Die polnische Kirche will zu ihrer Vermittlerrolle zurück

Das lange Schweigen der Bischöfe endet

Veröffentlicht am 27.07.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Das lange Schweigen der Bischöfe endet
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Polen

Bonn ‐ Die von der national-konservativen Mehrheit im polnischen Parlament beschlossene Justizreform wühlte das Land auf. Lange hat die Kirche dazu geschwiegen. Nun findet sie zu ihrer alten Vermittlerrolle zurück.

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Es waren Tage und Bilder, die in die polnische Geschichte eingehen werden. Ergreifende und erschreckende zugleich. Einerseits Demonstranten, die vor den Gerichtsgebäuden in ihren Städten Kerzen anzünden, als hielten sie den Rechtsstaat bereits für tot, und die auf den Sitz des Obersten Gerichtshofs die Inschrift projizieren: "Das ist unser Gericht". Abgeordnete der Opposition, die bei der Sitzung des parlamentarischen Rechtsausschusses aufstehen und die Nationalhymne "Noch ist Polen nicht verloren" singen und im Plenum laut "Unabhängige Gerichte!" skandieren. Staatspräsident Andrzej Duda, der sich zum ersten Mal seit dem Amtseintritt gegen seine eigene Partei stellt und den großen Teil der umstrittenen Justizreform mit seinem Veto stoppt.

Andererseits werden aus diesen Tagen auch hässliche Bilder in Erinnerung bleiben, allem voran der national-konservative Chef der alleinregierenden Partei, Jarosław Kaczynski, der im Sejm unter Umgehung aller Regeln einfach ans Rednerpult stürmt und die Opposition als "Mörder meines Bruders", "verräterische Fressen" und "Kanaillen" beschimpft. Tumulte und Handgreiflichkeiten, die es so im polnischen Parlament in der jüngeren Geschichte nicht gab. Barrieren und Absperrungen, die den Sejm zu einer Festung machen. Die Polizei in Alarmbereitschaft. Hass und Verachtung. Ein Land im Ausnahmezustand.

Erst nach dem Veto meldeten sich die Bischöfe zu Wort

Auffallend in diesen Tagen war das Schweigen der mächtigen katholischen Kirche. 92 Prozent der rund 38 Millionen Einwohner Polens bekennen sich zum katholischen Glauben, jeder zweite nimmt regelmäßig am Sonntagsgottesdienst teil.

Ein Porträt von Papst Johannes Paul II., von Efeu umrankt.
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Ein Porträt von Papst Johannes Paul II., von Efeu umrankt in Krakau. Das Wort des heiligen Papstes gilt in Polen viel.

"Zehntausende Polinnen und Polen rufen danach, ein elementares Recht zu respektieren. Im polnischen Parlament wird dieses Recht mit Füssen getreten auf eine Art, die der elementaren politischen Kultur widerspricht. Wo ist die Stimme der katholischen Kirche?", schrieb dieser Tage der Theologe und Kirchenkritiker Stanisław Obirek. Tatsächlich meldeten sich die Bischöfe erst nach dem Veto von Präsident Duda zu Wort. In einem Brief an das Staatsoberhaupt bedankte sich der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanisław Gadecki, für die Entscheidung und zitierte aus einer Rede von Johannes Paul II. an die italienischen Richter. "Das Gleichgewicht der drei Gewalten, so dass keine andere dominiert", so der verstorbene Papst, sei "Garant des richtigen Funktionierens der Demokratie".

Bischöfe zunehmend besorgt

Der Chefredakteur der konservativen Wochenzeitschrift "Do Rzeczy", Paweł Lisicki, vermutet, dass die Bischöfe über zunehmende gesellschaftlichen Spannungen besorgt sind. "Die Kirche wollte hier als jemand auftreten, der die Gemüter beruhigt. Diese Rolle spielte die Kirche zur Zeit des Kommunismus und jetzt kehrt sie als Mediator auf die Bühne zurück", meint Lisicki.

