Beten – Termin mit Gott
Das Alte Testament ist eine wahre Fundgrube von Geschichten über die Beziehung der Menschen zu Gott. Abraham etwa geht mit Gott auf Tuchfühlung, lässt ihn teilhaben an seinem Leben: an Freude und Glück, an Sorge, Not und Trauer. Er ist für ihn ein enger Vertrauter: einer, der nicht nur zuhört, sondern auch Antwort gibt. Abraham feilscht regelrecht mit Gott und bittet ihn, das Leben der Gerechten in Sodom zu retten - der verderbten Stadt, die zerstört werden soll. Und Gott lässt mit sich handeln. Er verschont das Leben von Abrahams Neffen Lot und dessen Familie.
Psalmen – keine leichte Kost
Die Israeliten vertrauen auf Gottes Führung, bringen ihr Leben vor ihm zur Sprache. Dies wird vor allem im Psalter deutlich, dem wertvollsten Gebetsschatz der Bibel. Die Psalmen enthalten die ganze Bandbreite menschlicher Schicksale. Freude, Dankbarkeit und Gottvertrauen finden sich darin ebenso wie Wut, Resignation, Trauer und Glaubenszweifel. Auch Jesus betete nach jüdischer Tradition Psalmen. In Klöstern sind sie auch heute noch eine wichtige Gebetsform. Sie gehören zum Stundengebet und strukturieren den Tagesablauf der Nonnen und Mönche.
Linktipp: Das Stundengebet
Das Brevierbeten ist eine alte klösterliche Tradition, die die römische Kirche allen Priestern und Ordensklerikern erst im 16. Jahrhundert zur Pflicht machte.Psalmen sind keine leichte Kost. Nicht selten geht es darin hart zur Sache. Die Betenden hadern mit Gott, schleudern ihm ihre ganze Wut und Enttäuschung entgegen. Doch nie verlieren sie dabei ihren Glauben, dass der himmlische Vater alles richten wird. Im 139. Psalm heißt es: "Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich. Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. Von fern erkennst du meine Gedanken. Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt; du bist vertraut mit all meinen Wegen" (Verse 1-3). In diesem Psalm geht es keineswegs um Kontrolle und Überwachung durch Gott. Aus ihm spricht eine andere Glaubenserfahrung: Der Beter spürt die allgegenwärtige Kraft Gottes. Dankbar erkennt er, dass er von ihm gehalten und getragen wird.
Beten schafft Beziehung
Viele Gläubige können mit den vorgeformten Worten der traditionellen Gebete nichts anfangen. Sie sind auf der Suche nach neuen Texten und Gebetsformen. Das ist gut so. Doch wenn das, was einen Menschen im Innersten bewegt, nicht ausgedrückt werden kann, ist es gut, Gebete zu sprechen, mit denen Betende seit Jahrhunderten ihre Beziehung zu Gott zum Ausdruck gebracht haben. Leider gerät das regelmäßige Gebet im Trubel des Alltags oft in Vergessenheit. Und nicht selten fehlt dann die Kraft zum Beten.
Der kanadische Ordenspriester Ronald Rolheiser plädiert für Routine und Rituale, die das tägliche Gebet so selbstverständlich machen wie das Zähneputzen. "Wer täglich betet, den erwartet wenig Aufregendes", sagt er. "Und doch entsteht dabei eine Bindung und Vertrautheit: Unter der Oberfläche wächst eine tiefe Beziehung zwischen dem Betenden und Gott." Den besten Beweis dafür liefern Ordensleute mit ihrem strukturierten Tagesablauf, zu dem auch feste Gebetszeiten gehören. Die Verlässlichkeit des Vertrauten, immer Wiederkehrenden hilft ihnen beim täglichen Beten.
Beten ist gesund
Oft reicht ein kurzes Stoßgebet, um zur Ruhe zu finden und mit Gott Kontakt aufzunehmen. Vielen kranken Menschen geben solche Stoßgebete Halt. Die Ostkirche kennt das Jesus-Gebet. Beim Einatmen werden die Worte "Herr Jesus Christus" gesprochen, beim Ausatmen "erbarme dich meiner".
Das Jesus- oder Herzensgebet führt durch die immer gleichen Worte und den Atemrhythmus automatisch zu mehr Ruhe und Entspannung. Nicht umsonst wird sowohl dem Beten als auch dem Meditieren eine heilende Wirkung nachgesagt. Regelmäßige Gebete können sich nämlich positiv auf die Gesundheit auswirken. Studien von Professor Dale A. Matthews an der Georgetown University (USA) ergaben: Wer regelmäßig betet, erkrankt seltener, wird schneller gesund, stärkt sein Immunsystem und ist insgesamt seelisch stabiler und zuversichtlicher.
Warum lässt Gott das zu?
Wie geht Gott mit Bittgebeten um? Zeigt er Erbarmen und hilft? Oder lässt er Menschen in Notsituationen hängen? Gläubige Christen denken an die Bitte Jesu im Garten Gethsemane: "Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst, soll geschehen." (Markus 14,36) Jesu Bitte wurde nicht erhört, er konnte seinem Tod am Kreuz nicht entgehen. Und er stirbt mit den Worten des 22. Psalms: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Wie oft mögen Menschen diese Worte gen Himmel geschrien haben? Und wie viele sind auch heute noch bitter enttäuscht von ihrem Gott, der Unheil, Krieg, Terror und Tod nicht verhindert.
Kein Handel mit Gott
Der von den Nazis hingerichtete evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer hielt trotz aller Todesangst an Gott fest – und an der Zuversicht, dass er ihn nicht im Tod versinken lässt, sondern ihm ewige Heimat im Himmel schenkt. Er sagte einmal: "Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber seine Verheißungen." Mit dem Beten lässt sich kein Handel treiben und sich erst recht nicht an den schweren Stunden des Lebens vorbei schummeln. Wichtig ist der Glaube daran, dass allein Gott aus der Macht des Todes befreit, wie schwer der Weg bis zu diesem Ziel auch sein mag. Von einem solchen Gottvertrauen spricht der 73. Psalm: "Ich aber bleibe immer bei dir, du hältst mich an meiner Rechten." (Vers 23)
Betende dürfen Gott bitten und darauf vertrauen, dass er seine Verheißungen erfüllt und alle bei ihm Heimat finden werden. Bittgebete werden aber allzu oft missbraucht. Bedenklich ist es, Gott um den Sieg im Tennis-Match oder Glück bei einer Geldanlage zu bitten. Das Gebet ist Kommunikation mit Gott. Er antwortet – wenn auch nicht immer sofort. Wer regelmäßig betet, weitet seinen Blick, gewinnt Klarheit und spürt, wenn auch oft mit etwas Verspätung, die Antwort Gottes.