Die Jesuiten und die Flüchtlinge
400 Jahre lang hatten die Jesuiten im Ruhrgebiet eine äußerst wechselvolle Geschichte. Zuletzt waren noch drei polnische Patres für die Seelsorge in der Essener Gemeinde St. Ignatius zuständig. 2012 zogen aber auch sie ab. Doch nun kehren die Jesuiten zurück – mit einem ungewöhnlichen Projekt, das ganz auf der Linie ihres Ordensbruders Papst Franziskus liegt.
"Willkommenskommunität" ist der technische Ausdruck für das, was sich die Patres Lutz Müller und Ludger Hillebrand überlegt haben. Heißt: Die beiden Jesuiten wollen künftig gemeinsam mit bis zu acht Flüchtlingen unter einem Dach leben. Allerdings war es nicht ganz einfach, so ein Dach überhaupt zu finden. Unterstützt wurden sie bei ihrer Suche vom Bistum Essen und dessen Bischof Franz-Josef Overbeck. "Für die Stadt Essen und unser gesamtes Bistum ist eine solche Gemeinschaft eine enorme Bereicherung", warb er bereits vor Monaten für das Projekt.
Ehemaliges Essener Pfarrhaus wird zum Flüchtlingshaus
Schließlich wurden die Jesuiten fündig. Das Dach, unter dem sie nun bald wohnen werden, gehört zum ehemaligen Pfarrhaus der Gemeinde St. Elisabeth in Essen-Frohnhausen. Es wurde bisher nur noch in Teilen genutzt, enthielt das Gemeindebüro sowie zwei Arbeitszimmer. Die werden nun ins Nachbarhaus umziehen. "Einige Gemeindemitglieder hatten dennoch Bedenken", sagt Alfons Bäumer, der Mitglied im Kirchenvorstand ist und in den vergangenen Monaten einiges an Überzeugungsarbeit leisten musste. In den Jahren zuvor habe es im Bistum den großen "Pfarreientwicklungsprozess" gegeben, dessen Folge Fusionen und Einsparungen sind und noch sein werden. Durch den Verlust des Pfarrhauses zugunsten der "Willkommenskommunität" würde man sich räumlich noch weiter verkleinern. "Das hat einigen nicht gefallen", so Bäumer.
Doch die Vorteile überwogen schließlich. Das Pfarrhaus war bereits 100 Jahre alt und wurde vor 50 Jahren das letzte Mal renoviert. Alleine hätte die Gemeinde die Instandsetzung nicht bezahlen können und das Gebäude irgendwann verkaufen müssen. Nun teilt man sich die Renovierungskosten mit dem Bistum. Die Gemeinde refinanziert sich überdies durch die Mieteinnahmen der nächsten zehn Jahre.
Und letztlich – wohl der wichtigste Punkt – seien auch die Vorurteile gegenüber Flüchtlingen in den vergangenen Monaten abgebaut worden, so Bäumer. "Gerade weil es hier schon einige Flüchtlingsunterkünfte gibt, ist man im ständigen Kontakt und hat Freundschaften geschlossen." Es sei ja auch die Aufgabe eines Christen, dort zu helfen, wo es nötig ist, sagt er. Gerade über die Flüchtlingsarbeit könne man zudem engagierte Teile der Bevölkerung erreichen, die keine enge Bindung an die Gemeinde hätten. Also: Über gelebte Nächstenliebe zurück zur Kirche.
Die Jesuiten freut es jedenfalls, dass sie nun loslegen können. Der Umbau des Hauses hat bereits begonnen. Der Dachstuhl wurde entkernt und es gibt ein neues Gebälk. "Wenn es nach mir geht, leben wir ab April hier", sagt Pater Lutz Müller. Aber trotz allem Engagement gebe es handwerklich immer wieder Überraschungen. "Allein der Dachstuhl und die Elektroleitungen sind eine Herausforderung", sagt Müller.
