Pöbeleien, Graffiti und Droh-Mails: Juden schlägt noch immer oft Hass entgegen

Schimpfwort "Jude"

Veröffentlicht am 20.10.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Antisemitismus

Berlin ‐ Rabbiner Daniel Alter verkleidet sich. Denn wenn Jugendliche in Berlin seine Kippa sehen, muss er mit Anfeindungen, ja sogar mit Gewalt rechnen. Besonders - da formuliert Alter vorsichtig - bei Teenagern "mit türkischem oder arabischem Background". "Ich hasse alle Juden", habe ihm ein Junge an einer Bushaltestelle entgegengeschleudert. "Ich habe ihn gefragt, wie viele er denn kennt. Da mussten wir beide lachen", erzählt der Rabbiner. Nicht immer geht es so gut aus.

  • Teilen:

Alter hat auch Gewalt erlebt. Doch darüber redet er nicht gern. Lieber über die große Solidarität, die seine Familie nach dem Überfall im August vergangenen Jahres erfuhr. Aber er sagt auch: "Für Menschen, die sich öffentlich als Juden zu erkennen geben, gehört Antisemitismus zum alltäglichen Leben." Pöbeleien, judenfeindliche Graffiti auf dem Spielplatz, das sei normal in Berlin.

Dem Antisemitismus-Bericht im Auftrag des Bundestags zufolge hat etwa jeder fünfte Deutsche latent antisemitische Denkmuster. Alter geht nach Gesprächen mit Experten davon aus, dass die Prozentwerte in der islamischen Community bis zu doppelt so hoch sind.

Nahostkonflikt entscheidend für Antisemitismus?

Das will die Leiterin des bundesweiten Projekts "Schule ohne Rassismus" , Sanem Kleff, so nicht stehen lassen. Es gehe nicht um die Religion, oder darum, ob Jugendliche muslimisch seien, sagt die in Ankara geborene Pädagogin in einer Diskussionsrunde. Entscheidend für antisemitische Einstellungen sei vielmehr, ob die Jugendlichen familiär mit dem Nahostkonflikt verbunden seien, ob ihre Familie eine politische Weltsicht vertrete, die sich von Israel und jüdischen Menschen distanziert.

Daniel Alter ist Rabbiner in Berlin.
Bild: ©picture alliance / dpa/Bernd Von Jutrczenka

Daniel Alter ist Rabbiner in Berlin.

Auf vielen Berliner Schulhöfen ist das Wort Jude jedenfalls wieder zum Schimpfwort geworden. In der Art ihrer "Hass-Rede" unterschieden sich Jugendliche mit deutschem oder migrantischem Hintergrund dabei kaum, hat die Vorsitzender der Amadeu Antonio Stiftung , Anetta Kahane, beobachtet. "Sie schaukeln sich gegenseitig hoch." Doch zeigten Jugendliche mit Migrationshintergrund ihre Judenfeindlichkeit oft offener, gewalttätiger. Es gehe um Israel-Hass, aber auch um Verschwörungstheorien über die Herrschaft der Juden an der Wall Street oder in Hollywood.

Unterschiedliche Ursachen für Judenhass

Lehrer seien da häufig überfordert, sagt die Jüdin Anne Goldenbogen. Sie geht für die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus in Schulen und konfrontiert Schüler unterschiedlicher Herkunft mit dem Thema Judenfeindlichkeit. Viele muslimische Jugendliche seien nicht einmal persönlich vom Nahostkonflikt betroffen, solidarisierten sich aber, weil das Muslimisch-Sein ein wichtiger Identitätsfaktor für sie sei. Bei deutschen Jugendlichen dagegen habe Antisemitismus oft eine andere Ursache. "Der ist eher vergangenheitsbezogen nach dem Motto 'Ich will nichts mehr vom Zweiten Weltkrieg hören.'"

Die Versuche der Schulen, gegen diese Judenfeindlichkeit anzugehen, seien oft hilflos, haben die Experten beobachtet. Nur wenige können wie eine Berliner Sekundarschule eine Patenschaft mit dem Jüdischen Museum eingehen. Dabei helfe persönlicher Kontakt am besten, hat Alter erlebt. Eben so wie mit dem Jungen an der Bushaltestelle. "Doch dafür gibt es zu wenige von uns."

Von Theresa Münch (dpa)