Streik in der Kirche!?
Kirchlicher Dienst und Streik – das geht in Deutschland eigentlich nicht zusammen. 2012 hatte zwar das Bundesarbeitsgericht das generelle Streikverbot im kirchlichen Arbeitsrecht gekippt in Fällen, bei denen der Sonderweg der Kirchen keinen einvernehmlichen Interessenausgleichs erzeugen konnte. Der Arbeitskampf in einer katholischen Klinik im Saarland, fünf Jahre nach dem Urteil, ist für katholische Einrichtungen eine Premiere – und aus Sicht der kirchlichen Dienstherren ein Bruch mit dem System.
Konfrontative Konfliktlösungen wie Streiks und Aussperrungen schließt die Kirche für ihre eigenen Einrichtungen nämlich eigentlich aus. In der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" heißt es knapp und deutlich: "Streik und Aussperrung widersprechen den Grunderfordernissen des kirchlichen Dienstes." Wegen eines Arbeitskampfes Glaubensverkündigung und den Dienst am Nächsten zu unterbrechen, passt nach dieser Ansicht nicht zur Kirche.
Dienstgemeinschaft statt Arbeitskampf
Grundlage des kirchlichen Dienstes ist nämlich die Idee einer Dienstgemeinschaft: Nicht der Gegensatz von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern der gemeinsame Sendungsauftrag der Kirche, den alle – Dienstgeber wie Dienstnehmer, wie es im kirchlichen Arbeitsrecht genannt wird – gemeinsam in einer "Dienstgemeinschaft" erfüllen.
Auch wenn der Begriff erstmals im nationalsozialistischen "Gesetz zur Ordnung der Arbeit in Öffentlichen Verwaltungen und Betrieben" verwendet wurde: Grundgelegt ist die Idee bei Paulus, der im zweiten Korintherbrief von einer "Gemeinschaft des Dienstes" schreibt, so der ehemalige Kölner Dompropst Norbert Feldhoff. "Dienstgemeinschaft" bezeichnet damit ein umfassendes Leitbild für den kirchlichen Dienst. Das Verbot von Streik ist dabei nur ein Aspekt, ein partnerschaftliches, vertrauensvolles Verhältnis zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer sowie ein besonderer kirchlicher Charakter der Dienststellen gehören ebenso dazu.
Kirchen bestimmen selbst über ihr Arbeitsrecht
Rechtlich möglich ist die besondere Ausgestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts aufgrund des weitgehenden Selbstbestimmungsrechts der Kirchen, das im Grundgesetz verankert ist. "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes", heißt es im Artikel 137 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung, der ins Grundgesetz übernommen wurde.
Dieses Selbstbestimmungsrecht ermöglicht den Kirchen ein eigenes Arbeitsrecht und den sogenannten "Dritten Weg", bei dem Kommissionen die Arbeitsbedingungen partnerschaftlich festlegen, in denen zu gleichen Teilen Dienstgeber- und Dienstnehmervertreter Mitglied sind. Dies unterscheidet das kirchliche Arbeitsrecht vom "Ersten Weg", in dem Arbeitsverhältnisse einseitig vom Arbeitgeber vorgegeben werden, und vom "Zweiten Weg", bei dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer Tarifverträge aushandeln und gegebenenfalls zu Arbeitskampfmaßnahmen wie Streik und Aussperrung greifen.
Wieviel Streit verträgt der Sendungsauftrag?
Für die deutschen Bischöfe, die die Grundordnung für den kirchlichen Dienst erlassen, ist der Ausschluss von Streik wesentlich für den Sendungsauftrag der Kirche: "Für die Einrichtungen der Glaubensverkündigung und die Werke der Nächstenliebe gäbe daher die Kirche ihren Sendungsauftrag preis, wenn sie ihren Dienst den Funktionsvoraussetzungen des Tarifvertragssystems" – zu denen Streik und Aussperrung gehören – "unterordnen würde", schreiben die Bischöfe in einer 2015 veröffentlichten Erklärung. An die Stelle von Arbeitskampf soll die gemeinsame Suche von Dienstnehmern und Dienstgebern nach Konsens stehen.
