In Somalia regt sich Widerstand gegen die Beschneidung von Mädchen

Grausam und demütigend

Veröffentlicht am 29.05.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Somalia

Mogadischu ‐ Idil Jusuf Ahmed ist geübt in dem, was sie tut. Kühl beschreibt die achtfache Mutter die Beschneidung: "Als erstes betäube ich die Zone mit eiskaltem Wasser. So fühlen sie nicht den geringsten Schmerz. Danach mache ich einen schnellen Schnitt an der linken, dann an der rechten Seite. Dann schneide ich von unten nach oben weiter." Am Ende nähe sie alles mit einer dicken Nadel zusammen. "Ich lasse nur ein kleines Loch für die Menstruation und den Urin."

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Ahmed lebt im Flüchtlingslager Al-Cadaala rund zehn Kilometer von Somalias Hauptstadt Mogadischu. Ihre Hände haben in den drei Jahren, seit sie in der Siedlung mit mehr als 100.000 Einwohnern lebt, schon Hunderte Mädchen beschnitten. Ahmed nimmt die in Somalia am weitesten verbreitete Art der Beschneidung vor, die pharaonische Weise.

Sagal Sheid Ali vom Somalischen Frauen-Entwicklungszentrum (SWDC) findet dafür klare Worte. "Es ist die aggressivste Form der weiblichen Genitalverstümmelung und besteht in der Amputation der äußeren und inneren Schamlippen sowie der Klitoris. Die Vulva wird anschließend praktisch bis auf ein einziges Loch geschlossen", sagt die Sozialarbeiterin. "Das ist eine unmenschliche und brutale Praxis, die jedes Jahr für Hunderte Tote in Somalia verantwortlich ist."

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit 140 Millionen Frauen und Mädchen von der Genitalverstümmelung betroffen. Sie existiert in 28 afrikanischen Ländern, aber auch in Europa und dem Nahen Osten. Die Beschneidung gilt als gesellschaftlicher Initiationsritus. In Somalia haben ihn 95 Prozent der Frauen hinter sich - so viele wie in keinem anderen Land. "Das ist keine Frage der Religion. Es ist etwas Kulturelles, das von Generation zu Generation weitergegeben wird und sich zu etwas Üblichem entwickelte", sagt Ali.

"Unislamische Tradition

Internationale Aufmerksamkeit erhielt die Tradition der Beschneidung vor einigen Jahren durch das aus Somalia stammende ehemalige Model Waris Dirie, besonders durch deren Filmbiografie "Wüstenblume" (2009). Auch die Vereinten Nationen haben sich mit der Beschneidung befasst und den 6. Februar als Internationalen Tag der Nulltoleranz gegenüber der Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen ausgerufen.

Zwar existiert in dem von Bürgerkrieg und Hungersnot gebeutelten Somalia am Horn von Afrika im Osten des Kontinents seit 2012 eine Verfassung, die die weibliche Genitalverstümmelung als "grausame und demütigende Tradition" geißelt, die mit Folter gleichzusetzen sei. Und schon 2005 erließen islamische Geistliche im Land ein Rechtsgutachten, demzufolge die Mädchenbeschneidung "unislamisch" ist. Nur: All das findet in keinem aktuellen Gesetz Widerhall. Im Alltag wird die Beschneidung unvermindert fortgeführt.

Es ist das europaweit erste Krankenhaus, das von Genitalverstümmelung betroffenen Frauen psychologisch und chirurgisch hilft. Die WHO geht davon aus, dass derzeit täglich tausende Mädchen bei der sogenannten rituellen Beschneidung verstümmelt werden, jedes vierte sterbe an den direkten oder langfristigen Folgen des Eingriffs
Bild: ©dpa/Stephanie Pilick

Waris Dirie, somalische Bestsellerautorin und Aktivistin gegen Genitalverstümmelung, nimmt als Schirmherrin an der Eröffnung des "Desert-Flower-Centers" am Krankenhaus Waldfriede in Berlin teil.

Auch Habibo Mohammed Suso, Mutter von vier Töchtern, wurde als Kind beschnitten. Sie erinnert sich daran als einen der schlimmsten Tage ihres Lebens. "Sie steckten mir ein glühendes Messer zwischen die Beine. Dann schmierten sie eine Salbe darauf, die eine schreckliche Infektion verursachte", erzählt die 25-Jährige. Als sie mit 14 Jahren heiratete, habe ihr Mann sie mit einem Messer öffnen müssen. Schreckliche Schmerzen begleiteten auch die Geburt ihrer Kinder.

Suso wollte ihr erstes Mädchen, das sie bekam, nicht dasselbe erleiden lassen. Und doch: Der Druck der Familie und Nachbarn war stärker. Aber als die Hebamme vor ihren Augen das Kind verstümmelte, entschied die Mutter, dass kein weiteres ihrer Mädchen beschnitten würde. Seither ist sie überzeugte Kämpferin gegen die Praxis.

"Gegen den Islam und gegen die Frauen"

Still und respektvoll drängen sich die Bewohner des Lagers von Masla um eine Frau mit rosafarbenen Tuch auf dem Kopf. "Die Beschneidung ist gegen den Islam und gegen die Frauen. Wir sollten unsere Töchter nicht dieser unmoralischen und unreligiösen Praxis aussetzen", sagt sie. Einmal im Monat kommen Helferinnen des SWDC wie sie ins Lager, um mit den Bewohnern über die Beschneidung zu sprechen. "Es ist schwer, ihnen zu vermitteln, dass diese traditionelle Praxis negative Auswirkungen auf das Leben ihrer Töchter hat", erklärt Sagal Sheid Ali. "Aber wenn wir ihnen Beispiele geben, was passieren kann, begreifen sie." Der Weg dahin sei lang und schwer.

Maria Habib Haidar ist bereits überzeugt. "Wir Somalierinnen bürden unseren Töchtern sinnlose Traditionen auf, ohne daran zu denken, was wir erlitten haben", sagt die 58-jährige Großmutter. "Aber die Zeiten haben sich geändert." Sie ist die Frau eines religiösen Führers des Flüchtlingscamps und kämpft entschieden gegen die Beschneidung.

Haidar setzt ihre Autorität unter den Frauen ein, um das Bewusstsein zu verändern und zu verhindern, dass weitere Töchter unnötig leiden. Durch Frauen wie sie sinkt allmählich der Anteil beschnittener Mädchen in Mogadischu und Umgebung. In ländlichen Gebieten, die auch für Organisationen wie das Somalische Frauen-Entwicklungszentrum schwer erreichbar sind, gehört die Praxis aber weiter zum Alltag.

Von Antonio Pampliega (dpa)