"Pop-Kaplan" Christian Olding übt in seinem Buch Kritik an der Kirche

Glauben ohne Geschwätz

Veröffentlicht am 16.09.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Kirche

Die Kirche ist zu sehr auf sich selbst bezogen, schreibt "Pop-Kaplan" Christian Olding in seinem Buch "Klartext, bitte! Glauben ohne Geschwätz". Doch er zeigt auch, wie sie es besser machen könnte.

  • Teilen:

"Es ist keine einzigartige. Es ist eine von so vielen, die davon erzählt, wie jemand seinen Weg mit Gott gesucht hat. Es ist eine weitere Thomas-Episode", schreibt Christian Olding zu Beginn seines Buches "Klartext, bitte! Glauben ohne Geschwätz", das Mitte September im Herder-Verlag erschienen ist. Als "Pop-Kaplan" hat er sich einen Namen gemacht. Seine Gottesdienste sind Events und werden auch so inszeniert. Mit Nebelmaschine statt Weihrauch und einer Lasershow am Altar. Seine Gottesdienste erlebt man mit allen Sinnen. Besonderen Wert legt Olding aber darauf, Inhalte zu transportieren. Und dafür bedient er sich seit 2016 auch überregionaler Kanäle. Auf katholisch.de kommentiert er im Videoformat "Klartext" gesellschaftsrelevante Themen. In "Glaube.Leben." wird er ab Dienstag leisere Töne anschlagen und Tipps für ein Leben mit dem Glauben geben.

Oldings Geschichte handelt von Glaube und Zweifel

In seinem Buch schildert Christian Olding auf 192 Seiten seinen persönlichen Weg zu Gott. Beim Lesen hat man das Gefühl, der 34-Jährige säße mit einem am Kaffeetisch und würde aus seinem Leben erzählen. Seine Geschichte handelt von Glaube und Zweifel, es geht um Brüche und Herausforderungen auf dem eigenen Lebensweg. Olding erzählt von Wunden, die zu Narben wurden und von dem Gefühl des Heilwerdens. 

Die größte Wunde im Leben des 13-Jährigen Christian Olding hat ihm wohl sein Vater zugefügt, als er sich selbst das Leben nahm. Unfähig mit diesem Schmerz umzugehen, findet sich der Junge in seiner Heimatkirche wieder. Er zündete eine Kerze an, ohne dabei etwas zu empfinden. Er spricht erst ein Gebet, dann noch eins. Die Erleichterung bleibt aus. Trauer funktioniert eben bei jedem anders. Anschließend setzt er sich in eine Kirchenbank und blickt auf das Kreuz. "Geteiltes Leid macht bei Weitem kein halbes Leid. Dennoch war da eine stille Übereinkunft zweier, die beide von ihrem Vater im Stich gelassen worden waren. (…) Schweigende Sit-ins, tränenreiche Aufenthalte und wütende Tiraden. All das hielt dieser Jesus am Kreuz aus." So wurde die Bank unterm Kreuz zum Zufluchtsort und das Gefühl, dass Gott zuhört, zur Heimat.

Player wird geladen ...
Video: © katholisch.de

Sonntags gibt es frische Brötchen und immer häufiger haben die Geschäfte offen. Das geht gar nicht, findet Christian Olding. Seine Meinung begründet er nicht nur mit christlichen Motiven.

Sein Buch ist aber kein reines Glaubenszeugnis. Der 34-Jährige beschreibt auch seine Vision von Kirche. Er prangert die Trägheit der kirchlichen Strukturen und den "Narzissmus der Kirche" an. Er beklagt, dass sich die Verantwortlichen zu sehr mit innerkirchlichen Themen, moralischen Fragen, karitativem Engagement und Finanzprozessen beschäftigen. Und obwohl ihm die Wichtigkeit dieser Themen einleuchtet, steht für ihn die Beziehung von Gott und Gläubigen im Fokus. Er fordert: Gott muss mehr in die Mitte der Menschen und auch der Kirche rücken.

"Es ist das Bes­te, was wir zu bieten haben: nämlich unser Glaube."

