Das Wort der deutschen Bischöfe zu "Amoris laetitia" kommt spät

Kompromisspapier mit Potential

Veröffentlicht am 01.02.2017 um 12:30 Uhr – Lesedauer: 
Analyse

Bonn ‐ Lange hat es gedauert, bis die deutschen Bischöfe sich auf eine gemeinsame Position zu Amoris Laetitia verständigt haben. Das Ergebnis stellt die Weichen für Pastoral und Dogmatik im Sinne des Papstes.

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"Amoris laetitia" ist deutlich mehr als die eine Fußnote 351, um die sich seit Monaten weltweit die Debatte dreht. Ein Dreivierteljahr hat es gedauert, bis die Deutsche Bischofskonferenz sich als Ganzes zu dem nachsynodalen Schreiben äußert - zum ganzen Schreiben, nicht nur zur Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Doch genau auf diesem Thema liegt das Interesse - interessant ist nicht der Konsens, sondern die Konfliktlinie.

Was die deutschen Bischöfe da schreiben, ist erkennbar ein Kompromisstext: abwägend, differenzierend, in weiten Teilen mehr eine Nacherzählung denn eine Weiterentwicklung von "Amoris laetitia". Zeitweise war aus den Reihen der Bischofskonferenz zu hören, dass das Papstschreiben schlicht so gut sei, wie es ist, und keiner nachgeschobenen Interpretation bedürfe. Die Schlüsse für die deutsche Kirche sind auch allesamt weder neu noch revolutionär, weder besonders lax wie in Malta, noch besonders rigoros wie in Philadelphia: Glaube in den Familien stärken, Eheleute besser vorbereiten und begleiten - und beim Kommunionempfang abwägen.

Keine Revolution

Eine Revolution aus der Bischofskonferenz war nicht zu erwarten: Zu einmütig ist die Position der Bischöfe zur Familienpastoral und Sakramentenkatechese, zu kontrovers die Standpunkte zum Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, als dass etwas anderes als dieses Papier hätte entstehen können. Was erreicht wurde, dürfte auch so schon eine diplomatische Meisterleistung darstellen in einer Bischofskonferenz, die in den letzten Jahren - etwa bei der Reform des kirchlichen Arbeitsrechts - sich nicht immer leicht tat, mit einer Stimme zu sprechen.

Bild: ©KNA

Das nachsynodale Schreiben "Amoris laetitia" von Papst Franziskus, das am 8. April 2016 veröffentlicht wurde.

Zum umstrittenen Thema der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene schreiten die Bischöfe dieselben abwägenden Überlegungen ab wie auch Franziskus: kein Automatismus, keine generelle Zulassung, stattdessen sorgfältige Unterscheidung. Immerhin: Fußnote 351 folgend wird die "Möglichkeit des Sakramentenempfangs" erwogen, wo "objektiv irreguläre" Situationen subjektiv "nicht oder zumindest nicht völlig schuldhaft" sind.

Das ist ein Schritt in Richtung Öffnung, aber keine Klärung: Wer auf eine Kasuistik hoffte, eine Entscheidungshilfe, die klar erlaubt von unerlaubt trennen hilft, wird enttäuscht. So konkret wie der Passauer Bischof Stefan Oster bereits im Juli 2016 wurde, werden die Bischöfe hier nicht. Papst Franziskus selbst gibt ebenso keine eindeutigen Antworten, und seien die Fragen noch so klar und scharf formuliert wie bei den "Dubia" der vier Kardinäle. Als Affront ist das Schweigen des Papstes wohl nicht gedacht. Stattdessen ist es die logische Folgerung eines Seelsorgers, der weiß, dass er es mit je einzelnen Menschen zu tun hat, deren Situation jeweils so verschieden und komplex ist, dass jede allgemeine Regel eine grobe Vereinfachung und Missachtung der einzelnen Person darstellt.

Unterscheidung der Geister

Das ist eine Herausforderung für eine Kirche, die pastorale Fragen gerne rechtsförmig einhegt. Dass kirchliche Ehenichtigkeitsprozesse immer wieder in den Medien als Beispiel einer unbarmherzigen Kirchenbürokratie dargestellt werden, liegt nicht an vermeintlich kirchenfeindlichen Journalisten. Es liegt in der Natur der Sache: in der Verrechtlichung des Sakraments und der juristischen Logik des eindeutig subsummierbaren Sachverhalts. Das Sakrament - das der Ehe wie das der Eucharistie - wird theologisch so hoch geschätzt und kirchlicher Disziplin unterstellt, dass sein Schutz den Kerngehalt jedes Sakraments aus den Augen zu verlieren droht: sichtbares Zeichen der verborgenen Heilswirklichkeit zu sein. 