Diese bischöfliche Auffassung wird nicht von allen in der Kirche geteilt. Besonders der Jesuit und Sozialethiker Oswald von Nell-Breuning hat die Idee einer Dienstgemeinschaft und das darin eingeschlossene Streikverbot immer wieder scharf kritisiert. Er sah darin einen Versuch, Interessensgegensätze theologisch zu übertünchen und so mit religiösem Vorwand Arbeitnehmer zu übervorteilen. Das "religiöse Aufladen" des kirchlichen Arbeitsrechts hielt er keineswegs für zwingend, stattdessen hoffte er darauf, dass sich die Kirche zu einer Anwendung des "Zweiten Wegs", also Tarifvertragsverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, durchringen könnte.
Katholische Soziallehre betont Streikrecht
Grundsätzlich wendet sich die Kirche auch gar nicht gegen das Streiken. Die katholische Soziallehre verteidigt das Recht, sich zu Gewerkschaften zusammenzuschließen und zum Streik als letztem Mittel des Arbeitskampfs zu greifen. In seiner Sozialenzyklika "Laborem Exercens" (1981) würdigt Johannes Paul II. die Gewerkschaften; er grenzt sich dabei deutlich vom marxistischen Weltbild des Klassenkampfes ab. Recht verstandener Arbeitskampf sei im Unterschied dazu "kein Kampf gegen andere", sondern ein Streit "im Hinblick auf das Gut der sozialen Gerechtigkeit und nicht um des 'Kampfes' willen oder um den Gegner auszuschalten". Der mittlerweile heiliggesprochene Papst betont weiter den gemeinschaftsstiftenden Charakter der Arbeit und beschreibt so eine Art "Dienstgemeinschaft" in nichtkirchlichen Betrieben, die mit einem Streikrecht vereinbar ist.
"In dieser Gemeinschaft müssen sich letzten Endes alle irgendwie zusammenfinden, sowohl jene, die arbeiten, wie auch jene, die über die Produktionsmittel verfügen oder sie besitzen", so Johannes Paul II. Er betont dabei auch, dass Streik "von der katholischen Soziallehre als eine unter den notwendigen Bedingungen und in den rechten Grenzen erlaubte Methode anerkannt" sei und Arbeitnehmern ein Streikrecht zukommt. Auch in den Katechismus hat diese Lehre Eingang gefunden: "Streik ist sittlich berechtigt, wenn er ein unvermeidliches, ja notwendiges Mittel zu einem angemessenen Nutzen darstellt", heißt es unter der Nummer 2435. Unzulässig sei er nur, wenn es zu Gewalt komme und Ziele verfolgt würden, die nicht dem Gemeinwohl oder der Gestaltung der Arbeitsbedingungen dienten.
Ausgang des Arbeitskampfs im Saarland nicht absehbar
Mit dem Gemeinwohl wird auch im Fall des Streiks in der Marienhausklinik argumentiert. Eine "unverhoffte Arbeitsniederlegung, auf die die Einrichtungen aufgrund der rechtlichen Grundlage gar nicht vorbereitet sein können", führe zu unverantwortlichen Störungen in den Abläufen des Krankenhauses, teilte die Dienstgeberseite der arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas am Montag in einer Erklärung mit. Deren Vorsitzender Norbert Altmann kritisiert darin die beteiligte Gewerkschaft: "Verdi sollte nicht so tun, als wenn es außer Warnstreiks keine Möglichkeiten gibt, den Interessen der Beschäftigten Geltung zu verschaffen." Das "konsensuale Prinzip" von paritätisch besetzten Kommissionen hätte sich bewährt; vor allem die hohe Tarifbindung – 90 Prozent der Caritas-Einrichtung seien tarifgebunden, heißt es in der Erklärung – wird hervorgehoben.
Noch ist unklar, wie viele der Beschäftigten der Marienhausklinik sich am Streik beteiligen werden – und wie ihr kirchlicher Arbeitgeber darauf reagieren wird. Ebenfalls nicht absehbar ist, wie eventuell eingeschaltete Gerichte entscheiden werden: Liegt hier einer der Fälle vor, den das Bundesarbeitsgericht 2012 als Ausnahme vom grundsätzlichen Arbeitskampfverbot gesehen hatte – oder handelt es sich auch vor einem weltlichen Gericht um einen unzulässigen Streik?