Kloster Neuzelle: Gekommen, um zu bleiben
Kurz vor fünf Uhr ist es noch dunkel. Vier Männer gehen im Dunkeln über den Stiftsplatz zur barocken Kirche St. Mariä Himmelfahrt. In der Kirche geht es über knarrende Treppenstufen hinauf zur Chorempore. Fast 200 Jahre ist es her, dass Mönche hier regelmäßig die Stundengebete verrichtet haben. Die vier Männer nehmen im knarzenden Chorgestühl Platz und beginnen singend Gott zu lobpreisen. Punkt fünf beginnt die Vigil, das Nachtwachengebet. Währenddessen dämmert der Morgen herauf. Im Osten, hinter der Oder, die in Sichtweite vorbeifließt, geht die Sonne auf und scheint durch ein buntes Glasfenster. Eine Taube symbolisiert den Heiligen Geist.
Die Dämmerung enthüllt nach und nach die zuvor ins Dunkel gehüllte barocke Pracht der Stiftskirche von Neuzelle. Pater Simeon, Pater Philemon, Pater Kilian und Frater Aloysius sind die Männer, die als Vorhut gekommen sind, um hier wieder an die Tradition mönchischen Lebens anzuknüpfen. "Es ist schon bewegend, zu wissen, dass hier Mönche vor uns im Chorgestühl gebetet haben", sagt Pater Kilian und Pater Simeon fügt hinzu: "Wir fangen hier nicht bei Null an. Wir knüpfen an eine lange Tradition an."
550 Jahre mit Höhen und Tiefen
Die Tradition, von der der Zisterziensermönch spricht, beginnt in Neuzelle im Jahr 1268. Am 12. Oktober 1268 stiftete Markgraf Heinrich der Erlauchte aus dem Haus Wettin im Gedenken an seine zwei Tage zuvor verstorbene Ehefrau Agnes das Kloster Neuzelle. Damit wollte der Wettiner die von den Piasten erworbene Grundherrschaft zwischen Oder und Schlaube im Siedlungsgebiet der Sorben dem Christentum erschließen und wirtschaftlich entwickeln. 550 Jahre lang erlebten die Zisterzienser Höhen und Tiefen. Die Hussitenkriege, die Reformation, den Dreißigjährigen Krieg und die wirtschaftliche und geistliche Blüte im 17. und frühen 18. Jahrhundert.
Die Napoleonischen Kriege und die Angliederung an Preußen brachten zu Anfang des 19. Jahrhunderts Unruhe in den Konvent, so dass einige Mönche austraten und in die polnischen Klöster Paradies und Obra gingen. Als am 27. Februar 1817 die Aufhebung des Klosters vor Ort proklamiert wurde, durfte der Abt mit den älteren Mönchen in Neuzelle bleiben. Die jüngsten Mönche wurden nach Münster zum Theologiestudium geschickt, während sich alle anderen in der weiteren Umgebung nach Pfarrstellen umsehen mussten. So zerstreute sich der Konvent bis ins Rheinland und nach Bayern. In Neuzelle blieb nur der Prior als Pfarrer mit zwei Mönchen als Kaplänen zurück.
Einer der Mönche, der Neuzelle 1817 verließ, war Pater Vincenz Augsten. In Berlin wirkte er lange als Pfarrer am Invalidenhaus. Als Ruheständler kam er wieder zurück und starb hier als letzter Mönch von Neuzelle 1880. "Kirchenrechtlich bestand der Konvent noch 100 Jahre weiter, bis 1980", erklärt Pater Kilian. Eine überschaubare Zeitspanne sei das, die das Anknüpfen erleichtere. Und auch Pater Vincenz ist den neuen Bewohnern des Klosters nah. Sein Grab befindet sich gleich neben dem Pfarrhaus, in dem die Zisterzienser vorübergehend wohnen.