Linktipp: Wiederverheiratete dürfen im Einzelfall zur Kommunion

Rund neun Monate nach der Veröffentlichung von "Amoris laetitia" positionieren sich jetzt auch die deutschen Bischöfe in einem gemeinsamen Wort zum Papstschreiben. Das Ergebnis: Wiederverheiratete Geschiedene dürfen Beichte und Eucharistie empfangen - allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Sichtbar ist im Ehenichtigkeitsprozess wie im Ausschluss vom Empfang der Kommunion nicht die Heilswirklichkeit, sondern heillos komplizierte, unverständliche Bürokratie. Der Jesuit Franziskus stellt gegen das juristische Urteilen das jesuitische Unterscheiden der Geister.

Aufs Gewissen setzen

Diese Unterscheidung ist anspruchsvoll - das merkt man auch dem tastenden Bischofswort an, das vermitteln will zwischen zu laxen und zu rigorosen Positionen. Immer noch hat die kirchenrechtliche Lösung über Ehenichtigkeitsverfahren einen hohen Stellenwert als klare und akzeptierte Lösung zur Schaffung regulärer Situationen, auch im Bischofswort. Doch wer das Ehesakrament ernst nimmt, kann nicht nur auf Annullierungen bauen; das böse Schlagwort von der "katholischen Scheidung " ist ein Reflex auf Nichtigkeit als Allheilmittel.

Wenn Beziehungen zerbrechen, folgt daraus noch nicht, dass die Ehepartner das Bestehen der Ehe in Zweifel ziehen. Auch das ist eine Form, das Eheband ernstzunehmen. Die Bischöfe legen daher stark auf individuelle geistliche Unterscheidungsprozesse und Gewissensbildung wert. Zu den deutlicheren Ansagen des Textes gehört die Aufforderung, nach dem seelsorgerischen Dreischritt "begleiten - unterscheiden - eingliedern" "eine Entscheidung für den Sakramentenempfang [...] zu respektieren". Das Dilemma auf den Punkt bringt ein Satz, der sich eigentlich auf ein anderes Thema bezieht, auf die eucharistische Gemeinschaft in konfessionsverbindenden Ehen: "Wir sind uns bewusst, dass es nicht leicht ist, die katholische Position in unserer Zeit zu vermitteln und zugleich in pastoraler Verantwortung mit dieser Frage umzugehen."

Codex Iuris Canonici
Bild: ©KNA

Das Heil der Seelen soll höchstes Gesetz sein – das gilt auch im Kirchenrecht.

Es ist erfrischend, ein solches implizites Eingeständnis der Ratlosigkeit aus der Feder der Bischöfe zu lesen: Wie sind Dogmatik und Pastoral, Orthodoxie und Orthopraxie in eins zu bringen? Was bedeutet es, wenn die Lehre mit pastoraler Verantwortung kaum zu vermitteln ist? Pastoral steht nicht einfach nur neben der Dogmatik, die beiden Felder spielen nicht die Rollen "guter Polizist, böser Polizist": Eine pastorale Praxis, die dogmatischen Kriterien nicht standhält, ist ebenso unkirchlich wie eine Dogmatik, die nicht dem Heil der Seelen dient. Eine Unterordnung der Pastoral unter die Dogmatik ist so problematisch wie umgekehrt. Katholisch ist nicht entweder-oder, sondern sowohl als auch.

Das ist die große Herausforderung von Amoris laetitia. Die einfache Antwort ist die der vier Kardinäle: Weiterhin die Pastoral an klaren, unverrückbaren und überpersonalen Kriterien von wahr und falsch zu orientieren. Die andere einfache Antwort ist es, die Tradition zugunsten eines unterschiedslosen Zugangs zu den Sakramenten beiseitezulegen - billige Gnade.

Was die deutschen Bischöfe vorlegen, ist ein Mittelweg, ein Kompromiss. Für die Praxis, wie sie in den Pfarreien gelebt wird, wird sich dadurch wenig ändern. Die theologischen Konsequenzen einer Dogmatik wie einer Pastoral, deren Kriterium Unterscheidung der Geister und nicht kasuistische Richtig-Falsch-Übungen sind, sind das eigentlich interessante. Sie haben das Potential, fruchtlose Konfliktlinien zu überwinden, an denen sich die Kirche gerade in Deutschland gerne verkämpft. Es wird sich zeigen, ob der Kompromiss des Bischofswortes so produktiv wird - oder doch nur Formelkompromiss bleibt.

Von Felix Neumann