Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland sinkt bis 2060 um die Hälfte
Laut einer von den beiden großen Kirchen in Deutschland geförderten Studie wird die Zahl der Kirchenmitglieder in der Bundesrepublik bis 2060 um 49 Prozent zurückgehen. Die katholische Kirche verliere dabei geringfügig weniger Mitglieder als die evangelische, heißt es in der am Donnerstag veröffentlichten Studie des Forschungszentrums Generationenverträge an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg. Neben dem demografischen Wandel sind für den Rückgang vor allem weniger Taufen sowie anhaltende Kirchenaustritte verantwortlich. In knapp 40 Jahren leben dann nur noch 22,7 statt 44,8 Millionen Christen in Deutschland.
Mit dem Rückgang der Mitgliederzahl werden sich laut Studie auch die finanziellen Möglichkeiten der Kirchen halbieren. Zwar nehmen die Forscher an, dass das Kirchensteueraufkommen nominal bis 2060 konstant bleibt und – wie 2017 – bei etwa 12 Milliarden Euro jährlich liegen wird. Bei entsprechender Ausgabenentwicklung würde das allerdings einen Kaufkraftverlust von 51 Prozent bedeuten. "Damit sich die Kirchen von ihren Kirchensteuereinnahmen im Jahr 2060 den gleichen kirchlichen Warenkorb leisten können wie 2017 bräuchten sie Kirchensteuereinnahmen in Höhe von knapp 25 Milliarden Euro", heißt es in der Studie. Bereits bis 2035 erwarten die Wissenschaftler einen Kaufkraftverlust von 26 Prozent.
"Die Kirchen wollen die Erkenntnisse der Studie nutzen, um sich langfristig auf Veränderungen einzustellen", sagten der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. Es sei gut, in einer heute wirtschaftlich guten Lage die Fragen von morgen in den Blick zu nehmen.
Nicht nur demografischer Wandel schuld
Die Studie trägt den Titel "Langfristige Projektion der Kirchenmitglieder und des Kirchensteueraufkommens in Deutschland" und hat die Entwicklung von Kirchenmitgliederzahlen und Kirchensteueraufkommen der 20 evangelischen Landeskirchen und 27 (Erz-)Bistümer der katholischen Kirche ermittelt. Für die Projektion wurde die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre analysiert.
Studienleiter Bernd Raffelhüschen hat die Ergebnisse "dem Grunde nach so erwartet". Neu ist in den Augen des Freiburger Finanzwissenschaftlers allerdings die Erkenntnis, dass sich weniger als die Hälfte des Rückgangs mit dem demografischen Wandel erklären lässt. "Einen größeren Einfluss auf die Mitgliederentwicklung hat das Tauf-, Austritts- und Aufnahmeverhalten von Kirchenmitgliedern", so Raffelhüschen. Demnach machen der Überhang an Sterbefällen über Geburten und Zuwanderung nur 21 Prozent des Mitgliederrückgangs bis 2060 aus. Hinzu komme einerseits, dass nicht alle Kinder aus christlichen Familien getauft würden und andererseits die "Auswirkungen des Überhangs von Kirchenaustritten und -eintritten". Dadurch vergrößere sich der Mitgliederrückgang um weitere 28 Prozentpunkte. Hier sollten die Kirche ihre Anstrengungen intensivieren, sagt Raffelhüschen.
Die höchsten absoluten Mitgliederverluste erfolgen im Westen der Republik (von 16,8 auf 9 Millionen/53,6 Prozent) und die relativ größten Verluste im Osten (0,8 auf 0,5 Millionen/62,5 Prozent). Entsprechend der regionalen Verteilung der Kirchenmitglieder sind auch die Kirchensteuereinnahmen – 2017 wie 2060 – im Norden (1,8 Milliarden Euro) und Osten (0,7) Deutschlands geringer als im Süden (4,8) und Westen (4,7). In allen vier Regionen werden die Einnahmen 2060 nur für die Hälfte der 2017 möglichen Ausgaben reichen.
"Manches am Rückgang an Kirchenmitgliedern werden wir nicht ändern können. Anderes aber schon", sagte der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm. Überall in Deutschland hätten sich Christen auf den Weg gemacht, "die Ausstrahlungskraft unserer Kirche für die Zukunft so nachhaltig wie möglich zu stärken". Und das sei keine Frage der Mitgliedschaftszahlen. Auch Kardinal Marx gerät angesichts der Projektion "nicht in Panik". Die Verantwortung für die mittel- bis langfristige Planung der kirchlichen Haushalte habe die Kirchen zu der Studie veranlasst. Nun werde man die eigene Arbeit auf die "daraus resultierenden pastoralen Erfordernisse" ausrichten. "In der Kirche geht es immer darum, das Evangelium weiter zu sagen, auch unter veränderten Bedingungen. Für mich ist die Studie auch ein Aufruf zur Mission", so Marx. (bod)