Er will zurück nach Westerland
Urlauber schlendern in Badehose durch die Fußgängerzone, Eiscafes laden bei strahlendem Sonnenschein zum Entspannen ein und von der Nordsee weht eine kühle Brise herüber - in Westerland auf Sylt herrscht auch in diesem Sommer Urlaubsstimmung. Mittendrin ist der katholische Priester Josef Öhrlein. Der 76-Jährige genießt sichtlich das bunte Treiben. Deutschlands nördlichste Urlaubsinsel kennt er in- und auswendig, viele Passanten grüßen ihn freundlich.
Eigentlich ist Öhrlein längst im Ruhestand, doch auf Sylt ist der 76-Jährige für alle noch der "Herr Pfarrer". Lediglich sein "Grüß Gott" und der fränkische Akzent lassen darauf schließen, dass er nicht so ganz hierher gehört: Öhrlein ist in Würzburg zu Hause, verbringt aber zwei Mal im Jahr seinen Urlaub auf der Nordseeinsel und hilft als Gastpriester in der katholischen Gemeinde mit - seit über 30 Jahren. Das Programm, das er absolviert, ist sportlich: täglich eine Messe an Werktagen, drei Gottesdienste am Wochenende mit Predigt, dazu Beichte und Krankenbesuche. "Faulenzen kann ich in Würzburg", sagt der Ruheständler. Die Seelsorge in der Inselgemeinde, wo die Kirche nur einen Steinwurf vom Strand entfernt ist, mache ihm großen Spaß. "Sonntags im Hochamt ist die Kirche brechend voll, und zur Beichte habe ich hier mehr Leute als sonst das ganze Jahr über."
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Je größer Gemeinden werden, umso mehr leiden Priester unter Stress. Und umso wichtiger wird der Erholungsurlaub. Aber können Priester einfach so in Urlaub fahren? Die Antwort ist gar nicht so einfach. (Artikel von Juli 2017)Das Publikum, das zur Kirche kommt, ist - wie alles auf der Insel - speziell. Die einheimische Gemeinde ist mit rund 2.000 Katholiken relativ klein; es sind überwiegend Urlauber, die die Gottesdienste besuchen, aber auch Promis wie Johannes B. Kerner und Günther Jauch saßen schon bei Öhrlein in der Kirchenbank. Eins ist allen gemeinsam: "Die Menschen sind sehr aufgeschlossen und machen mit."
Als Öhrlein die Sankt-Christophorus-Kirche in Westerland betritt, schüttet ihm gleich eine Frau ihr Herz aus: Weinend erzählt sie, dass ihr Mann im Krankenhaus liegt und bittet den Pfarrer um einen Besuch in der Klinik. Er macht einen Termin für den nächsten Vormittag ab. "Dafür bin ich da", sagt er. Gerade im Urlaub hätten die Leute viel Gesprächsbedarf, ob über Familienkonflikte oder persönliche Glaubenskrisen. Gelegentlich gebe es auch Anfragen nach Taufen oder Trauungen. "Gleich morgen habe ich wieder eine Hochzeit, bei der das Brautpaar mit dem Schiff aus Hamburg kommt", erzählt Öhrlein.
Einen eigenen Pfarrer gibt es hier nicht mehr
Der gebürtige Unterfranke arbeitete nach seiner Kaplanszeit 34 Jahre lang als Studiendirektor an einer katholischen Schule in Würzburg. Reisen war schon immer sein Hobby: Er arbeitete als Gastpriester auch in der Schweiz und in Ägypten, bis heute leitet er Pilgerfahrten nach Israel. Nach Sylt kam er erstmals 1981, die Nordseeluft sollte Abhilfe bei seinen Bronchialproblemen schaffen. "Damals hatte Sylt noch vier katholische Kirchen", erinnert er sich. Heute sind es noch zwei in Westerland und List - und einen eigenen Pfarrer gibt es auch nicht mehr. Öhrlein, der seit 2004 offiziell im Ruhestand ist, ist einer von zahlreichen Gastpriestern, die die katholische Inselgemeinde zusammen mit vielen engagierten Laien am Laufen halten.
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Er gehört zu den schönsten Sehenswürdigkeiten von Sylt: der "Friedhof für Heimatlose" für angeschwemmte Wasserleichen. Die Verstorbenen liegen aber nicht in geweihter Erde - aus einem ganz bestimmten Grund. (Artikel von März 2017)Im Laufe der Jahre hat sich laut Öhrlein auch das Publikum gewandelt: "Die Leute sind anspruchsvoller und sensibler geworden." Viele kämen mit einer gewissen Erwartungshaltung zum Gottesdienst, der er gerne gerecht werden will. Für seine Predigten sucht er am liebsten lebensnahe Ratschläge aus den Evangelien heraus. "Schließlich will ich ja den Menschen Mut machen und das Leben erleichtern." Es brauche eine gewisse Offenheit. "Ein konservativer Seelsorge-Stil, bei dem man einfach sein Programm abspult, passt nicht nach Sylt."
Der eigenen Erholung tut die Gemeindearbeit laut Öhrlein keinen Abbruch. "Für mich ist allein schon das Klima Urlaub." Jeden Tag gönnt er sich ein bis zwei Stunden, in denen er am Strand spazieren geht, manchmal genießt er den Sonnenuntergang am Meer. Fühlt er sich Gott näher auf der Insel? "Auf jeden Fall fühle ich mich nicht weiter weg von ihm. Und manche Schöpfungs- und Naturpsalmen beten sich hier in der Tat ganz anders."