Umnutzung von Kirchen: So will das Bistum Essen helfen
Die Gründe lauten Gläubigenmangel, Priestermangel und letztlich vor allem Geldmangel: Seit der Jahrtausendwende wurden in Deutschland über 500 katholische Kirchengebäude als Gottesdienstorte aufgegeben. Allein im Bistum Essen waren es mehr als 100 Gotteshäuser, die seitdem außer Dienst gestellt wurden. Gut die Hälfte davon erhielt bislang eine neue Nutzung, über 30 Kirchen fielen der Abrissbirne zum Opfer.
Nun folgt im Ruhrbistum die nächste Phase seiner Strukturreform: Als Teil des sogenannten "Pfarreientwicklungsprozesses" mussten die insgesamt noch 42 Pfarreien dem Bischof bis Ende des vergangenen Jahres ihre Zukunftspläne in Form eines "Votums" vorlegen. Darin festgehalten ist unter anderem, von welchen Immobilien man sich aufgrund geringer werdender finanzieller Möglichkeiten bis zum Jahr 2030 trennen möchte. Nach Bistumsangaben muss nun in den kommenden Jahren für etwa 100 der derzeit noch 260 Kirchen der Diözese eine neue Nutzungsmöglichkeit gefunden werden. Dabei möchte das Bistum seine Kirchengemeinden jedoch nicht alleine lassen.
Im Januar hat daher im Essener Generalvikariat die neue "Arbeitsstelle für Immobilienentwicklung" ihre Arbeit aufgenommen: Die darin tätigen Immobilien-Fachleute sollen die Kirchengemeinden bei den Veränderungen ihres Gebäudebestands beraten und unterstützen. Dass die Experten alle Hände voll zu tun haben werden, ist schon jetzt klar: "Konkret rechnen wir mit circa 300 Immobilienprojekten bis 2030 – man könnte also von einem 'Massenproblem' sprechen", sagt Arbeitsstellenleiter Peter Geisler. Denn nicht nur für Kirchen gelte es neue Nutzungsmöglichkeiten zu finden, sondern auch für weitere Gebäude eines Pfarreistandorts – darunter Gemeindezentren, Pfarrhäuser, Kitas oder Altenheime. Inzwischen habe man die Zusammenarbeit mit 29 der 42 Pfarreien im Ruhrbistum aufgenommen, so Geisler.
Und wie sehen die Hilfen aus? "Wir beginnen unsere Arbeit mit dem sogenannten 'ImPlan', dem Pfarreiimmobilienplan", sagt Geisler. In diesem analysiere die Arbeitsstelle den jeweiligen Standort mit seinem gesamten Gebäudebestand und mache den Pfarreien Vorschläge, was mit welchen Immobilien geschehen könne. Zudem werde ein Zeitplan aufgestellt, was jeweils bis zu den Jahren 2020, 2025 und 2030 machbar sei. "Hieran schließt sich eine Abstimmungsphase an, in der die Pfarrei für sich klärt, ob sie den Vorschlägen folgen will oder bestimmte Änderungen wünscht", so Geisler. Im "ImPlan" sei zudem festgelegt, wie intensiv die Arbeitsstelle die Pfarrei bei ihrer Immobilienentwicklung künftig unterstützen soll; das reiche von punktuellen Hilfen über eine langfristige kooperative Unterstützung bis hin zur vollständigen Übernahme eines Immobilienprojektes durch die Arbeitsstelle.
Hierarchie der Umnutzungsmöglichkeiten
Geht es nun konkret um die Umnutzung von Kirchengebäuden, hält sich die Arbeitsstelle an eine strikte "Hierarchie" von Möglichkeiten, wie sie auch die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer entsprechenden Arbeitshilfe formuliert. Eine weitere liturgische Nutzung hat dabei Priorität, gefolgt von einer sogenannten Teilumnutzung – bei der die Kirche zum Teil Gotteshaus bleibt –, bis hin zu einer vollständigen Um- bzw. Neunutzung. "Natürlich begrüßen wir eine Folgenutzung für kirchliche Gebäude sehr, die der eigentlichen, ursprünglichen Nutzung ähnlich ist", sagt Magdalena Twarowska, Architektin und Bistums-Referentin für die Umnutzung kirchlicher Immobilien. Die liturgische Nachnutzung durch eine andere christliche Konfession oder eine ökumenische Nutzungspartnerschaft seien daher stets die ersten Überlegungen. So gebe es unter anderem bereits Nachnutzungen durch eine Evangelische Freikirche in Schwelm sowie durch die Griechisch-Orthodoxe Gemeinde in Oberhausen. Allerdings fehle häufig der Bedarf, da auch andere Konfessionen – etwa die Evangelische Landeskirche – vor dem Kirchenschließungsproblem stünden und sinnvolle Anschlusslösungen für die eigenen Gotteshäuser suchten, so Twarowska.
