Warum nicht eine gemeinsame Bibel?
Die ökumenische Bibeltagung in Stuttgart ist einer der Höhepunkte im Reformationsjahr. Hier sollen am Donnerstag die beiden neuen Bibelübersetzungen der Katholiken und Protestanten analysiert, verglichen und - vor allem - gegenseitig wertgeschätzt werden. Doch warum gibt es in Zeiten ökumenischer Aufbrüche überhaupt noch zwei verschiedene Übersetzungen? Katholisch.de hat mit der Direktorin des Bibelwerks, Katrin Brockmöller, darüber gesprochen.
Frage: Frau Brockmöller, die beiden großen christlichen Konfessionen veranstalten im Lutherjahr eine ökumenische Bibeltagung - mit zwei neuen Bibelübersetzungen. Warum gibt es keine gemeinsame Übersetzung?
Brockmöller: Weil wir zwei Kirchen mit unterschiedlichen Übersetzungstraditionen haben. Der Begriff "Einheitsübersetzung" wurde übrigens in der Vergangenheit oft missverstanden. Das Wort Einheit meint dabei nicht in erster Linie eine ökumenische Einheit. Das Neue an der Einheitsübersetzung 1980 war, erstmals eine einheitliche, deutsche Übersetzung der Bibel für alle Orte katholischen, kirchlichen Lebens zu schaffen. Also für die Liturgie, das Gebet, die Katechese und die private Bibellektüre. Ein weiteres Novum war natürlich die Tatsache, dass die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die evangelische Bibelgesellschaft für die Evangelien und die Psalmen Mitherausgeber waren.
Frage: Dennoch bemühen sich ja beide Kirchen in Deutschland seit Jahrzehnten um die Ökumene. Hätte man da nicht auch beim Wort Gottes noch stärker zusammenarbeiten müssen?
Brockmöller: Zumindest wollte man an die bisherige Tradition anknüpfen und bei den Psalmen und Evangelien erneut kooperieren. Das Vorhaben ist dann aber 2005 mit der vatikanischen Instruktion "Liturgiam authenticam" gescheitert. Denn darin steht, dass Texte, die für die Liturgie verwendet werden, von Rom anerkannt werden müssen. Und dazu gehört auch die Bibel. Diesem Diktat wollte sich die EKD jedoch nicht unterwerfen.
Frage: Papst Franziskus hat vor wenigen Tagen eine Delegation der EKD empfangen. Er ist auch sonst ein großer Vorkämpfer für die Ökumene. Könnte die nächste Übersetzung ökumenisch werden?
Brockmöller: Früher habe ich auch gedacht, es bräuchte eine gemeinsame Bibelübersetzung. Mittlerweile bin ich mir aber unsicher. Eine Bibelübersetzung ist immer mehr, als einen Wortlaut von einer Sprache in eine andere zu transferieren. Die religiöse Beheimatung hängt eben neben der liturgischen und spirituellen Praxis auch am Wortlaut und Klang der je unterschiedlich übersetzten Bibel. Auch evangelische Christen, die sehr stark ökumenisch orientiert sind, würden ihre Lutherbibel nicht für eine gemeinsame Übersetzung aufgeben wollen. Genauso ist die Einheitsübersetzung mittlerweile eine katholische Tradition geworden. Ich habe lieber eine Vielfalt von Übersetzungen. Denn daran sieht man, dass Übersetzungen immer ein offener Prozess sind.
Frage: Auf der Bibeltagung geht es auch um den Vergleich beider Übersetzungen. Was sind die Unterschiede?
Brockmöller: Der größte Unterschied ist der sprachliche Klang. Der Luthertext hört sich ehrwürdiger und älter an. Das merkt man bis in die Grammatik hinein. Das klassische Beispiel aus dem Korintherbrief lautet: "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht" (1 Kor 13,1). Der Artikel "der" ist heute grammatikalisch falsch, aber klassischer Lutherklang. Die Einheitsübersetzung versucht dagegen eher ein gehobenes Gegenwartsdeutsch zu bieten. Ansonsten versuchen beide Übersetzungen, wieder nah an den ursprünglichen Text heranzukommen.
