Den Tod ins Leben lassen
Mit einem Gang durch die Geschichte und anhand eindrücklicher Bilder zeigte Schirpenbach auf, wie sehr die bewusste Auseinandersetzung mit Tod und Sterben lange Zeit die europäische Kultur beeinflusst hat – und wie sie heute immer mehr aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verdrängt wird.
Offene Thematisierung in der Vergangenheit
Mittelalterliche Darstellungen, auf denen der Tod als Skelett mit Machtsymbolen wie Papstkrone, Bischofsstab und Petrusschlüssel ausgestattet erscheint, zeigten laut Schirpenbach ein allgemeines Todesbewusstsein. Den Menschen wurde vor Augen gehalten: Der Tod ist allmächtig und triumphiert letztendlich über alles Irdische. Die eigene Existenz wurde dadurch radikal in Frage gestellt.
Das offene Umgehen mit dem Tod bezog sich aber auch ganz konkret auf den Umgang mit den Toten. Zeugnisse dafür seien die sogenannten Beinhäuser, in die die Gebeine der Verstorbenen nach der Räumung des Grabes zur Verwahrung umgebettet wurden, wie Schirpenbach weiter ausführte. Diese Häuser waren offen zugänglich und befanden sich häufig in Friedhofskapellen und damit in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Lebenden. "Die Toten waren so mehr oder weniger mit im Leben: Tod und Leben wurden im Mittelalter nicht getrennt", erklärte der Seelsorger.
Diese Mentalität ließe sich noch bis ins späte 19. Jahrhundert hinein nachweisen: Man machte Fotografien von den Verstorbenen, die Kommunions- und Tauffotos nachempfunden waren. Unverheiratet verstorbenen Frauen zog man ein Brautkleid an, das extra erworben wurde. Vor allem aber: "Der Tod war ein öffentliches Ereignis", sagte Schirpenbach. Trauerumzüge fanden in aller Öffentlichkeit statt, der Sarg wurde in einem offenen Leichenwagen durch die Straßen gefahren. Die Verstorbenen wurden häufig noch mindestens 24 Stunden zu Hause aufgebahrt, bevor sie vom Bestatter abgeholt wurden.
Todesverdrängung in der Moderne
Die Moderne bietet dazu ein krasses Gegenbild: Heutige Bestattungswagen haben einen verblendeten Laderaum, der Tote wird möglichst schnell aus dem Haus geschafft. Mit den Worten Schirpenbachs: "Der Leichnam, also das, was vom Tode übrig bleibt, wird verdrängt." Der Tod ist zu einem Tabuthema geworden, das man aus der Gesellschaft herauszuhalten sucht.
Dies zeige besonders auch der
Wandel in der Bestattungskultur
: Immer mehr Menschen wünschten sich eine anonyme Feuerbestattung. Von vielen werde dies meistens mit der Sorge vor einem vernachlässigten Grab begründet: "Man möchte lieber kein Grab als ein unordentliches." Schirpenbach plädierte dagegen für das klassische Begräbnis: "Ging man im 19. Jahrhundert über Friedhöfe, waren verwitterte Gräber ein durchaus gewöhnlicher Anblick. Und warum sollten Gräber auch nicht unordentlich und verwittert sein? Schließlich kann gerade das doch Zeichen für die natürliche Vergänglichkeit des Menschen sein."
Einen möglichen Erklärungsansatz für die immer stärkere Verdrängung des Todes aus der Gesellschaft sah Schirpenbach im Zusammenhang mit dem sogenannten Eros, der menschlichen Sexualität: "Eros und Tod sind die beiden Dinge, die der Mensch nie völlig in den Griff bekommt. Als das Naturhafte im Menschen entziehen sie sich seiner Kultivierung und erinnern ihn damit an seine Grenzen und seine Vergänglichkeit."
Eine Auseinandersetzung ist fruchtbar
Für Schirpenbach, der gerne ausländische Friedhöfe besucht und selbst auch Friedhofsführungen anbietet, ist diese Tabuisierung ein Stück weit tragisch. Die Auseinandersetzung mit dem Tod könne gerade für das eigene Leben sehr fruchtbar sein: "Sie kann das eigene Dasein lebendig machen, indem sie uns dazu bringt, uns den Fragen, die unsere Sterblichkeit aufwirft, zu stellen", wusste er aus seiner eigenen Berufserfahrung als Seelsorger zu berichten.
„Mich selbst daran zu erinnern, dass ich bald tot sein werde, ist das wichtigste Werkzeug, das ich je gefunden habe, um die großen Entscheidungen meines Lebens zu treffen!“
Schirpenbachs Vortrag fand im Rahmen der Erlebnisausstellung "Sterben, Tod, Auferstehung… und dann?" statt, die vom Hospizverein Bornheim organisiert wird. Damit möchte der Verein die bewusste Auseinandersetzung mit dem Tod in der heutigen Gesellschaft wieder beleben. Für Andrea von Schmude, Trauerbegleiterin und Hospizkoordinatorin, gibt ein Zitat des tödlich erkrankten Apple-Gründers Steve Jobs diese Intention treffend wieder. Es lautet: "Mich selbst daran zu erinnern, dass ich bald tot sein werde, ist das wichtigste Werkzeug, das ich je gefunden habe, um die großen Entscheidungen meines Lebens zu treffen!"
Die Schwellenangst überwinden
"Wir wollen dazu einladen, sich auf das Thema Tod offen einzulassen", so von Schmude. Dafür sei bewusst das Konzept einer Erlebnisausstellung ausgewählt worden: "Es geht nicht darum, sich wie in einer Kunstausstellung einfach nur berieseln, sondern sich wirklich von dem Thema berühren zu lassen", erklärte sie. Gelegenheit dazu geben Stationen, an denen der Besucher beispielsweise einem offen aufgebahrten Sarg gegenüber steht oder seine eigene Traueranzeige verfassen kann.
Der ehrenamtliche Hospizmitarbeiter Stephan Laarmann ergänzte: "Ein weiteres Ziel ist, bei den Besuchern eine Überwindung der Schwellenangst vor der Auseinandersetzung mit dem Tod zu erreichen". Das ist in einem doppelten Sinne zu verstehen: Durch eine Enttabuisierung des Themas "Tod" in der Gesellschaft erhoffen sich die Organisatoren auch eine größere Offenheit für die Hospizbewegung .
Von Christian Besner