Die Kartause von Avignon stellt alle anderen in den Schatten

Tot für die Welt, offen für Gott

Veröffentlicht am 29.07.2017 um 13:30 Uhr – Lesedauer: 
Orden

Avignon ‐ Die Stadt Avignon birgt einen Geheimtipp für kirchlich interessierte Besucher: die ehemals größte Kartause Frankreichs. Sie gibt einen tiefen Einblick in das Leben des strengsten aller katholischen Orden.

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Sie gehört wohl zu den am meisten unterschätzten Sehenswürdigkeiten Südfrankreichs: die Kartause von Villeneuve-les-Avignon. In Blickweite zum mächtigen Papstpalast am anderen Ufer der Rhone, hat sie wenig Chancen, die Aufmerksamkeit jener Touristenbusse zu erheischen, die die Provence in drei oder Europa in acht Tagen absolvieren. Vielleicht ist das ja auch gut so - denn die Klöster des Kartäuserordens waren nie für Menschenmassen gemacht.

Kartausen waren und sind Oasen des Schweigens, wie sie der Film "Die große Stille" von Philip Gröning 2005 einem breiteren Publikum nahe gebracht hat. Die Kartause Notre-Dame-du-Val-de-Benediction von Villeneuve-les-Avignon ist ein päpstliches Geschenk: ein dickes Dankeschön sozusagen des rechtsgelehrten Kardinals Etienne Aubert, der im Dezember 1352 als Innozenz VI. zum Papst gewählt wurde. Zuvor hatte der Ordensobere der Kartäuser, Jean Birel, aus Demut und unter Verweis auf den Ordensgehorsam auf den Stuhl Petri verzichtet.

Drei Kreuzgänge und ein Papstgrab

Die erste Stiftung, für die der neue Papst auf seinen Kardinalspalast und sein Grundstück in Villeneuve-les-Avignon verzichtete, war ursprünglich nur für ein Dutzend Kartäuser vorgesehen. Doch es entwickelte sich daraus im Lauf der Jahrhunderte die größte Kartause Frankreichs, mit seinen drei Kreuzgängen sogar noch fast imposanter als das Mutterkloster des Ordens, die Grande Chartreuse nördlich von Grenoble. Innozenz VI. hielt Zeit seines zehnjährigen Pontifikats intensiven Kontakt zu "seiner" Kartause, und er liegt dort auch begraben.

Der Alltag der Kartäuser besteht größtenteils aus Gebet - in der Stille und alleine.
Bild: ©dpa

Der Alltag der Kartäuser besteht größtenteils aus Gebet - in der Stille und alleine.

Das Kloster wurde 1792 im Zuge der Französischen Revolution aufgehoben, zerstückelt und verkauft. In den 1830er Jahren wurde der Schriftsteller Prosper Merimee auf dessen Zerstörung aufmerksam und setzte sich für den Erhalt ein. Doch es dauerte bis 1909, bis eine umfangreiche Restaurierung in Angriff genommen wurde. Heute ist der umfängliche Komplex ein Museum und Sitz mehrerer Kultureinrichtungen. Wenn überhaupt ein Baudenkmal von dieser Größe und Güte ein Geheimtipp sein kann: Dies wäre einer. Denn hier kann man auf einem Spaziergang mustergültig das zurückgezogene Leben der Kartäuser nachvollziehen.

Das karge Leben in der frommen Festung

Bis heute ist dieser strengste Orden der katholischen Kirche ganz darauf bedacht, sein religiöses Leben vor Störungen von außen zu schützen. In einer Art frommer Festung bewohnt jeder der Mönche ein eigenes Häuschen, die zu einem harmonischen Ensemble aneinandergefügt sind. Eine kleine Klappe, durch die ein Laienbruder die karge Mahlzeit in die Zelle reicht. Ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch, ein schmales Bücherbord, ein Gebetsbänkchen, eine Toilette, ein Waschbecken, eine Werkbank, ein Holzstapel, dazu ein kleiner Kräutergarten. Das ist das ganze weltliche Reich des Kartäusers.

Die Kartäuser: Stille und Einsamkeit

Der heilige Bruno hatte genug von kirchlichen Missständen, als er eine Gemeinschaft gründete, die sich ganz dem Gebet verschreiben wollte. Bis heute leben die Mönche völlig abgeschieden.

Innerhalb dieser Wände verbringt er den allergrößten Teil seines Lebens. Es ist eine Verbindung aus Einsiedler- und Gemeinschaftsleben, das einen Ausgleich zwischen geistiger und entspannender körperlicher Tätigkeit anstrebt. Der Tagesablauf ist streng und vollzieht sich meist in Schweigen: Nach dem ersten Gebet in der Zelle um sechs Uhr folgen Meditation und Anbetung, danach um 7.15 Uhr die erste gemeinsame Messe. Ohne Frühstück folgen um 9.30 Uhr Studium, um 10.30 Uhr eine halbe Stunde Handarbeit, danach Gebet und Mittagessen in der Zelle.

Nach 13.15 Uhr wieder Studium, Handarbeit, Gebet in der Zelle, gemeinsame Tagesvesper in der Kirche, danach erneut Studium. Um 16.45 Uhr Abendbrot - im Winter nur Brot und Getränk. Freitags wird bei Wasser, Brot und Salz gefastet, ebenso wie im Advent und in der Fastenzeit. Fleisch isst der Kartäuser niemals. Abschluss des Tages ist um 18.00 Uhr ein Gebet in der Zelle.

Gegen 22.45 Uhr wird der Schlaf durch das zwei bis drei Stunden dauernde Nachtoffizium unterbrochen. Von abends sieben bis morgens sieben gilt das «Große Schweigen». Es ist total - und wie alles im Leben der Kartäuser auf die Versenkung in Gott ausgerichtet. Die Stille ist ihr Schatz, aber auch ihr persönlicher Kreuzweg, den sie als Gebet für die Welt auf sich nehmen.

Die Kartäuser wollten keine Erleichterung

Ihre strenge Lebensweise hat auch den Päpsten Respekt abgenötigt. "Carthusia numquam reformata quia numquam deformata" - "Die Kartäuser wurden niemals reformiert, weil ihre Ordnung niemals verfallen ist." Diese Innozenz XI. (1676-1689) zugeschriebene Einschätzung galt schon, seit der Orden im 14. Jahrhundert eine Bittgesandtschaft zu Urban V. (1362-1370) nach Avignon schickte, weil dieser ihnen aus Anerkennung eine Erleichterung ihrer strengen Regel verschaffen wollte. Verwundert, aber auch bewundernd kam Papst Urban ihrem Ansinnen nach Erhalt der Strenge nach. Die Kartäuser durften ihr Leben so weiterführen, wie sie es wünschten: tot für die Welt, um sich ganz für Gott zu öffnen.

Von Alexander Brüggemann (KNA)