Die Patres bringen Erfahrung mit
Der 54-jährige Jesuit kennt sich aus mit sozialen Projekten. Die vergangenen sechs Jahre leitete er die "Offene Tür" in Mannheim, eine Einrichtung für psychologische, soziale und seelsorgerliche Beratung. Sein Mitbruder Ludger Hillebrand war seit 2008 für den Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Berlin tätig und arbeitete seit 2009 als Seelsorger im Abschiebungsgewahrsam. Dort feierte er etwa mit vorwiegend muslimischen Abschiebungshäftlingen Gottesdienste oder vermittelte ihnen Anwälte.
Nun leben beide bereits seit September in Essen und begleiten den Umbau des neuen Flüchtlingshauses, das großzügig angelegt sein wird. Vorgesehen ist eine Wohnfläche von 250 Quadratmetern auf zwei Stockwerken. Die acht Flüchtlinge erhalten dabei jeweils Einzelzimmer. Hinzu kommen Badezimmer, Küche und Aufenthaltsraum. Den beiden Jesuiten stehen zusätzlich noch einmal 100 Quadratmeter auf einem weiteren Stockwerk zur Verfügung.
"Es ist ein Flüchtlingshaus, kein Flüchtlingsheim", betont Müller, als er über die Größe der geplanten Einrichtung spricht. Auch er hat von Übergriffen in einigen Unterkünften gehört, glaubt aber nicht, dass die – wie oftmals behauptet – eine Folge der Religionsverschiedenheit der Bewohner sind. "Es liegt doch eher am Zugang zu Trinkwasser, an der Sauberkeit, Hygiene, Lebensmittelverteilung und der räumlichen Enge", sagt er. Es gibt bei den Jesuiten also jede Menge Platz. Deshalb wird das Haus aber auch für Flüchtlinge unterschiedlicher Religionen zugänglich sein. Konflikte könne es dadurch zwar geben, so Müller. Dass es zu Gewalt kommen wird, glaubt der Jesuit aber nicht.
Ziel der Ordensmänner ist es, den Flüchtlingen bei der Eingliederung in die Gesellschaft zu helfen. Dazu gehöre es, den Alltag miteinander zu bestreiten und zum Beispiel gemeinsam zu essen, zu putzen oder einzukaufen, sagt Müller. Es gehe aber auch um das Leben in einer pluralen Gesellschaft, das Erlernen der deutschen Sprache oder die – in Deutschland oft komplizierten – Behördengänge und Dokumente. Zudem würde man die Flüchtlinge bei der Suche nach Ausbildungs- oder Arbeitsplätzen unterstützen, wenn es soweit ist.
In Erinnerung an Pater Frans van der Lugt
Anders als die Renovierung soll der laufende Betrieb über Zuschüsse finanziert werden, die die Kommunen für die einzelnen Flüchtlinge zahlen. "Und wenn das nicht reicht, springen die reichen Jesuiten ein", sagt Müller schmunzelnd. Schließlich seien er und sein Ordensbruder künftig mit je einer halben Stelle beim Bistum Essen angestellt. Im Gegenzug dafür sind die beiden zusätzlich in der Seelsorge tätig. Pater Hillebrand wird den Pfarrer der Pfarrei St. Antonius unterstützen, zu der auch die Gemeinde St. Elisabeth gehört. Pater Müller selbst wird in der Stadtkirche Essen verschiedene geistliche Angebote machen.
Noch ist es einige Monate hin, bis die ersten Flüchtlinge das Haus beziehen können. Einen Namen hat es aber schon vor der Fertigstellung bekommen: "Abuna-Frans-Haus". "Abuna" ist das arabische Wort für "Pater". Frans steht für den Vorname des niederländischen Jesuiten Frans van der Lugt. Der Ordensmann hatte sein Leben dem Dialog der Religionen gewidmet und zuletzt im syrischen Homs ein Begegnungszentrum für Christen und Muslime geleitet. Am 7. April 2014 wurde er vor der Ordensniederlassung von einem Mitglied der terroristischen al-Nusra-Front erschossen. "Das Leben dieses Mannes imponiert uns beiden sehr", sagt Müller. In Essen wolle man nun versuchen, dem Vorbild van der Lugts zu folgen.