Franziskanerpater aus Aleppo über die dramatische Lage

"Es ist wie in einem großen Gefängnis"

Veröffentlicht am 18.08.2016 um 00:01 Uhr – Von Norbert Demuth (KNA) – Lesedauer: 
Syrien

Aleppo ‐ Franziskanerpater Firas Lufti versorgt gemeinsam mit 14 Ordensbrüdern zahlreiche Menschen in Aleppo mit Wasser und Nahrungsmitteln. Im Interview versucht er, den Horror des Krieges in Worte zu fassen.

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Frage: Pater Lufti, wie ist die Lage in Aleppo im Moment?

Lufti: Die Situation ist wirklich dramatisch. Die Hauptversorgungsroute zwischen Aleppo und anderen syrischen Städten wird immer wieder blockiert oder ist sehr gefährlich zu befahren. Es ist deshalb sehr schwierig, Nahrungsmittel zu bekommen. Für Wasser sind die Menschen oft drei oder vier Stunden unterwegs. Dazu kommt die Verzweiflung und Angst, vor allem der Kinder. Nachts können wir nicht schlafen, weil die Bombardements ganz in der Nähe sind.

Frage: Wo in Aleppo befindet sich Ihr Franziskanerkloster?

Lufti: Wenn man von Damaskus kommt, befinden wir uns am Eingang der Stadt, in einem südlichen Stadtteil, der von der Assad-Regierung kontrolliert wird.

Frage: Wie nahe sind Sie den Kriegshandlungen?

Lufti: Wir sind nur etwa 100 oder 200 Meter von den Kämpfen zwischen den Regierungstruppen und den Milizen entfernt. Wir hören nicht nur, was passiert, manchmal kommen hier auch Raketen durch. Unser Franziskanerkloster St. Anthony of Padua wurde im Mai getroffen - eine Person starb, mehrere wurden verletzt.

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Frage: Das war sicher ein Schock...

Lufti: Es war auch deshalb besonders schlimm, weil wir in dem Konvent täglich 200 bis 300 Menschen zu Gast haben - das war auch bei dem Angriff so. Es kam zu Panik. Das Kloster ist ein einzigartiger Ort. Viele Familien kommen mit ihren Kindern, die hier zum Beispiel Fußball spielen. Denn die Familien können nicht aus der Stadt heraus. In Aleppo lebt man wie in einem großen Gefängnis.

Frage: Wie helfen Sie denen, die nicht zu Ihnen kommen können?

Lufti: Wir liefern Wasser. Jeden Tag fahren wir einen großen Tank mit Wasser aus unserem Brunnen zu ihnen. Und wir verteilen Essenspakete für mehr als tausend Familien monatlich. Wir geben außerdem Geld, damit die Leute den Strom bezahlen können, der durch große Generatoren erzeugt wird. Viele können nur für drei Stunden am Tag Strom kaufen.

Frage: Verzweifeln die Menschen angesichts der Lage in Aleppo?

Lufti: Ich gestehe, dass die ersten Gefühle, wenn man im Krieg lebt, Momente der Verzweiflung sind. Aber aus meiner Sicht haben die Menschen nur eine Wahl: Entweder sie glauben daran, dass es Gott gibt, der uns hören und retten kann - oder nicht. Wenn sie daran glauben, fühlen sie sich nicht allein im Kampf gegen die Absurdität dieses Krieges.

Linktipp: "Die Steine erzählen die Geschichte"

Das Kloster Deir Mar Elian im syrischen Karjatain war eine Begegnungsstätte für Christen und Muslime. Zu Kriegsbeginn wurde es zur Anlaufstelle für Hilfesuchende. Heute liegt es in Trümmern - zerstört von Kämpfern der Terrororganisation "Islamischer Staat". Ein Besuch.

Frage: Können Sie den Horror von Aleppo in Worte fassen?

Lufti: Ich beschreibe es so: Das Böse existiert. Wir glauben aber daran, dass Menschen, die das Gute wollen, jenen entgegentreten, die sich teuflischen Handlungen hingeben. Denn Krieg führt nur zu Zerstörung, Tod und Trauer. Hier ist eigentlich jeder zerstört - psychisch und physisch. Aber immer dann, wenn unser Leid wenigstens gehört wird, ist das etwas Gutes. Damit wird ein Fenster geöffnet, das macht uns Hoffnung, dass wir nicht allein sind.

Frage: Haben Sie viele Menschen sterben sehen?

Lufti: Sicher. Ich habe viele Beerdigungen von Kindern und jungen Menschen begleitet - das ist eine sehr traurige Erfahrung.

Frage: Welche Perspektiven sehen Sie in den kommenden Monaten?

Lufti: Ich hoffe auf ein Ende des Krieges. Wir müssen für Frieden beten. Jeder muss etwas tun. Die Welt ist ein kleines Dorf, ein Mikrokosmos. Die Kinder hier haben das Recht, in Frieden zu leben. Sie müssen als Personen leben dürfen. Es darf nicht sein, dass sie am Ende nur als Zahl von Getöteten auftauchen - als "hundert tote Kinder" oder "tausend tote Kinder".

Von Norbert Demuth (KNA)