Rehabilitiert Judas
Er gilt als Verräter schlechthin. Begriffe wie "Judas-Lohn" und "Judas-Kuss" sind sprichwörtlich geworden. Schon die vier Evangelien bezichtigen den Apostel Judas Iskariot, Jesus verraten zu haben. Sie lieferten damit auch die Blaupause für jahrhundertelangen kirchlichen Antijudaismus.
Andererseits gibt es immer wieder Versuche, Judas zu verstehen und ein anderes Bild von ihm zu zeichnen. In dem 1975 erschienenen Buch "Der Fall Judas" von Walter Jens fordert ein verzweifelter Apostel seine Rehabilitation: Er sei nicht ein Verräter, sondern ein fester Posten in Gottes Rechnung mit der Menschheit.
Nicht Verräter, sondern glühender Anhänger
Noch weiter geht der gleichnamige Spielfilm des Regisseurs Rabah Ameur-Zaimeche, der an diesem Montag auf dem deutsch-französischen Kulturkanal Arte und damit erstmals im deutschen Fernsehen gezeigt wird. Im Werk des französisch-algerischen Filmemachers gibt es gar keinen Verrat: Judas bleibt ein glühender Anhänger des galiläischen Rabbis; er nennt ihn "Sohn des Lichts" und bezeichnet ihn als "erhaben".
Jesus seinerseits dankt seinem "Bruder", als Judas den nach 40 Fastentagen völlig entkräfteten Freund auf den Schultern aus der öden Steinwüste zum Jordan schleppt. "Judas war zu lange die symbolische Figur des Antisemitismus", sagt der Regisseur. Und wirft einen ganz anderen Blick auf den Apostel.
Freier Umgang mit der biblischen Geschichte
Der Film - gedreht in der imposanten Landschaft der algerischen Sahara - geht sehr frei mit den biblischen Geschichten um. Barrabas, in den Evangelien ein gewöhnlicher Krimineller, ist im Film ein Alter Ego von Jesus. Ein Narr, der sich vor Kindern als König der Juden verkleidet und zum Widerstand gegen die Römer aufruft.
Gesprochen wird im Film wenig. Die Kamera ruht in Nahaufnahmen lange auf den eindrucksvollen Gesichtern und der kargen Landschaft; ausgefeilte Geräuschkulissen unterstreichen die Ruhe noch. Es gibt keinen prächtigen Tempel, keinen pompösen Palast des Pilatus und keine quirlige Stadt Jerusalem. Überall nur Ruinen und ärmliche Lehmhütten, die auf die Vergänglichkeit aller menschlichen Gesellschaften verweisen. Auch die Gerichtsszene vor Pilatus findet unter freiem Himmel in einer Ruinenlandschaft statt. "Schau Dich um, dein Reich liegt in Trümmern", hört man Jesus sagen.
Die Figur des Judas bleibt eigentümlich blass. Er hat lockeren Kontakt zu Widerstandskreisen gegen die Römer, wird aber nicht als der eifernde Kämpfer gegen die Besatzungsmacht gezeichnet.
Stattdessen wirbt er für die Frische und Klarheit der Botschaft Jesu und wirft gemeinsam mit seinem Herrn die Tische der Händler vor dem Tempel um.
Judas fühlt sich für die Sicherheit seines Meisters verantwortlich.
Doch gegen die Machtspiele der religiösen Hierarchie und der militärischen Besatzer hat er keine Chance. Als er einen mysteriösen Spitzel stellen will, der die Worte Jesu heimlich aufzeichnet, wird er schwer verletzt. Deshalb erlebt er die letzten Tage Jesu nicht aus nächster Nähe mit. Als er vom Tod des Meisters erfährt, will er nicht mehr weiterleben.
Arte zeigt den Film in deutscher TV-Erstausstrahlung im Rahmen seines jährlichen Berlinale-Programmschwerpunkts. Bis zum 19. Februar strahlt der Kulturkanal mehrere Filme aus, die bei früheren Berliner Filmfestivals Premiere hatten und mit Preisen ausgezeichnet wurden - darunter ebenfalls am Montag um 20.15 Uhr Dietrich Brüggemanns "Kreuzweg" über das Leben der 14-jährigen Maria in einer streng katholischen Familie; ab 22.00 Uhr Claude Chabrols "Die Brautjungfer" und am Mittwoch (15.2.) um 20.15 Uhr Sebastian Lelios "Gloria". "Der Fall Judas" erhielt 2015 den Preis der ökumenischen Jury.