Glaube, Sitte, Heimat
Entstanden sind Bruderschaften bereits im Mittelalter. Das Gottesbild damals unterschied sich deutlich von dem der heutigen Zeit. Die Menschen lebten ständig in der Furcht, ohne Beichte und Absolution sterben zu müssen und unvorbereitet dem strengen Gericht Gottes ausgeliefert zu sein. In vielen Kirchen stand deshalb in der Nähe des Portals eine große Christophorusfigur. Wer sie sah, durfte gewiss sein, ohne den Makel der Sünde vor den Richterstuhl Gottes zu treten – zumindest an diesem einen Tag. Um in ihrer Angst vor Tod, Fegefeuer und Verderben nicht allein zu sein, schlossen sich Menschen zu Bruderschaften zusammen. Gemeinsam verehrten sie einen Heiligen, dem sie sich in besonderer Weise verbunden fühlten, und kamen regelmäßig zu Gottesdiensten zusammen. Aus dieser Zeit stammen auch die heute noch existierende Matthiasbruderschaften, in denen sich Menschen zum gemeinsamen Beten oder Pilgerfahrten zusammenschließen. Alljährlich machen sich viele Pilger auf den Weg nach Trier zum Grab des Apostels Matthias.
Die Pfeile des Sebastianus
Am bekanntesten unter den Bruderschaften sind sicherlich die Schützenbruderschaften. Oft wurden sie nach dem Heiligen Sebastianus benannt – im Gedenken an seinen Märtyrertod. Der Legende nach sollte er von Bogenschützen getötet werden. Die Pfeile trafen ihn, doch er blieb unverletzt. Seinen Tod fand er schließlich im Zirkus von Rom durch Peitschenhiebe. Auf die angeblichen Pfeile entstand ein regelrechter Run. Man stellte sie in Rom zur Schau. Geschäftstüchtige Händler fertigten Nachbildungen an und verkauften sie. So mancher von ihnen dürfte so zu Reichtum gekommen sein. Denn die "Sebastianus-Pfeile" galten als Schutzmittel gegen die Pest. Fürsten und Könige profitierten von den sich immer rascher ausbreitenden Schützenbruderschaften, denn diese wurden in den Dienst des jeweiligen Landesherrn gestellt. Die Schützen hatten die Aufgabe, ihre Stadt oder ihr Dorf zu verteidigen, falls es zu einem Angriff kam – im Mittelalter keine Seltenheit. Bereits Kaiser Karl der Große, der als Herrscher im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation um 800 in Aachen residierte, warb Schützen an. Diese sollten nicht nur helfen, die Kaiserstadt zu verteidigen, sondern darüber hinaus missionieren und so für die Verbreitung des Christentums sorgen. Ob Karl für die im Jahr 1198 in Aachen gegründete Karls-Schützengilde Pate gestanden hat, ist historisch allerdings nicht belegt.
Fest steht, dass die ersten Schützenbruderschaften im Laufe des Mittelalters in Flandern entstanden. Sie breiteten sich rasch über die Niederlande, das Rheinland und Westfalen in weitere Gegenden Deutschlands aus. Von Anfang an bestand eine enge Verbindung zur Kirche. Die Teilnahme an Fronleichnamsprozessionen war Ehrensache. Der Fronleichnamstag zählte neben dem Schützenfest zu den großen Ereignissen des Jahres. 1928 schlossen sich die Schützenbruderschaften als "Erzbruderschaft vom Heiligen Sebastianus" zusammen. 1939 wurde diese durch die Nationalsozialisten verboten und 1948 wieder gegründet – allerdings unter einem neuen Namen.
Im Geist der Ökumene offen
Der heutige Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften e.V. (BHDS) mit Sitz in Leverkusen-Opladen ist der Dachverband für die ganze Schützenfamilie mit rund 400.000 Mitgliedern in knapp 1.300 Bruderschaften, -gilden und –vereinen. Sie alle haben sich zu einem im Geist der Ökumene offenen Verband in der katholischen Kirche zusammengeschlossen, und zwar in den Diözesen Aachen, Essen, Köln, Münster, Paderborn und Trier. Der BHDS gehört zur Europäischen Gemeinschaft Historischer Schützen unter der Präsidentschaft von Prinz Charles-Louis de Merode, Belgien. Hinter dieser Gemeinschaft stehen mehr als sechs Millionen Schützen in 14 Ländern.
„Wir machen keinen Unterschied zwischen Religionszugehörigkeit und Nationalität“
"Der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften bekennt sich zum christlichen Glauben in Wort und Tat und engagiert sich im gemeindlichen und diözesanen Leben", erklärt Bundespressesprecher Rolf F. Nieborg. Fast 2.830.000 Euro spendeten die Schützen des BHDS im Jahr 2015 für soziale Projekte im In- und Ausland. "Wir machen keinen Unterschied zwischen Religionszugehörigkeit und Nationalität", sagt Rolf F. Nieborg. Karlheinz Kamps aus Kleve, Vorsitzender des caritativen BHDS-Ausschusses, ergänzt: "Im Jahr 2015 leisteten Schützen über 164.000 freiwillige Arbeitsstunden für soziale Projekte und Hilfsdienstleistungen – oft in enger Zusammenarbeit mit dem Malteser-Hilfswerk." Die Tatsache, dass Schützenbruderschaften ein wichtiges Rückgrat der Gesellschaft sind, wurde durch deren Anerkennung Anfang 2016 als UNESCO-Kulturerbe noch einmal unterstrichen. Mittlerweile gibt es nicht nur Sebastianus-Schützen. Die meisten Schützenvereine tragen den Namen des Patrons ihrer Pfarrkirche.
Von der Fahne geht ein Segen aus
Die Highlights im Schützenjahr sind der Königsvogelschuss und das Schützenfest mit Aufmarsch des jeweiligen Königs oder der Königin, des Prinzen oder der Prinzessin mit Gefolge. In der Jugendabteilung schießen auch Kinder um die Schülerprinzen oder –prinzessinnen-Würde. Zu vielen Schützenfesten gehört das Fahnenschwenken dazu. Dieser Brauch wurde schon im frühen Mittelalter gepflegt. Nach einem Aufspiel von Trommlern und Pfeifern zeigt der Fahnenschwenker Akrobatik pur. Wer die schnellen Bewegungen und Schwünge der Fahne bewundert, ahnt, welch hartes Training dahinter steckt. Der Ursprungsgedanke: Das Fahnenschwenken sollte die Segenswirkung, die nach dem Glauben der Schützen mit der Fahne verbunden war, auf die Allgemeinheit übertragen.