Frage: Haben Sie noch ein Beispiel?
Brockmöller: Nehmen wir die berühmte Stelle Exodus 3,14. Dort geht es um die Offenbarung des Gottesnamens. Die Einheitsübersetzung hat ihn bisher mit "Ich bin der ich bin da" übersetzt. Das "da" steht dort im Hebräischen eigentlich nicht. Es war ein Versuch etwas auszudrücken, was man im Hebräischen machen kann, nicht aber im Deutschen. Während wir in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft denken, kennt das Hebräische nur abgeschlossene und nicht abgeschlossene Zeiträume. Hier handelt es sich um einen nicht abgeschlossener Zeitraum. Die neue Einheitsübersetzung entscheidet sich hier für die Wiedergabe in der Gegenwart. Also steht dort: "Ich bin der ich bin." Die Lutherbibel verwendet an gleicher Stelle das Futur und übersetzt mit "Ich werde sein, der ich sein werde". Beide Übersetzungen sind richtig und funktionieren. Man kann sie aber nicht beide gleichzeitig in einer Bibel unterbringen. Also können wir uns doch freuen, beide Varianten im deutschsprachigen Raum zu haben.
Frage: Fließen auch theologische Überlegungen in die Bibelübersetzung ein?
Brockmöller: Soweit ich das überblicken kann, ist das weder bei Luther 2017 noch bei der Einheitsübersetzung in derartiger Weise der Fall, dass dogmatische oder theologische Aspekte in den Text hineingeschrieben würden. Trotzdem prägt die Theologie die Wortwahl. Ein gutes Beispiel findet sich im Buch Micha im Alten Testament. Wo wir in der Einheitsübersetzung vom "Recht tun" sprechen, steht in der Lutherbibel "nichts als Gottes Wort halten" (Mi 6,8). Hier kann man schon von einer evangelisch-theologische Zentrierung auf das Wort Gottes und das "sola scriptura" sprechen. Vom hebräischen Text her kann man beides begründen. Die biblischen Rechtsordnungen sind ja als "Gottes Worte" erzählt. Ein paar Worte weiter lesen wir in der Einheitsübersetzung "achtsam mitgehen mit deinem Gott" - eine wunderbare Beschreibung der Gottesbeziehung. Und ich freue mich, dass hier nicht mehr "Ehrfurcht" steht. Denn beim Wort "Ehrfurcht" stellen sich viele Menschen eher eine angstbesetzte Beziehung vor. Und eine Beziehung, die man kaum selbst gestalten kann.
Frage: Trotz aller Unterschiede kommen nun Katholiken und Protestanten zu einer ökumenischen Bibeltagung in Stuttgart zusammen. Was ist das Ziel?
Brockmöller: Das große Ziel ist, sich gegenseitig in der je eigenen Tradition anzuerkennen und wertzuschätzen. Wir wollen nicht weiter über die Vergangenheit grollen oder darüber, dass es nun keine gemeinsame Bibelübersetzung gibt - aus welchen Gründen auch immer. Verschiedene Bibelübersetzungen bedeuten unterschiedliche Zugänge zum Wort Gottes. Sie sind eine Bereicherung.
Frage: Kardinal Reinhard Marx und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm werden auf der Tagung auch darüber sprechen, was sie an der Bibel lieben. Was ist denn Ihre Lieblingsbibelstelle?
Brockmöller: Eine Stelle, die ich sehr liebe ist Dtn 30,11-14. Die werde ich im ökumenischen Gottesdienst während der Bibeltagung auch vorlesen: "Das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten." - Egal in welcher Übersetzung. Mich fasziniert daran vor allem die Vorstellung der inneren Nähe. Das Wort Gottes und damit ja auch Gott selbst ist eben nicht weit weg, im Himmel oder jenseits des Meeres, sondern immer schon in meinem Herzen, in meinem innersten Zentrum. Ich weiß sozusagen, wo ich Gott suchen muss und ich kann es auch jederzeit. Ohne mein Herz gibt es mich ja nicht.