Paramentenwerkstatt der Oberzeller Franziskanerinnen schließt

Ende einer 161-jährigen Tradition

Veröffentlicht am 28.12.2016 um 14:00 Uhr – Lesedauer: 
Kunst

Würzburg ‐ 161 Jahre lang schneiderten sie liturgische Gewänder und Textilien für Kirchenräume. Doch zum Jahresende schließt die Paramentenwerkstatt im Kloster Oberzell. Denn der Nachwuchs fehlt.

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Sorgsam trennt Schwester Sigharda Müller die Naht der prächtig bestickten Kasel auf. Eine silbergrau schimmernde Friedenstaube schmückt das Gewand, der rote Samtstoff ist mit einer goldfarbenen Borte gesäumt. "Da hängen Fäden heraus", sagt die 78-Jährige und deutet auf die Mitte des Messgewands. An manchen Stellen haben sich das feine, goldfarbene Garn gelöst, das die detailreichen Muster einsäumt.

Das Gewand besteht aus zwei Lagen Stoff und zusätzlich einem Unterfutter. Um an die beschädigten Stellen heranzukommen, muss Schwester Sigharda deshalb zunächst einen Teil der Naht auftrennen. "Ausbesserungsarbeiten machen wir noch", sagt Schwester Justilla Weiß, die Leiterin der Paramentenwerkstatt im Kloster Oberzell. Doch neue Messgewänder werden hier künftig nicht mehr hergestellt werden. Nach mehr als 160 Jahren schließt die Werkstatt zum Jahresende. Es gibt keinen Nachwuchs mehr.

Nähmaschinen mit Fußpedal

Mehrere Meter lang sind die Arbeitstische in der Paramentenwerkstatt. Ringsum an den Wänden stehen große Holzschränke voller Stoffe, Borten und Garne, jeweils nach Farben sortiert. Die Nähmaschinen werden noch mit Hilfe eines Fußpedals angetrieben. In einem anderen Raum lagern Schnittmuster in großen Pappschachteln. "Wir haben alle Schnittmuster aufgehoben", sagt Schwester Justilla. "Es sind wirklich schöne Sachen. Schwester Theophana hat die meisten Entwürfe gemacht." In ihrer Werkstatt stellten die Schwestern alles her, was für einen Gottesdienst oder die Ausstattung einer Kirche benötigt wird: von reich bestickten Kaseln über Stolen und Alben bis hin zu Wandteppichen, aber auch Vereinsfahnen. "Ich freue mich immer, wenn ich eine unserer Fahnen bei der Fronleichnamsprozession in Würzburg sehe", erzählt Schwester Sigharda.

Bis zu 15 Ordensfrauen waren zu den Hochzeiten der Paramentenwerkstatt in den 1970er und 1980er Jahren hier beschäftigt. Doch die meisten, wie Schwester Theophana, sind gestorben. Heute sind es nur noch drei: Schwester Justilla, Schwester Sigharda und Schwester Silveria Dorsch. Schwester Justilla (81) ist die "Dienstälteste". Sie kam 1953 in die Paramentenwerkstatt und absolvierte eine dreijährige Ausbildung bei Schwester Adolfa Schwappach. "Sie hatte eine Meisterprüfung in Paramentenstickerei. Drei Jahre habe ich bei ihr das Sticken gelernt. Sie war ziemlich streng", erinnert sich Schwester Justilla. Auf einem der Tische hat sie eine Stola ausgebreitet. Cremeweißer Stoff, umrandet von einer Goldborte. In die Mitte ist ein Fisch gestickt, der auf seinem Rücken eine Schale mit Brot trägt. "Das war mein Gesellenstück", erzählt sie.

Bild: ©Kerstin Schmeiser-Weiß

Sorgsam trennt Schwester Sigharda Müller von der Paramentenwerkstatt der Oberzeller Franziskanerinnen die Naht der prächtig bestickten Kasel auf.

Schwester Sigharda ist seit 1999 in der Paramentenstickerei. Zuvor hatte sie 40 Jahre als Krankenschwester gearbeitet. "Die Generaloberin hatte mich gefragt, ob ich eine Zeitlang aushelfen würde. Aus vier Wochen sind 17 Jahre geworden." Bereut hat sie den Wechsel nicht. "Wenn man ein bisschen Geschick und Freude an der Arbeit hat und die Umgebung stimmt, dann gehen die Jahre schnell herum", sagt sie schmunzelnd. Schwester Silveria, die an einem anderen Tisch goldgelbe Borten und Kordeln sortiert, ist trotz ihrer 84 Jahre die "Jüngste" in der Werkstatt - seit dem Jahr 2000 arbeitet sie hier. "Ich war Handarbeitslehrerin", erzählt sie und vertieft sich sofort wieder in das Entwirren der verknäulten Garne.

Auf einem Tisch haben die Schwestern Beispiele ihrer Handwerkskunst ausgebreitet. Neben Stolen in Lindgründ oder mit dezenter brauner Stickerei leuchtet ein Exemplar in Feuerrot und Grasgrün. An einer Wand hängt ein kleiner Teppich, ebenfalls von Schwester Justilla gestickt. Er zeigt Maria mit ihrem Kind, den Hintergrund schmücken unter anderem Sonne und Mond, Ochse und Taube. "Dafür braucht man mehrere Wochen. Aber ich war schon immer geduldig", sagt sie.

Ende einer 161 Jahre alte Tradition

Mit der Schließung der Paramentenwerkstatt geht eine 161 Jahre alte Tradition zu Ende. Seit der Gründung der Kongregation der Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu durch Antonia Werr im Jahr 1855 seien in der Paramentenwerkstatt Paramente hergestellt worden, heißt es in der hauseigenen Zeitung der Oberzeller Franziskanerinnen. Zunächst für den Eigenbedarf sowie für die Franziskaner-Minoriten in Würzburg, wie Generaloberin Schwester Katharina Ganz erklärt. 1930 habe im Mutterhaus eine Paramentenschule eröffnet, in der junge Schwestern ausgebildet wurden und Handarbeitslehrerinnen eine Möglichkeit zur Weiterbildung bekamen. Die hohe Qualität der Messgewänder sei weit über Würzburg hinaus bekannt geworden. So seien auch Aufträge aus dem Erzbistum Bamberg oder aus dem Raum Nürnberg gekommen. "Die Leute sind von überall gekommen", sagt Schwester Justilla. Im Raum Würzburg ist den Schwestern keine weitere Werkstatt bekannt, die dieses traditionelle Handwerk anbietet.

Künftig sollen nur noch klostereigene Sachen ausgebessert werden. Aufträge von außen würden nicht mehr angenommen. Für die Materialien, die in der Werkstatt lagern, haben sich schon einige Interessenten gefunden. Nach den Worten der Generaloberin seien bereits Stoffe und Garne gegen eine Spende an ein Kloster in Trier übergeben worden, und eine Damenschneiderin im Antonia-Werr-Zentrum in Sankt Ludwig benötige Borten für Uniformen. Das Anliegen sei, dass mit den wertvollen Stoffen weiterhin Messgewänder hergestellt werden.

Von Kerstin Schmeiser-Weiß

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