Seine Kritik macht weder vor Haupt- noch Ehrenamtlichen halt, wenn er sagt, dass die Kirche nur für diejenigen da ist, die ohnehin da wären. Aber an den Menschen vorbei handelt, die sie eigentlich erreichen wollen und die Kirche nötig haben.

"Seit Jahren und Jahr­zehnten tun wir so, als wären alle Plätze in der Kirche be­setzt. Wir investieren unsere volle Kraft für die Wenigen, die noch am Tisch sitzen (…). Allerdings scheinen wir vergessen zu haben, dass es wohl schöner für alle Beteiligten wäre, wenn wieder mehr Leute am Tisch säßen." Die Kirche wisse seit mehr als 25 Jahren, dass sie die Menschen nicht mehr gewinne, nicht mehr überzeugend in Beziehung zu Gott bringen könne. Trotzdem mache sie weiter wie bisher. "Wir tauschen höchstens den bronzenen Leuchter und das Goldbrokat ge­gen etwas Zeitgemäßes aus, aber sonst bleibt alles, wie es ist. Dabei ist das Kredenzte wirklich vom Feinsten. Es ist das Bes­te, was wir zu bieten haben: nämlich unser Glaube."

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Und dieser Glaube ist ihm heilig. Sein größtes Anliegen ist es, wieder mehr Menschen in Beziehung zu Gott zu bringen. Dafür bedient er sich innovativer Methoden. Mit seinen "V_the experience"-Gottesdiensten hat er eine eigene Marke kreiert. Messfeiern, die Jung und Alt anziehen und sich modernster Veranstaltungstechnik bedienen. Es steckt viel Arbeit in diesen Inszenierungen, aber "wenn die Kirche immer etwas drauf hatte, dann war es eines: Inszenierungen. Katholische Liturgie setzt eben nicht allein auf das Wort und den Verstand des Menschen, sondern weiß, dass ein paar mehr Sinne befriedigt werden wollen." Und statt "Heerscharen an Messdienern zu Pontifikalämtern mit Leuchtern bewaffnet" durch den Mittelgang zu schicken, weil es so gut aussieht, verwendet Olding Komponenten wie Filmsequenzen, Tontechnik und Lasershows, um den biblischen Inhalten Ausdruck zu verleihen. Eines aber ist ihm wichtig: die Eucharistiefeier darf bei all dem nie fehlen, mit Wortgottesdiensten begnügt er sich nicht.

Das Buch ist auch eine Abrechnung

Mit einem ironischem Blick lässt Olding den Leser an seiner Schulzeit, seiner Zeit im Priesterseminar bis hin zu seinen ersten Handlungen als Priester teilhaben. Der Leser erfährt von Oldings täglichen Kampf mit Leistungsdruck und dem Streben nach Perfektionismus. Sein Antrieb ist die tief wurzelnde Überzeugung, dass nur der geliebt wird, der Leistung bringt. Ein Erbe des verstorbenen Vaters. Oldings Weg ist beispielhaft für den vieler anderer Menschen. Mit scheinbar unerschütterlichem Gottvertrauen hat er sich auf seine persönliche "Wüstenwanderung" begeben, löste sich von falschen Selbstbildern und kann heute damit vielen Menschen Vorbild sein.

In gewisser Weise ist Oldings Buch eine Abrechnung. Nicht mit Menschen, aber mit falschen Bildern, seien es Selbst- oder Fremdbilder. Er zieht öffentlich Bilanz über seinen Weg und seine Entscheidungen, nicht ohne sich dafür zu rechtfertigen, wie und warum er heute derjenige ist, der er ist. Ob er dabei sein größter Kritiker ist oder doch ein anderer, bleibt offen. Was ihm auf jeden Fall gelingt, ist aufzuzeigen, dass man an der eigenen Biografie wachsen und aus ihr Kraft schöpfen kann, auch wenn der Spagat zwischen "Pippi Langstrumpfs 'Welt, wie sie mir gefällt'" und Hiobs frommen Zweifeln manchmal ein großer ist.

Von Melina Schütz