Tierethik zunehmend im Fokus der Theologie

Vegan im Paradies – und heute?

Veröffentlicht am 07.03.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Frankfurt am Main/Graz ‐ Immer mehr Christen wehren sich dagegen, Tiere als seelenlose Objekte für die Nahrung oder für zum Teil sogar unnötige Tierversuche zu behandeln. Nicht nur in der Fastenzeit stellen sie den Fleischkonsum infrage.

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Am Aschermittwoch beginnt für Christen die Fastenzeit. Viele verzichten bis Ostern rund sieben Wochen lang auf Alkohol, Süßigkeiten, Nikotin oder Fernsehkonsum - oder Fleisch. Nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, viele Menschen möchten damit auch ein Zeichen für den Tierschutz setzen und etwas gegen Massentierhaltung tun. Papst Franziskus hatte in seiner Umwelt-Enzyklika von 2015 den Selbstzweck aller Geschöpfe unterstrichen. Er machte damit deutlich, dass Tiere nicht für die Zwecke der Menschen da sind.

Doch was das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren angeht, ist die Bibel nicht eindeutig, gar widersprüchlich, sagt der katholische Theologe Kurt Remele von der Universität Graz. Vegetarier oder Veganer könnten ihre Überzeugung ebenso biblisch begründen wie Fleischesser, Verfechter von Tierversuchen ebenso wie ihre Gegner.

Veganer und Fleischfreunde können gleichermaßen auf die Bibel verweisen

Ein Beispiel: Lebten Adam und Eva im Garten Eden noch vegan (Genesis 1, 29-30), sah das nach der Sintflut ganz anders aus. So sagte Gott nach biblischer Überlieferung zu Noah: "Alles, was sich regt und lebt, soll euch zur Nahrung dienen. Das alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen." (Genesis 9,3). Im Friedensreich, einer Art irdischem Paradies, das nach christlicher Vorstellung nach der Wiederkunft Christi erschaffen werden wird, soll es dann aber wieder kein Blutvergießen für die Nahrungsbeschaffung geben (Jesaja 11, 6-9).

Kurt Remele im Porträt
Bild: ©Der Sonntag/Kärntner Kirchenzeitung (Archivbild)

Professor Kurt Remele lehrt Ethik und christliche Gesellschaftslehre an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Graz.

"Entweder man nimmt die Bibel wortwörtlich oder man nimmt sie ernst und beachtet den spezifischen Kontext einer Aussage", sagt Remele. Eine eindeutige Antwort auf alle aktuellen ethischen Fragen könne die Bibel nicht geben, weil diese zu Zeiten der Bibelschreiber nicht gestellt wurden. "Genau wie die Bibel nichts Konkretes zur ethischen Beurteilung von Atomkraft sagt, äußert sie sich nicht klar zum ethischen Vegetarismus oder zu Tierversuchen."

Für Remele, der seit 25 Jahren vegetarisch und seit drei Jahren vegan lebt, ist das Essen von Fleisch allerdings im Allgemeinen nicht mit einer christlichen Ethik vereinbar. "Ich glaube nicht, dass das Argument, Gott erlaube es ja in der Bibel, Tiere zu essen, für alle Zeit gilt." Der Mensch habe heute in reichen Ländern die Möglichkeit, sich ohne Fleisch gesund zu ernähren. Als die Bibel geschrieben wurde, sei das anders gewesen. Auch hält er es für falsch, den Verzicht auf Fleisch erst im Friedensreich anzusiedeln: "Wir Menschen streben ja auch nach Liebe, Gerechtigkeit und Frieden - alles Dinge, die in der Bibel für den Himmel vorgesehen sind, die wir aber schon hier und heute verwirklichen sollten."

Folgen für Mensch und Tier

Im Gegensatz zu biblischen Zeiten sei die heutige Massentierhaltung zudem nicht nur mit negativen Folgen für die Tiere, sondern auch für den Menschen verbunden, sagt Tierethiker Remele. "Es gibt klare Zusammenhänge zwischen Nutztierhaltung und Problemen, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren." Diese Zusammenhänge würden in der Kirche allerdings nur selten erkannt.

Papst Franziskus bekommt im Januar 2014 ein Lamm beim Besuch einer lebendigen Krippe um den Hals gelegt.
Bild: ©picture alliance/dpa/AP Photo/Osservatore Romano, ho (Archivbild)

Papst Franziskus mag Tiere – er isst sie aber trotzdem. Ob's dieses Lamm erwischt hat, das 2014 er bei einer lebendigen Krippe auf die Schultern bekommen hat, ist nicht überliefert.

Im Diskussionsbeitrag "Zur Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf" von 1991 betont die EKD die Zusammengehörigkeit von Tieren und Menschen. Andere Lebewesen seien nicht nur für den Nutzen der Menschheit da. Sie hätten "einen eigenen Sinn und Wert".

Menschen genießen dem EKD-Text nach allerdings eine Sonderstellung unter den Lebewesen. Diese schließe die Aufgabe ein, in besonderer Weise Verantwortung für die Tiere wahrzunehmen. Allerdings herrsche zwischen Mensch und Tier Gewalt - ein Zustand, der andauern werde, solange es Leben auf der Erde gibt. Dies sei aber "keine Rechtfertigung für eine gedankenlose, ungehemmte Nutzung oder gar Ausbeutung der Tiere durch die Menschen".

Tiere nutzlos leiden lassen widerspricht der Menschenwürde

In seiner Umwelt-Enzyklika "Laudato si" verurteilt auch Papst Franziskus "jegliche Grausamkeit gegenüber irgendeinem Geschöpf".

Zwar könnten sich die Menschen, wenn lebensnotwendig, der Tierwelt bedienen, diese Macht habe aber Grenzen. "Es widerspricht der Würde des Menschen, Tiere nutzlos leiden zu lassen und zu töten." Jede Nutzung von und jedes Experiment an Tieren verlange "Ehrfurcht vor der Unversehrtheit der Schöpfung".

Eine Aufzuchtstation für Mastferkel bei Paderborn.
Bild: ©KNA (Archivbild)

Ist das schon unnützes Leiden?

Darüber, dass Tiere genutzt werden dürfen, scheint im Christentum Einigkeit zu herrschen. Darüber, dass Tiere nicht gequält werden dürfen, ebenso. Was genau aber unter nutzloses Leiden und Töten fällt, lassen die großen Kirchen offen. Ist es nutzloses Töten, wenn männliche Küken vergast werden? Ist es nutzloses Leiden, wenn Affen in Tierversuchen getötet werden?

Remele würde solche Fragen mit einem "Ja" beantworten. Für sein Tierschutz-Engagement setzt er allerdings eher auf die Zivilgesellschaft als auf die Kirche. "Ich werde viel häufiger von Tierschutzorganisationen eingeladen als von Pfarrgemeinden." Die Kammer für Nachhaltige Entwicklung der EKD arbeitet derzeit an einem neuen Text zum Mensch-Tier-Verhältnis. Dieses "Tierschutzwort" soll in der zweiten Jahreshälfte 2019 vorgestellt werden - 18 Jahre nach der letzten umfassenden Veröffentlichung zu dem Thema.

Von Jana-Sophie Brüntjen (epd)