"Hier ist noch nicht alles fertig", sagt Pater Kilian entschuldigend. Einige Zimmer werden noch renoviert. Die Umzugskartons sind noch längst nicht alle ausgepackt. "Wenn man was sucht, findet man es natürlich immer erst in der letzten Kiste", sagt Pater Kilian, der Ökonom des noch zu gründenden Priorats. Vieles ist noch unklar. Wo sie auf Dauer wohnen werden. Wovon sie leben werden. Klar ist eines: "Wir sind gekommen, um zu bleiben", sagt Pater Simeon, der bis vor kurzem Prior des Zisterzienserkloster Heiligenkreuz war. Auch seine Mitbrüder stammen aus dem Kloster im Wienerwald das eine große Strahlkraft weit über Österreich hinaus entwickelt hat. Gerade erst meldet das Kloster einen neuen Höchststand. 102 Mönche gehören dem Kloster an. Kein anderes Kloster in Europa kann derart viele Berufungen verzeichnen. Die Gründung eines Priorates, einer Zweigstelle des Klosters, liegt da auf der Hand.
"Viele haben sich darum beworben", sagte Pater Maximilian Heim, der Abt von Heiligenkreuz bereits vor einem Jahr, als die geplante Wiederbesiedlung von Neuzelle öffentlich wurde. Viele Orte in ganz Europa hätten gerne ein Zisterzienserkloster gehabt. Neuzelle ist es geworden. Hier erklingt seit Montagfrüh zuerst die Vigil und dann um sechs Uhr die Laudes, das Morgengebet der Kirche. Alles auf Lateinisch. Die Sonne ist dann bereits aufgegangen und bunte Lichtstrahlen verwandeln die barocke Marienkirche in ein faszinierend buntes Farbenmeer.
"Die Gebetszeiten bestimmen unseren Tag. Dafür sind wir hier: Gott zu loben", sagt Pater Simeon, der erst über Umwege Mönch geworden ist. "Weil ich zu feige war", sagt er. Er habe den Ruf Gottes schon als Jugendlicher gehört, habe aber nicht hören wollen. Kirchenmusiker ist er geworden, in seinem Heimatort im Rheinland. Mit 35 Jahren fiel die Entscheidung ins Kloster nach Heiligenkreuz zu gehen. Beim Abschied flossen Tränen. Dem voraus ging "eine persönliche Begegnung mit Gott", sagt Pater Simeon. Das ist etwas, dass er auch anderen zeigen will: "Dass Religion kein psychologisches Phänomen ist, sondern dass man Gott begegnen kann."
Auch beim Abschied aus dem Kloster Heiligenkreuz am Sonntagmorgen floss die eine oder andere Träne. "Wir sind Mönche von Heiligenkreuz", sagt Pater Kilian. Die Zeit im Konvent hat ihn und die anderen Mönche geprägt. Das Kloster ist Heimat. Heimat, die sie verlassen haben um in Neuzelle neu zu beginnen. "Es ist toll, wie wir hier aufgenommen werden", sagt Pater Kilian. Mit Brot und Salz sind sie am Sonntag vom Bürgermeister empfangen worden.
Ein Jahrhundertereignis
Wolfgang Ipolt, der Bischof des Bistums Görlitz, zu dem Neuzelle gehört, war ebenso gekommen, wie rund 150 andere, um die Patres willkommen zu heißen. Für das beschauliche Neuzelle ist die Rückkehr der Mönche ein Jahrhundertereignis. Das RBB-Fernsehen plant eine Dokumentation. Die Klosterbrauerei verkauft eine Sonderedition ihres Bieres "Schwarzer Abt" zum Anlass und zur Bistumswallfahrt am kommenden Sonntag werden wohl noch mehr Menschen als sonst kommen.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde das säkularisierte Kloster Sitz eines Priesterseminars und entwickelte sich zum wichtigsten Wallfahrtsort der Katholiken im Bereich des heutigen Bistums Görlitz. Rund 2.500 Menschen pilgerten in den vergangenen Jahren zur Bistumswallfahrt zu "Unserer Lieben Frau von Neuzelle". "Wir stellen uns unter ihren Mantel, unter ihren Schutz", sagt Pater Simeon. Dieses Jahr werden es wahrscheinlich ein paar Hundert mehr sein, die zur "Lieben Frau von Neuzelle" pilgern, auch um die Mönche zu sehen. Die Plätze in der Stiftskirche werden nicht ausreichen.