt war, erstmal reinzuhören. Der Reformprozess hat versucht, die über 20.000 Mitglieder in irgendeiner Form mitzunehmen. Das ist jetzt keine Demokratie, aber wir wollten die Basis bewusst mitnehmen. Deswegen hat der Prozess auch ziemlich lange gedauert. Wir wollten sehen, wie es den einzelnen Regnum-Christi-Mitgliedern geht. Jeder konnte und durfte sich einbringen. Dann ging es auch darum, diesen Weg der Erneuerung mutig und gemeinsam zu gehen. Wichtig war dabei, größtmöglichen Konsens zu schaffen. Letztendlich gab es dann fast ein einstimmiges Ergebnis bei der Abstimmung über die Statuten. Das hätten wir noch vor einem Jahr nicht erwartet.
Frage: Spiegelt sich dieser Prozess in den neuen Statuten wider?
Pater Valentin: Ein ganz wichtiger Punkt ist die kollegiale Leitung. Wir verstehen uns als eine Einheit, die unter vier verschiedenen Formen [die Ordensgemeinschaft der Legionäre Christi, die gottgeweihten Frauen sowie Männer und die Laien, Anm. d. Red.] das eine Charisma lebt. Das wollten wir auch in der Führung des Regnum Christi widerspiegeln. Die drei gottgeweihten Zweige sind auf der sogenannten Territorialebene vertreten, die Laien haben beratendes Mitspracherecht. Aber im Alltag muss sich dieses bereichernde Miteinander in den Regionen, in denen wir arbeiten, bewähren. Dort soll man die Dinge gemeinsam voranbringen und sich in den einzelnen Berufungen ergänzen. Das Regnum Christi ist weder alleinige Sache der Legionäre Christi noch der Laien – es ist eine gemeinsame Sache. Wir können uns gegenseitig viel geben und viel voneinander lernen.
Frage: Selbst wenn sich der Gründer des Regnum Christi als Verbrecher herausgestellt hat: Kann man sich überhaupt komplett von ihm trennen?
Pater Valentin: Das war natürlich ein schwieriger Prozess. Die Figur des Marcial Marciel war in unserer Gemeinschaft omnipräsent. Aber es war die Aufgabe der vergangenen zehn Jahre, sich von ihr zu lösen. Ich meine, das ist nicht nur in der Theorie geglückt, weil wir zu diesem Thema ein paar Texte haben, die sich vom Gründer distanziert haben. Ich glaube, es ist uns vor allem innerlich gelungen. Wir haben uns bewusst gemacht: Das ist das Regnum Christi, wir sind die Legionäre Christi, und nicht das Regnum und die Legionäre von Marcial Maciel. Andererseits war er das Instrument Gottes, das unsere Gemeinschaft ins Leben gerufen hat. Er hatte seine Zeit. Seine Schriften bekommen auch ihren Raum in den historischen Archiven. Aber wir haben die Bezüge zu ihm gereinigt. Dieser Prozess war durchaus schmerzhaft, aber auch sehr heilsam.
Frage: Wie verhindert das Regnum Christi künftig die internen Strukturen, die Maciel geschaffen hatte?
Pater Valentin: Wir müssen auf allen Ebenen auf der Hut sein und das weiter umsetzen, was uns zu Beginn des Erneuerungsprozesses 2010 durch die Kirche aufgetragen wurde und was sowohl in den neuen Konstitutionen der Legionäre Christi von 2014 als auch jetzt in den neuen Generalstatuten des Regnum Christi verschriftlicht ist. Das bedeutet einerseits die kollegiale Leitung, andererseits das Rückbesinnen auf die geistigen Wurzeln, die uns verbinden. Es gibt mittlerweile mehr Flexibilität für das einzelne Ordensmitglied und somit aber auch mehr Eigenverantwortung, was auch gewünscht und gefördert wird. Dazu haben wir beispielsweise eine neue Ausbildungsordnung für die Legionäre Christi erarbeitet. Für die Ordensleute gibt es außerdem eine klare Trennung zwischen innerem und äußerem Forum, das heißt zwischen Ausbildung einerseits und geistlicher Begleitung andererseits. Das einzelne Mitglied hat bei Problemen nun mehrere Ansprechpartner.
Frage: In Mexiko bereiten Opfer eine Klage vor, in Italien auch – sind die Verbrechen überhaupt schon aufgearbeitet?
Pater Valentin: Mir ist bewusst, dass es immer noch offene Verfahren gibt. Wir kooperieren mit den zuständigen Stellen so gut es geht. Wir legen da auch ganz klar offen, was wir haben. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt, dass Vertuschung oder Problemverschiebung überhaupt nichts bringen. Dass manche Situationen noch bereinigt werden müssen, das ist einfach so.
Frage: Sehen Sie das Regnum Christi auf einem guten Weg?
Pater Valentin: Wir sind jetzt an einem Endpunkt in unserer Erneuerung angelangt. Dieser ist gleichsam ein Startschuss für das, wofür wir eigentlich da sind. Mein großer Wunsch ist es, dass wir den Sinn unseres Daseins als Regnum Christi außerhalb von uns selbst wiederentdecken – den Dienst an der Kirche und an der Gesellschaft. Unsere Frage muss wieder lauten: Wie können wir unseren Beitrag leisten, dass Kirche lebendig ist und der Glaube auch noch 2018 Freude bereitet? In den vergangenen Jahren war unser Blick gezwungenermaßen auf uns selbst gerichtet. Nun soll auch wieder der Blick nach außen gerichtet werden, auf unsere Aufgabe und unsere Sendung in dieser Welt. Das haben wir klar vor Augen.