Es stellt sich allerdings die Frage, wie glaubwürdig die Kirche als Vermittler sein kann, machen doch viele Bischöfe keinen Hehl aus ihrer Nähe zur regierenden national-konservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Radio Maryja und TV Trwam, die Medien des geschäftstüchtigen Redemptoristenpaters Tadeusz Rydzyk, gelten als eine der Stützen der jetzigen Regierung.

Polens Ministerpräsidentin Beata Szydło (PiS)
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Gottesdienste, bei denen die Ministerpräsidentin Beata Szydło (PiS) samt Ministern vor laufenden Kameras kniend Kommunion empfangen, sind keine Seltenheit.

Auch die gesamte Staatsspitze stellt gerne ihre Religiosität zur Schau. Gottesdienste, bei denen die Ministerpräsidentin samt Ministern vor laufenden Kameras kniend Kommunion empfangen, sind keine Seltenheit. Aus westlichem Blickwinkel heraus etwas exotisch wirken die regelmäßigen Kommentare des Verteidigungsministers Antoni Macierewicz für den Sender TV Trwam, die mit dem Gruß "Gelobt sei Jesus Christus und die Jungfrau Maria" beginnen.

Trotzdem, meint Michał Szułdrzyński, stellvertretender Chefredakteur der liberal-konservativen Tageszeitung "Rzeczpospolita", wird die Nähe zwischen der katholischen Kirche und der PiS oftmals überschätzt. Als Beweis führt er die Aufnahme der Flüchtlinge an: Obwohl die Bischöfe sich offiziell für sogenannte "humanitäre Korridore" ausgesprochen haben, war die Reaktion der Staatsmacht eindeutig abweisend. "Jetzt haben die Bischöfe verstanden, dass ihr Schweigen als eine bedingungslose Unterstützung dessen, was die PiS macht, aufgenommen wird. Und die Kirche hat kein Interesse daran, als Befürworter der Demontage des Obersten Gerichts und des Landesrichterrats dazustehen", so Szułdrzyński.

"Klugheit im Sinne des Evangeliums"

Es ist kein Geheimnis, dass die Unterstützung der katholischen Kirche 2015 sowohl zum Wahlsieg Andrzej Dudas als auch der PiS entschieden beigetragen haben. Es zahlte sich wortwörtlich aus: Der Staat erhöhte die Zuschüsse für die Kirche, wertete den Religionsunterricht an den Schulen auf und erschwerte wesentlich den Zugang zur "Pille danach". Ein Versuch, das Abtreibungsrecht radikal zu verschärfen, scheiterte allerdings nach massiven Demonstrationen. Schon damals schienen die Bischöfe den gesellschaftlichen Frieden über den "moralischen Imperativ" gestellt zu haben. "Ein Teil der Bischöfe", erinnert sich Michal Szułdrzyński, hat die Befürworter des Abtreibungsverbots zur "Klugheit im Sinne des Evangeliums" angemahnt. "Viele Hierarchen waren überzeugt, dass man das Gesetz vielleicht für zwei Jahre ändern kann. Wenn aber eine andere politische Kraft die nächste Wahl gewinnt, wird das Gesetz radikal liberalisiert und das ganze wird verschlimmbessert. In dem Sinne war der Eifer der Abtreibungsgegner unklug".

Der Erzbischof von Posen, Stanislaw Gadecki, ist derzeit Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz.
Bild: ©KNA

Der Erzbischof von Posen, Stanislaw Gadecki, ist derzeit Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz.

Analog, meint der Journalist, denken die Bischöfe auch heute. Würde man die Kirche mit der Unterstützung der Justizreform in Verbindung bringen, würden sich die Proteste längerfristig nicht nur gegen die PiS, sondern auch gegen die Kirche und die christlichen Werte wenden, so Szułdrzyński, der auf das Beispiel Spaniens hinweist.

Dass dies ein durchaus realistisches Szenario sein kann, glaubt auch Stanisław Obirek: "Die Geschichte mag sich oft wiederholen, aber jede Wiederholung wird brutaler. Man muss daran denken, dass auch Polen seine antiklerikalen Traditionen hat, und die wachen gerade wieder auf."

Von Bartosz Dudek