Geschenktes Wissen

Mit dem Wissen und den Erfahrungen, die sich innerhalb eines langen Berufslebens angesammelt haben und auch nach der Pensionierung oder Verrentung noch da sind? Für dieses Knowhow gibt es oftmals keine weitere Verwendung und keine Interessenten mehr, die Wissens-Ressourcen werden zu losen Enden.
Um diese Enden wieder aufzunehmen und neuer ehrenamtlicher Verwendung zuzuführen, hat sich 1983 in Bonn der SES - "Senior Experten Service" gegründet. Die Idee der Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit ist bestechend: "Alte Hasen" und ihr Fachwissen werden in einem Datenpool mit den Anfragen Ratsuchender verknüpft, um in- und ausländische Beratungsprojekte auf den Weg zu bringen.
Gleich im ersten Jahr ließen sich bundesweit 800 Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Branchen in die Kartei aufnehmen und in 20 Fällen ergab sich eine Zusammenarbeit. Heute haben sich die Expertenzahlen und Anfragen deutlich vervielfacht: 11.600 Experten stehen inzwischen bereit, 3.800 Projekte konnten im vergangenen Jahr mit ihrer Hilfe durchgeführt werden - davon mehr als 1.500 im Ausland. Geschäftsführerin Susanne Nonnen bilanziert zufrieden: "Nie zuvor war das Register so gut aufgestellt."

Susanne Nonnen ist Geschäftsführerin der Senior Experten Service (SES) Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit GmbH.
Professoren, Handwerker, Landwirte
Nicht nur die Bandbreite an Branchen ist groß - mit Nahrungsmittelindustrie, Optik, Fahrzeugbau, Bankwesen, Informationstechnik oder Baugewerbe sind nur einige genannt – sondern auch die an ehrenamtlichen Fachleuten: Professorinnen, Handwerker, Verwaltungsexperten, Landwirte. Sie alle vereint, dass sie in ihrer Arbeit aufgegangen sind, anderen helfen wollen und sich noch längst nicht zum alten Eisen zählen.
Hans Jürgen Küchle aus dem fränkischen Maroldsweisach hat in seinem "früheren Leben" als Sprengmeister und Zollbeamter gearbeitet. Für den SES reiste der 74-Jährige in den Kongo, nach Ghana und Kamerun, am häufigsten allerdings war er in Kambodscha. 12 Mal schon entwarf und baute er dort in verschiedenen Hilfsprojekten der Salesianer Don Boscos Brunnen, Schulen und Wohnheime - im Zuge seines größten Projekts entstand ein dreistöckiges Gebäude von 60 Metern Länge.
Dass der kambodschanische Bauunternehmer, mit dem er ein Team bildet, kein Wort Englisch spricht und Küchle selbst nur ein paar Brocken kambodschanisch, sieht der Pensionär entspannt: "Ein Meter ist ein Meter, gerade ist gerade und krumm ist krumm. Wenn immer mal wieder ein Dolmetscher dazukommt und die Fronten klärt, dann kriegt man den Rest auch gut hin." Vier Wochen dauern die SES-Auslandseinsätze im Durchschnitt, ein Zeitraum, in dem unter der Überschrift "Hilfe zur Selbsthilfe" vieles angestoßen werden kann.
Küchle ist glücklich darüber, wie nachhaltig die Don Bosco-Schulprojekte die kambodschanischen Kinder und Jugendlichen fördern und es macht ihn stolz, seinen Teil dazu beizutragen: "Inzwischen nennen die mich an der Schule nicht mehr Herr Küchle oder Hans, sondern 'grandfather'. Das ist eine große Ehre in Kambodscha, wenn ein Fremder, je nach seinem Alter, als Bruder, Vater oder Großvater bezeichnet wird. Das ist dann eine besondere Form von Lohn."
Backen in Tansania
Küchles "SES-Kollege" Hans-Herbert Dörfner hat ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Der Bäcker- und Konditormeister mit einem Studienabschluss in Chemotechnik blickt auf Projekte in Makedonien, Bosnien-Herzegowina, Rumänien, Tansania, Äthiopien und China zurück. "In China zum Beispiel wird jemand, der 70 ist wie ich, viel mehr geschätzt. Bei uns ist es doch so, dass man sagt: 'Na, du alter Dackel! Sei einfach froh, dass du noch geradeaus laufen kannst'. Aber dort wissen sie deine Erfahrung zu schätzen und gucken genau zu: Was macht er? Wie macht er das?"
Der Chemotechniker, Bäcker- und Konditormeister Hans-Herbert Dörfner (rechts) streut sein Fachwissen in vielen Ländern der Erde, hilft aber auch gerne in heimischen Klosterbackstuben.
Dörfners Fachwissen, das er während seines Berufslebens durch regelmäßige Weiterbildung up to date gehalten hat, ist weltweit gefragt - egal ob es um Rezepte und Herstellungsformen, um Lebensmittelhygiene oder um Ideen zur Vorratshaltung geht. Im tansanischen Mtwara unterstützte er die Schwestern des Erlösers beim Aufbau eines Brotvertriebs. "Mein Part bestand darin, ihnen Rezepturen an die Hand zu geben, die zu den dortigen Rohstoffen passen und sich mit der vorhandenen Technik herstellen lassen. Die Chancen, dass die Bäckerei Erfolg hat, sind groß, weil es in der Gegend reichlich Hotels und Touristen als Abnehmer gibt."
Mit ungewohnt kurzer Anreise und ganz ohne Klimaveränderung konnte Dörfner, der im schwäbischen Weinstadt lebt, letztes Jahr auch den Vinzentinerinnen im Kloster Untermarchtal zur Seite springen. Er half ihnen dabei, die Arbeitsabläufe ihrer Backstube zu verbessern und entwickelte neue Rezepte für Sauerteigbrote, die nun im Bildungshaus auf den Tisch und im Klosterladen auf den Verkaufstresen kommen. "Sein Einsatz und Engagement wird in die Geschichtsbücher des Klosters eingehen", versichert Stefan Wiele, der Bereichsleiter Verpflegung des Klosters. Kann es eine bessere Entlohnung für einen Ehrenamtlichen geben?
Von Gerlind Schabert