Der unsichtbare Hunger
Für den neunten Welthunger-Index wurden Daten zur Unterernährung der Bevölkerung, Untergewicht bei Kindern und Kindersterblichkeit aus rund 120 Ländern bewertet. Besonders in den Fokus rückten in diesem Jahr Kriege, Flucht und die Ebola-Epidemie in Westafrika. Zwar seien in den vergangenen 25 Jahren große Fortschritte erzielt worden, doch "Konflikte wie in Syrien, dem Irak oder dem Südsudan gefährden auch die Ernährungssituation in den jeweiligen Ländern", sagt die Präsidentin der Welthungerhilfe , Bärbel Dieckmann. In den Ebola-Krisenstaaten besuchten viele Menschen aus Angst vor einer Ansteckung keine Märkte mehr, zudem sei der Lebensmittelanbau dort gefährdet.
Laut Bericht ist der Hunger-Index in den Entwicklungsländern seit 1990 insgesamt um 39 Prozent zurückgegangen. Weltweit sank die Zahl der Hungernden danach in diesem Zeitraum um 209 Millionen Menschen. 26 Länder konnten ihren Index-Wert mehr als halbieren, darunter Angola, Benin, Brasilien, Ghana, Kambodscha und Vietnam. Doch die Zahl sinke nicht so schnell wie erhofft, weshalb die Welthungerhilfe die globale Situation nach wie vor als ernst einstuft. Besonders kritisch ist die Lage demnach in vielen afrikanischen Ländern südlich der Sahara, allen voran in Burundi und Eritrea. Europaweit wird die Lage nur in Moldawien als ernst, in Albanien als mäßig eingestuft.
Mangelernährung bei Arbeitern auf Plantagen
Auch Hilfsorganisationen nehmen den Welternährungstag zum Anlass, um auf Probleme in der Nahrungsverteilung aufmerksam zu machen. Das katholische Hilfswerk Misereor nimmt dieses Jahr besonders die Rechte von Arbeitern auf Teeplantagen in den Blick. Diese stünden stellvertretend für die Menschen, die auf großen Plantagen in den Ländern des Südens Nahrungsmittel anbauten und ernteten, heißt es in einer Studie des Hilfswerkes, die diese Woche in Berlin vorgestellt wurde. Aufgrund schlechter Bezahlung und miserabler Arbeitsbedingungen litten schätzungsweise weltweit 200 Millionen Landarbeiter an Hunger. Von der Entwicklungspolitik werde diese Gruppe aber bislang "komplett ignoriert". Die Untersuchung mit dem Titel "Harvesting Hunger - Plantation Workers and the Right to Food" ("Hunger ernten - Plantagenarbeiter und das Recht auf Nahrung") wurde auch von dem Hilfswerk FIAN sowie dem internationalen Dachverband der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten IUF mitverfasst.
Am Beispiel des Teesektors will die Studie aufzeigen, wie viel zu geringe Löhne zu deutlichen Verletzungen des Rechts auf Nahrung führen. Viele Arbeiter könnten demnach weder sich selbst noch ihre Familien versorgen. So liege in fast allen Kernregionen der Teeproduktion in Sri Lanka, Kenia und Indien die Mangelernährung von Kindern bei über 30 Prozent. Der Agrarexperte des katholischen Hilfswerkes Misereor, Benjamin Luig, bezeichnet das als "unsichtbaren Hunger". Rund zwei Milliarden Menschen leiden nach Angaben der Welthungerhilfe daran. Bei bisherigen Untersuchungen habe man sich zu sehr auf den Kalorienmangel konzentriert und weniger die oft sehr einseitige Ernährung der Arbeiter beachtet, erläutert der Ernährungsexperte. Dabei sei diese besonders gefährlich: Mangel- und Unterernährung könne zu geistiger Beeinträchtigung, schlechter Gesundheit, geringerer Produktivität und einem frühzeitigen Tod führen.
Gemeinsam mit den Vertretern von FIAN und den Gewerkschaftern fordert Luig die Politik daher zum Handeln auf. Ähnlich wie beim Runden Tisch mit dem Textilsektor solle Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die Ernährungsindustrie dazu bringen, besser auf die Einhaltung von Menschen-rechten und fairen Löhnen auf den Plantagen zu achten.
Erzbischof Schick: Deutschland soll Entwicklungshilfe-Weltmeister werden
Das sieht auch Erzbischof Ludwig Schick so: Seiner Ansicht nach sollten die Deutschen nach dem Weltmeistertitel im Fußball und beim Export auch bei der Entwicklungshilfe spitze werden. Das Bundesverteidigungsministerium habe 2014 knapp 33 Milliarden Euro zur Verfügung, das Entwicklungsministerium aber nur 6,4 Milliarden Euro, bemängelt Schick, der innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz Vorsitzender der Kommission Weltkirche ist.
Schick verweist auf die sogenannten Milleniumsziele der Vereinten Nationen. Nach ihnen sollte bis 2015 die Zahl der Menschen, die an Hunger und Armut leiden, weltweit halbiert werden. Nun stehe dieses Jahr vor der Tür, aber täglich verhungerten immer noch rund 25.000 Menschen. Die Welt biete genug Nahrung, dass niemand hungern müsse, ist der Erzbischof überzeugt. Hunger und Armut seien nicht Probleme mangelnder Produktion, sondern Folge von Misswirtschaft und Missständen bei der Verteilung. Die Beseitigung des Hungers dürfe nicht nur den Staaten überlassen werden. Jeder Mensch sei verpflichtet, das ihm Mögliche zu tun durch Spenden, Genügsamkeit und politischen Einsatz. (mit Material von KNA)
Von Sophia Michalzik