Kritik an Reformkonzept der Bischöfe

Theologen: Kirche hat Forschung jahrzehntelang ignoriert

Veröffentlicht am 06.04.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Der Missbrauchsskandal erschüttert die katholische Kirche bis ins Mark. In Lingen haben die deutschen Bischöfe einen "synodalen Weg" beschlossen, um mit Reformen aus der Krise zu kommen. Dazu haben sich jetzt eine Reihe von Theologen geäußert.

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Braucht es eine neue Theologie nach dem Missbrauchsskandal? Diese Frage lässt die "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag) von etlichen deutschsprachigen Theologen beantworten. Allesamt Wissenschaftler, die tatsächliche und spürbare Veränderungen fordern.

Anders als etwa der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der in einem Grundsatzbeitrag für die "Tagespost" argumentiert hatte, das Heil der Kirche liege vor allem in der Rückbesinnung auf Christus und seine Lehre. Sie könne sich, egal wie groß medialer Druck und öffentliche Erwartungen auch sein mögen, "keine Veränderungen ihrer Lehre abtrotzen lassen, wenn diese dem Geist des Evangeliums widersprechen".

Woelki spricht damit genau die Kernfrage an hinter dem "verbindlichen synodalen Weg", den die Bischöfe beschlossen haben. Dabei sollen etwa Zölibat, Sexualmoral und die Macht der Kleriker zur Debatte gestellt werden. Doch sind hier wirklich Änderungen möglich? Und - wenn ja - was davon können die deutschen Bischöfe auf den Weg bringen?

Theologie fordert seit Langem Veränderungen

Bei diesen "klassischen Reizthemen" sei die theologische Debattenlage "sehr klar", betont der Würzburger Fundamentaltheologe Matthias Remenyi in "Christ & Welt": "Weite Teile der akademischen Theologie fordern seit Langem mit guten Gründen neue Zugangswege zum Amt und eine Neubewertung etwa von Homosexualität." Von kirchenamtlicher Seite aber würden theologische Forschungsergebnisse "seit Jahrzehnten schlicht ignoriert". Der Missbrauchsskandal mache zudem eine "Struktur- und Leitungskrise" deutlich.

Der Salzburger Fundamentaltheologe Gregor Maria Hoff kritisiert Versuche, die Missbrauchstaten nur einzelnen sündigen Priestern oder gleich dem Teufel in die Schuhe zu schieben: "Mit der satanischen Macht des Bösen lassen sich jedenfalls weder Täterprofile katholischer Priester noch die Regie des Vertuschens erfassen." Die Kirche stecke in einer "Sakralisierungsfalle" und sehe sich als heilige Macht, habe aber "ihre Heiligkeit schändlich missbraucht". Hoff sieht als einzigen Ausweg eine Gewaltenteilung - "durch Machtkontrolle von außen, durch kirchliche Gewaltenteilung von innen".

Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Bischof Franz-Josef Bode (M.) und Mechthild Heil, Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), am 11. März 2019 in Lingen bei der Übergabe von knapp 30.000 Unterschriften zur Erneuerung der Kirche und Aufklärung der Missbrauchsfälle.

Die Freiburger Theologin und Soziologin Rita Werden warnt Bischöfe davor, vor allem Vertrauen zurückgewinnen zu wollen: "Das darf nicht die erste Motivation sein. Weil es nicht um Kirche geht, sondern um das Wohl von Menschen." Hier müsse Theologie ansetzen und "nicht in erster Linie um Kirchenräson bemüht sein".

Werden kritisiert auch das Argument, man dürfe weder Strukturen ändern noch Frauen weihen, weil dies nicht Gottes Willen entspreche: "Wir müssen Theologie anders denken und uns eingestehen: Theologie ist Interpretation. Sie ist menschenerdacht." Wenig hilfreich seien "Denkverbote", aber auch Aussagen zu Missbrauch nach dem Motto: "Wenn man sich an Theologie und Moral der Kirche gehalten hätte, wäre vieles nicht passiert."

Theologin kritisiert klerikale Selbstüberhöhung

"Es geht bei Macht- und sexuellem Missbrauch ja nicht einfach darum, dass einem labilen Kaplan seine Priesterrolle zu Kopf gestiegen ist", ergänzt die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop: "Klerikale Selbstüberhöhung" werde entscheidend durch dogmatische Konzepte und kirchliche Strukturen forciert und theologisch legitimiert. Solange etwa die Entscheidungsvollmacht in Lehre, Leitung und Gottesdienst an einen kirchlichen Stand gebunden sei, "tritt formale Autorität an die Stelle kompetenzbasierter Legitimation und Rollenübernahme."

Systematische Theologie, so Knop weiter, müsse stärker als bisher auf "verhängnisvolle Verschränkungen von Theologie, Spiritualität, Gottesdienst und Struktur der Kirche hinweisen". Dazu brauche sie aber "Wissenschaftsfreiheit und inneren Freimut".

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller spricht sich für eine "grundlegende Überarbeitung der kirchlichen Sexualmoral, insbesondere der Bewertung der Homosexualität" aus. Kirchenrechtlich fordert er bei Missbrauchsfällen ein "Klagerecht für die Betroffenen mit umfassender Akteneinsicht" sowie die Aufhebung der Geheimhaltungsverpflichtung. Außerdem müssten überführte Täter stärker mit in die Verantwortung für die finanzielle Entschädigung einbezogen werden.

Von Gottfried Bohl (KNA)