So baut der Vatikan sein neues Super-Ministerium auf

Verwaltungsreform für Gerechtigkeit und Frieden

Veröffentlicht am 17.03.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Giovanni Pietro Dal Toso ist Sekretär im Päpstlichen Rat "Cor unum".
Bild: © KNA
Kurienreform

Vatikanstadt ‐ Im Vatikan entsteht gerade das "Dikasterium für den Dienst an der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen". Giampietro Dal Toso weiß zwar noch nicht wo und wie, aber dafür, was für Franziskus Chefsache ist.

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Seit Jahresanfang werden im Vatikan vier bisher eigenständige Behörden - die Räte für Gerechtigkeit und Frieden, für Migration, für das Gesundheitswesen sowie "Cor Unum" - zu einer neuen Einheit zusammengeführt, dem "Dikasterium für den Dienst an der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen". Wie die neue Großbehörde entsteht, warum eine Zusammenlegung zweckmäßig ist und weshalb der Papst das Flüchtlingswesen zur Chefsache gemacht hat, erläutert der bisherige Zweite Mann von "Cor Unum", Prälat Giampietro Dal Toso, im Interview mit katholisch.de.

Frage: Herr Prälat, wie entsteht die neue Behörde?

Dal Toso: Das neue Dikasterium wurde mit einem "Motu proprio" des Papstes vom 17. August 2016 offiziell gegründet. Gleichzeitig ernannte Franziskus einen neuen Präfekten, der dem Übergangsprozess vorsteht und dann das Dikasterium leiten soll, Kardinal Peter Turkson. Seither versuchen wir - die leitenden Mitarbeiter der vier bisherigen Behörden - mit vielen Sitzungen und Konferenzen einen Prozess zur Bildung des neuen Dikasteriums in Gang zu setzen. Der Prozess erfolgt in drei Phasen: Zunächst galt es, die verschiedenen Aufgaben und Zuständigkeiten der bisherigen Behörden zusammenzutragen und zu sammeln; derzeit versuchen wir, diese Kompetenzen zu definieren und in eine Synthese zu bringen. In der dritten Phase geht es dann um die Verteilung des Personals.

Frage: Wie lange wird dieser Prozess dauern?

Dal Toso: Ich hoffe, dass wir in den nächsten Monaten damit fertig sind. Allerdings ist es aufgrund der vielfältigen Kompetenzen nicht ganz einfach. Aber wir haben einen Vorschlag für eine mögliche Struktur entwickelt. Er muss jetzt eingehend studiert werden.

Frage: Soll die neue Behörde die gleichen Aufgaben wie die bisherigen vier Räte erledigen - nur mit einer schlankeren Leitung? Also statt vier eigenständiger Behörden nun eine neue Großbehörde mit vier Unterabteilungen?

Dal Toso: Nein. Die Idee war und ist, nicht so weiterzumachen wie bisher. Einer der Gründe für die Neuerung waren die verschiedenen Doppelungen und Überlappungen in unserer Arbeit. Es wird nun versucht, den ganzen Bereich rational zu strukturieren und alle Überschneidungen zu vermeiden. Es geht also um eine grundsätzlich neue Behörde, die freilich die Tradition, Kompetenz und Erfahrung der vier bisherigen Dikasterien weiterführt.

Linktipp: Kurienbehörde für eine bessere Welt

Die "ganzheitliche Entwicklung des Menschen" wird im Vatikan ein eigenes Ressort. Es vereint die Herzensanliegen des Papstes. Die Sorge um Flüchtlinge macht er sogar zur Chefsache.

Frage: Wo gab es denn bisher Überschneidungen?

Dal Toso: "Cor Unum" hat in den 1990er Jahren ein Dokument zur Migration herausgegeben und vor drei Jahren komplett aktualisiert - zusammen mit dem Migranten-Rat. Außerdem haben viele Partner-Organisationen von "Cor Unum" auch Kontakt mit dem Rat für Gerechtigkeit und Frieden aufgenommen. Da gab es durchaus das Bedürfnis nach einer klareren Zuordnung.

Frage: Was ist die Aufgabe des neuen Dikasteriums, welches sind die Prioritäten?

Dal Toso: Es sind zwei Aspekte, die der Papst bereits mit dem Namen der neuen Behörde vorgegeben hat: Es geht um einen Dienst, den die Kirche leistet. Und dieser kirchliche Dienst soll dem ganzheitlichen Wohl des Menschen zugutekommen. Das schließt die vielen Initiativen ein, mit denen die Kirche den Menschen in seiner Ganzheit fördern will.

Frage: Das sind also Frieden, Gerechtigkeit, Caritas und Flüchtlinge - in dieser Reihenfolge?

