Neue Rabbiner sind Zeichen für das wiederaufgeblühte jüdische Leben in Deutschland

"Mein Mund verkünde Dein Lob"

Veröffentlicht am 27.11.2016 um 10:42 Uhr – Lesedauer: 
Judentum

Hannover/Potsdam ‐ Dass ein Rabbinerseminar in Deutschland wieder jüdische Geistliche ausbildet, ist ein Zeichen der Verwurzelung. Jetzt werden Absolventen des Potsdamer Abraham Geiger Kollegs in ihr Amt eingeführt.

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Es ist ein sichtbares Zeichen für das wiederaufgeblühte jüdische Leben in Deutschland und seine über die Grenzen reichende Strahlkraft. Zwei Rabbiner und einen Kantor führt das Potsdamer Abraham Geiger Kolleg am kommenden Donnerstag in Hannover in ihr Amt ein. Das erste Rabbinerseminar in Deutschland seit dem Holocaust begann vor 15 Jahren mit der Ausbildung von Geistlichen, die Land und Sprache kennen. Es trägt seitdem zur Professionalisierung in den jüdischen Gemeinden bei. Während der Kantor in der liberalen jüdischen Gemeinde Hannover seinen Dienst antritt, werden die Rabbiner in Toulouse und Budapest tätig sein.

"Wir sind in der glücklichen Lage, dass seit 2006 wieder regelmäßig liberale und orthodoxe Rabbiner in Deutschland ordiniert werden", sagt der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Dadurch hätten viele Gemeinden einen eigenen jungen Rabbiner, der mit der hiesigen Kultur und Sprache vertraut sei. "Diese gut ausgebildeten Rabbiner sind für die Gemeinden ein großer Gewinn." Weil es weniger liberale Gemeinden gibt als orthodoxe, arbeiteten einige Absolventen des Abraham Geiger Kolleg auch im Ausland.

Starkes Wachstum durch Zuzug aus dem Ostblock

Die Gemeinden in Deutschland erlebten durch den Zuzug aus der ehemaligen Sowjetunion in den 1990er Jahren eine ungeahnte Blüte. Lag die Mitgliederzahl 1990 nach der Statistik der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland noch bei 29.089, erreichte diese 2006 ihren Höhepunkt mit 107.677 Mitgliedern. Seitdem allerdings ist sie wieder kontinuierlich rückläufig und sank 2015 auf 99.695.

Für den Rückgang hauptsächlich verantwortlich ist der demografische Wandel. Es gibt deutlich mehr Todesfälle als dass durch Geburten oder den Zuzug aus dem Ausland neue Mitglieder in die Gemeinden kommen. Da sich nicht jeder Jude in Deutschland bei einer Gemeinde registriert, bildet die Statistik aber bei weitem nicht die Gesamtzahl der Juden in Deutschland ab.

Bild: ©dpa

Die jüdischen Gemeinden in Deutschland erlebten durch den Zuzug aus der ehemaligen Sowjetunion in den 1990er Jahren eine ungeahnte Blüte.

Welches Gewicht die jüdische Gemeinschaft, aber auch die Politik der jährlichen Amtseinführung der Absolventen des Abraham Geiger Kollegs einräumt, zeigt die Gästeliste. Neben den Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Thüringen, Stephan Weil (SPD) und Bodo Ramelow (Linke), haben sich die Präsidentin der Zentralkonferenz amerikanischer Rabbiner, Denise L. Eger aus Los Angeles, sowie rund 40 Rabbiner und Rabbinerinnen aus dem In- und Ausland angekündigt.

Für die feierliche Amtseinführung kommen die Gäste in die liberale jüdische Gemeinde in Hannover, die größte liberale Gemeinde im deutschsprachigen Raum. "Das ist für uns eine große Ehre und Ansporn, das ist für uns sehr wichtig", meint die Gemeindevorsitzende Ingrid Wettberg. "Wir haben ein sehr attraktives Gemeindezentrum, das bietet sich an." Von einer Etage in einem Mietshaus zog die Gemeinde 2009 in eine repräsentative Synagoge, die in einer aufgegebenen evangelischen Kirche eingerichtet wurde. Die Synagoge ist Blickfang und Anziehungspunkt - selbst jüdische Messegäste aus den USA locke es immer wieder zu dem Gotteshaus abseits des Zentrums, sagt Wettberg.

"Wenn wir die jungen Leute nicht gewinnen, sind wir verloren"

Mit ihrem Aufblühen - auch aber den aktuellen Problemen - steht die Gemeinde exemplarisch für viele andere in Deutschland. Seit ihrer Gründung vor 21 Jahren mit 79 Mitgliedern wuchs sie zwar auf inzwischen 800 Mitglieder an, ein Schwund aber zeichnet sich mit dem Tod so mancher inzwischen betagter Mitglieder aus dem Osten ab. Zwar gebe es nach wie vor jüdische Familien, die nach Hannover zögen und den Weg zur Gemeinde fänden, sagt Wettberg. "Aber wenn wir die jungen Leute nicht gewinnen, sind wir verloren. Einen Kindergarten sowie viel Jugendarbeit betreibt die Gemeinde dazu. "Den 13- bis 17-Jährigen müssen wir attraktive Angebote machen, die fragen sich, gehe ich lieber zur Party oder in die Gemeinde."

Unabhängig vom Erfolg der Nachwuchswerbung ist die hannoversche Gemeinde auf jeden Fall um eine gewichtige Stimme reicher: Bassbariton Assaf Levitin, der bereits als Student in der Gemeinde wirkte, tritt mit seiner Amtseinführung am Donnerstag seinen Dienst als Kantor in Hannover an. Der von ihm gewählte Psalm zur Amtseinführung lautet: "O Herr! Öffne meine Lippen, und mein Mund verkünde Dein Lob!"

Von Michael Evers (dpa)