Anfang und Abschied in Rottenburg
Wechsel in Kontinuität: Wenn am Sonntag im Rottenburger Dom der für die Seelsorgeplanung in Württemberg zuständige Domkapitular Matthäus Karrer zum Bischof geweiht wird, ist das zugleich der öffentliche Abschied von seinem Vorgänger Johannes Kreidler (70), der mehr als ein Vierteljahrhundert in der Leitung der viertgrößten deutschen Diözese wirkte und zum Ende der dienstälteste Weihbischof der Bundesrepublik war.
Den neuen Weihbischof prägt bis heute seine Herkunft aus dem Allgäu, wo die Eltern in Wangen eine klassische Pension und ein Wirtshaus betrieben: der Vater als der "musikalisch begabte Koch" und die Mutter als Betriebsleiterin. Karrer weiß, "was es heißt, Dienstleistungen zu erbringen". Ein Hotelbetrieb "zwingt zum Pragmatismus und zum Teamplay". Solche Haltungen will er einbringen, wenn es darum geht, wie seine Kirche heute aufgestellt sein soll.
Der Inahlt folgt der Botschaft, nicht umgekehrt
Karrer, der im Urlaub gerne Ski fährt und im Rottenburger Alltag joggt, sieht sich bei den "Experimentierfreudigen". Der Mann aus dem Dreiländereck Deutschland, Österreich und der Schweiz will entsprechend dem Motto von Papst Franziskus an die Ränder gehen und auch dort Dienst leisten, also "Seelsorge im wahrsten Sinne des Wortes" praktizieren. XXL-Gemeinden mag er so wenig wie sein Chef Gebhard Fürst, dessen erster unter ihm ernannter Weihbischof Karrer ist. Strukturen, sagt er, haben den Inhalten und der Botschaft zu folgen - und nicht umgekehrt, wie es oft in der deutschen Kirche sei. Es müsse "der Welt gut gehen, nicht der Kirche". "Draußen zu Hause", das sei "ein gutes Leitwort".
Trotz Bischofsweihe: Der 48-Jährige zeigt sich erleichtert, dass vieles bleibt, wie es ist: der Job als Abteilungsleiter, Mitarbeiter, Büro, Wohnung. Mit "Respekt und Neugier" sieht der heimatverbundene Allgäuer seiner Mitarbeit in der Bischofskonferenz entgegen. Kirchenpolitisch ordnet sich der New-Orleans-Jazz-Freund in die Reihe derjenigen jungen Bischöfe ein, die "in der Seelsorge zu Hause sind". Er will bei aller grundsätzlicher Loyalität zur Kirche "nicht immer für alles eine lehramtliche Antwort" geben, sieht vielmehr eine Spannung zwischen Lehre und menschenzugewandter Praxis. Auch bei kirchlichen Reizthemen wie Frauendiakonat oder Zölibat.
Kreidler sieht sich als "stillen Beobachter"
Und da trifft er sich inhaltlich mit Kreidler. Schon vor seiner Bischofsweihe hatte der Sekretär der württembergischen Bischöfe Carl Joseph Leiprecht und Georg Moser aus seiner Sympathie für die Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt und für das Frauendiakonat keinen Hehl gemacht. Er, der sich "von Haus aus nicht als einen Liberalen" sieht, zeigt sich erfreut, dass das Klima unter dem Papst aus Buenos Aires heute entspannt sei. Sich selbst beschreibt der frühere Assistent des vormaligen Theologieprofessors und späteren Bischofs und Kurienkardinals Walter Kasper als "stillen Beobachter, der nicht viel gesagt hat". Und trotzdem ist Kreidler im Bistum überaus beliebt, wegen seiner freundlich-zurückhaltenden Art bei aller Intellektualität für manchen ein "Bischof zum Knuddeln".
Was ihm künftig fehlen wird? Vor allem, sagt Kreidler, "der freundschaftliche Austausch mit manchen Bischöfen, das habe ich genossen". Und die Nähe zu den aktuellen Fragen, von denen die Kirche umgetrieben wird. An frühere Wortgefechte zwischen den Bischöfen Johannes Dyba und Franz Kamphaus bei den Vollversammlungen erinnert er sich zurück, die "in der Sache gut waren, auch wenn mich die Heftigkeit überraschte". Das sei ihm lieber gewesen als "das vorschnelle Konsensdenken", von dem manche Konferenz geprägt gewesen sei. Gemeinschaftsgeist sei wichtig, aber wo Freiraum eröffnet werde, da solle er genutzt werden, sagt Kreidler.
Kreidler zieht es in den Norden
Der 70 Jahre alte Spätrentner erhofft sich nun mehr Zeit für die Familie. Sechs Geschwister hat er, dazu 17 Neffen und Nichten. Deren Aufwachsen miterleben zu dürfen, empfindet er auch rückblickend als Geschenk, "weil ich etwas von der Lebenswirklichkeit junger Menschen mitbekommen konnte". Und Kreidler will Europas Norden erkunden, Skandinavien und das Baltikum, "denn nördlicher als Hamburg bin ich bisher nicht gekommen". Doch zunächst wird er mit anderen Bischöfen am Sonntag bei der Weihe seinem Nachfolger Karrer die Hände auflegen.