Lassen sich weder eine liturgische Nutzung noch eine Teilumnutzung realisieren, liegt das Augenmerk auf einer kirchennahen Nachnutzung. "Für viele unserer ehemaligen Kirchen aus der ersten Umstrukturierungsphase konnten Lösungen entwickelt werden, die heute dem sozial-caritativen Zweck dienen", betont Twarowska. So hätten in den Städten Duisburg und Essen zum Beispiel ein Caritaszentrum, eine katholische Schule für Pflegeberufe, ein Seniorenzentrum und ein Wohnheim für behinderte Menschen Einzug in ehemalige Kirchen gehalten. In solchen Fällen wird für gewöhnlich jedoch eine Profanierung – also "Ent-Weihung" – der einstigen Kirche notwendig, da sie keinen gottesdienstlichen Zweck mehr erfüllt.
Unmögliche Nachnutzungen
Wenn sich auch keine kirchennahen Lösungen finden lassen, steht die Frage nach weiteren Nutzungsmöglichkeiten im Raum. Bewährt habe sich laut Twarowska manch kulturelle Nachnutzung – so etwa durch ein Theater in Bochum. Doch in diesem Bereich sei längst nicht alles möglich: "Zum Beispiel sehen wir einen Kinobetrieb in einer ehemaligen Kirche als äußerst bedenklich an." Auch wenn eine Kirche profaniert sei, bleibe ihr Charakter als ehemals heiliger Ort weiter bestehen. Dort nun Filme mit Gewaltdarstellung zu zeigen, wäre folglich der Würde des Ortes nicht angemessen, so Twarowska. Dementsprechend sei etwa auch die Anfrage eines Investors abgelehnt worden, der Boxkämpfe in einer ehemaligen Kirche stattfinden lassen wollte. "Es gibt unzählige Nachnutzungen, die für uns schlicht nicht in Frage kommen, das reicht von Diskotheken über Spielotheken bis hin zu Wellnesstempeln", so Twarowska.
Doch ist die Kirche erstmal verkauft, wie lässt sich da noch die spätere Nutzung kontrollieren? "Wir stimmen im Vorfeld mit den Zuständigen in den Pfarreien, den kommunalen Behörden und den Denkmalbehörden ab, für welche Zwecke ein ehemaliges Kirchengebäude genutzt werden soll und was dafür baulich verändert werden kann, soll oder muss", erklärt Twarowska. Rechtlich abgesichert werde eine solche Entscheidung durch den Kaufvertrag, in dem mit dem Käufer und neuem Nutzer vereinbart werde, was mit dem Gebäude passieren dürfe und was nicht. Dies werde zudem im Grundbuch fixiert. Etwa jede dritte Kirche im Ruhrbistum steht unter Denkmalschutz. Der verhindere jedoch nicht grundsätzlich eine bauliche Veränderung einer Kirche und auch nicht eine profane Umnutzung, sagt Twarowska.
Wenn auf längere Zeit weder eine Umnutzung von kirchlicher Seite noch ein Verkauf realisierbar sind, dann bleibt in manchen Fällen nur der Abriss. "Ein Kirchenabbruch ist für uns aber immer nur die 'ultima ratio', wenn es also gar nicht anders geht", betont Twarowska. In diesem Zusammenhang erinnert sie daran, dass auch für ein leerstehendes Gebäude weiterhin Kosten anfallen, die von den Kirchengemeinden getragen werden müssten. "Außerdem wissen wir aus Erfahrung, dass ein leerstehendes Kirchengebäude leider schnell dem Vandalismus zum Opfer fällt." In solchen Fällen müsse also abgewogen werden, ob ein Abriss nicht die sinnvollere Alternative sei.
Die Umnutzung von Kirchen war in den vergangenen Jahren unter anderem in Deutschland und den Niederlanden ein großes Thema. Doch zunehmend sind auch vermeintlich katholischere Länder betroffen. Das zeigt eine internationale Konferenz, die im November im Vatikan stattfinden wird: Unter dem Titel "Wohnt Gott hier nicht mehr?" wollen dann Experten aus aller Welt über das Schicksal ehemaliger Kirchen und angemessene Umnutzungsmöglichkeiten beraten.