Dal Toso: Es wäre falsch, eine Liste von Prioritäten anhand der alten Räte aufstellen zu wollen. Es geht jetzt um eine neue Synthese und eine neue Perspektive. Im wesentlichen handelt es sich um zwei Bereiche. Da ist der große Block der pastoralen Aufgaben. Der bisherige "Rat für die Pastoral im Krankendienst" hatte dies schon im Namen. Auch der Rat für die Migration hatte sehr viele Kompetenzen für Menschen in Mobilität: Pilgerseelsorge, Tourismusseelsorge, Flughafenseelsorge. Wir als "Cor Unum" hatten einige pastorale Aufgaben, etwa die Begleitung der großen katholischen Hilfsorganisationen. Der andere wichtige Block sind all die Themen, die sich sozial definieren: Fragen des Friedens, der Arbeit, der Wirtschaft, der Menschenrechte, der Armut. Es geht nicht darum, hier eine hierarchische Ordnung zu suchen - nach dem Motto "Ist Friede wichtiger oder ist Pastoral wichtiger?". Vielmehr geht es darum, die verschiedenen kirchlichen Dienste in diesem Bereich unter dem Blickwinkel der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen zusammenzuführen.

Kardinal Peter Kodwo Appiah Turkson.
Bild: ©KNA

Kardinal Peter Turkson ist der Leiter des neuen Dikasteriums.

Frage: Wird das gesamte Personal der vier Behörden übernommen? Und wo wird das neue Dikasterium seinen Sitz haben?

Dal Toso: Eines der Kriterien war, dass niemand seine Arbeitstelle verliert. Das neue Dikasterium wird für römische Verhältnisse eine ziemlich große Behörde werden. Es kann sein, dass in einzelnen Fällen Leute in andere Büros versetzt werden. Über den Ort ist noch nicht entschieden. Eine mögliche Option ist der Palazzo San Callisto in Trastevere.

Frage: Die neue Behörde läuft derzeit provisorisch unter der Typisierung "Dikasterium", weil man sich noch nicht weiter festlegen wollte. Ist inzwischen entschieden, ob es den Rang einer Kongregation oder eines Päpstlichen Rates erhält?

Dal Toso: Nein. Das ist weiterhin nicht geklärt.

Frage: Den knappen Mitteilungen des Vatikan über die Entstehung der neuen Behörde war zu entnehmen, dass der zuständige Kardinalsrat lange über deren Namen diskutiert hat. Erst sollte es "Caritas, Gerechtigkeit und Frieden" heißen, später "Frieden, Gerechtigkeit, Flüchtlinge" oder ähnliche Varianten. War das ein Ringen um unterschiedliche Konzepte?

Dal Toso: Ich kenne nicht die Details über den Prozess der Namensgebung. Aber mit der Entscheidung für eine ganz neue Benennung wollte man der Versuchung gegensteuern, die alten Prioritäten oder Kriterien irgendwie weiterzuführen. Es sollte uns helfen, einen neuen Schlüssel zu finden.

Stichwort: Dikasterium

Der Begriff "Dikasterium" bezeichnet eine Zentralbehörde der römischen Kurie. Ein Dikasterium ist vergleichbar mit einem Ministerium in einer Regierung.

Frage: Sind Laien in der neuen Behörde künftig stärker beteiligt?

Dal Toso: Die Normen sehen vor, dass der Sekretär und die Untersekretäre Laien sein können, das ist aber nicht Vorschrift. Was das übrige Personal betrifft, so gab es in allen vier Behörden bislang bereits mehr Laien als Kleriker. Und dieses Personal soll ja möglichst komplett in das neue Dikasterium übergehen.

Frage: Der Bereich der Flüchtlinge ist aus der neuen Behörde ausgeklammert, den hat sich der Papst direkt vorbehalten.

Dal Toso: "Ausgeklammert" ist nicht der richtige Begriff. Denn auch dieser Bereich gehört zum neuen Dikasterium. Aber er ist direkt dem Papst unterstellt. Das wird unter anderem durch die Tatsache deutlich, dass der Papst im Dezember zwei Subsekretäre für den Bereich Migration ernannt hat, die als Subsekretäre des neuen Dikasteriums figurieren. Es stimmt aber, dass der Papst diese Frage persönlich verfolgen möchte.

Frage: Und warum?

Dal Toso: Ich denke, weil Migration heute eine der großen Fragen ist, die die Welt bedrängen. Sie betrifft nicht nur die Zwangsmigration, sondern ist ein Phänomen von weltweit 60 Millionen Menschen. Schon bisher engagiert sich die Kirche in diesem Bereich sehr stark.

Von Johannes Schidelko

Zur Person

Giovanni Pietro Dal Toso (*1964) arbeitete mehr als 20 Jahren im Päpstlichen Rat "Cor unum", ab 2010 als dessen Sekretär. Derzeit arbeitet er am Aufbau des neuen Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen mit.