Wider Willen in der jüdischen Einheitsgemeinde
Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften beschäftigt immer häufiger die höchsten deutschen Gerichte. Das kirchliche Arbeitsrecht etwa gibt regelmäßig Anlass zu juristischen Klärungen. Am Mittwoch urteilt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über die Frage, wann und wie eine Erklärung zum Eintritt in eine Religionsgemeinschaft oder zum Austritt rechtlich verbindlich ist. Dies ist etwa mit Blick auf den Einzug von Kirchensteuer oder einer vergleichbaren Kultussteuer von Bedeutung.
Widerspruch binnen drei Monaten nötig
Im vorliegenden Fall geht es um ein jüdisches Paar aus Frankreich, das nach Frankfurt am Main zog und sich nun gegen seine zeitweilige Mitgliedschaft in der dortigen Jüdischen Gemeinde wehrt. Deren Satzung sieht vor, dass alle Personen jüdischen Glaubens mit Wohnsitz in Frankfurt Mitglieder der Gemeinde werden, wenn sie dem nicht innerhalb von drei Monaten nach Zuzug schriftlich widersprechen. Gegen diese Regelung klagte das jüdische Paar. Es hatte zwar beim Zuzug im Einwohnermeldeamt als Religion "mosaisch" angegeben, dies aber nicht als Beitrittserklärung zur konkreten Gemeinde verstanden wissen wollen.
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Mitglieder der Kirche, die in Deutschland lohn- oder einkommenssteuerpflichtig sind zahlen Kirchensteuer. Damit tragen und unterstützen sie die Arbeit der Kirche.Der Mitgliedschaft hatte das Paar sieben Monate nach dem Wohnortwechsel in einem Schreiben an die Jüdische Gemeinde formal widersprochen. Laut Gemeinde-Satzung war das zu spät, um von Anfang an rechtswirksam zu sein. Das Paar hatte zur Begründung angegeben, einer Gemeinde des liberalen Judentums angehören zu wollen. Eine solche eigenständige Gemeinde gibt es in Frankfurt jedoch nicht. Dagegen definiert sich die Jüdische Gemeinde Frankfurt als "Einheitsgemeinde", die verschiedene Glaubensrichtungen in sich vereint. Beide Franzosen erklärten daraufhin den Austritt und klagten zugleich auf die Feststellung, dass sie zu keinem Zeitpunkt der Jüdischen Gemeinde Frankfurt angehört hätten.
Dem Bundesverwaltungsgericht lag der Fall bereits 2010 vor, es gab dem Paar Recht. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei davon auszugehen, dass das Paar nicht zum Ausdruck gebracht habe, Mitglieder der Jüdischen Gemeinde sein zu wollen, urteilten die Leipziger Richter. Dagegen legte die Gemeinde jedoch Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Mit Erfolg: Das Bundesverfassungsgericht hob im Dezember 2014 das Urteil auf und verwies den Fall an das Bundesverwaltungsgericht zurück, wo er nun erneut verhandelt wird. Zur Begründung führte Karlsruhe an, dass die Meldebehörde durch die Angabe "mosaisch" zurecht angenommen habe, dass das Paar der Jüdischen Gemeinde angehören will. Es sei rechtens, die Angabe der Religionszugehörigkeit beim Einwohnermeldeamt als Grundlage für eine Gemeindemitgliedschaft heranzuziehen. Diese Regelung sei keineswegs als eine durch das Grundgesetz verbotene "Zwangsmitgliedschaft" zu bewerten.
Die obersten Verfassungsrichter bemängelten, dass das Bundesverwaltungsgericht die grundgesetzlich garantierte Tragweite des Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften nicht angemessen berücksichtigt habe. Auch folgte Karlsruhe nicht der Auffassung der Leipziger Richter, die erklärt hatten, wegen der verschiedenen Glaubensrichtungen des Judentums könne aus der Angabe "mosaisch" nicht auf die Zuordnung zur konkreten jüdischen Gemeinde geschlossen werden. Das klagende Paar hatte vorgebracht, seine Angabe "mosaisch" enthalte keine Identifizierung mit der orthodox geprägten Frankfurter Gemeinde, sondern sei ein Bekenntnis zum progressiv-liberalen Judentum.
Klagendes Paar: Recht auf Glaubensfreiheit nicht beachtet
Dem hielten die Bundesverfassungsrichter entgegen, dass ein solcher Vorbehalt rechtlich nicht relevant sei. Aus dem grundgesetzlich verankerten Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ergebe sich "insbesondere" auch das Recht, über die Regelungen von Ein- und Austritt zu entscheiden. Seine Grenzen finde dieses Selbstbestimmungsrecht zwar in dem ebenfalls im Grundgesetz verankerten Recht, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören. Dies sei im konkreten Rechtsstreit aber nicht betroffen. In dem Revisionsverfahren macht das klagende Paar nun geltend, das Bundesverfassungsgericht habe ihr Recht auf Glaubensfreiheit aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta nicht beachtet.