Deutsche Jesiden in Zeiten des IS-Terrors

Sicher, aber hilflos

Veröffentlicht am 30.10.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Minderheiten

Pforzheim ‐ Vanessa ist sechs Jahre alt und drückt sich in ihrer weißen Kuschelweste schüchtern an den Türrahmen. "Schön", antwortet die kleine Jesidin auf die Frage, wie sie die Schule findet. "Schön", antwortet ihr Vater Abdi Kaidi auf die Frage nach seinem Leben hier. Seit 18 Jahren lebt er in Deutschland mit Frau Ase und inzwischen sechs Kindern. "Schön", sagen auch ihre ebenfalls bestens integrierten Freunde Khairi Blasini, Hassan Dnanie und Ahmet Kurt. Aber ein bisschen Angst haben sie jetzt auch.

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Vor vielen Jahren selbst als Angehörige dieser religiösen Minderheit vor Diskriminierung und Verfolgung aus dem Irak geflüchtet, bangen sie nun um ihre dortgebliebenen Verwandten und Freunde. Denn inzwischen kontrolliert im Norden und Westen die Terrormiliz IS große Gebiete und geht brutal gegen Christen und Jesiden vor.

Ahmet Kurt hat seinen Cousin verloren, Hassan Dnanie berichtet von der Verschleppung von Frauen und Mädchen, sein Bruder hat sich mit sechs Kindern mit Mühe und Not in Sicherheit gebracht. Dnanie hat noch eine Wohnung in seinem Heimatdorf Xanke. Dort wohnen in vier Zimmern 75 Leute. Das Dorf mit seinen rund 23.000 Einwohnern ist inzwischen auf rund 100.000 Menschen angewachsen. "Alle sind in Not, sie haben nichts, außer ihren Klamotten", sagt Dnanie.

Rund 60.000 Jesiden leben in Deutschland

Der IS-Terror hat damit indirekt auch Pforzheim erreicht: Dort lebt schon lange die bundesweit größte Gruppe irakischer Jesiden. 2.500 seien es, sagt Kaidi, Vorstand des dortigen "Jesidischen Zentrums Baden-Württemberg". In ganz Deutschland gibt es nach Angaben des Zentralrats der Jesiden rund 60.000 aus verschiedenen Ländern stammende Jesiden. Per Internet, Whatsapp, Facebook und Handy halten sie Kontakt zu ihren Landsleuten und verfolgen die IS-Gräueltaten.

Bild: ©picture alliance/abaca

Mitglieder der islamistischen Terrororganisation ISIS posieren mit ihrer Flagge.

Sie sammeln Geld, organisieren Solidaritätsdemonstrationen und spenden Kleider, Decken, Medikamente für jesidische Familien in den Flüchtlingslagern. "Tag und Nacht bekomme ich Anrufe von Menschen, die nicht mehr weiter wissen", sagt Kaidi. Er wünscht sich von Deutschland mehr gezielte Unterstützung der Jesiden in den umkämpften Gebieten . Selber dort hinfahren - das traut sich von ihnen keiner mehr. Und Landsleute nach Pforzheim holen - das geht auch nicht.

Die Stadt ist ohnehin seit Jahren bei der Betreuung von Flüchtlingen am Limit, sagt Sozialbürgermeisterin Monika Müller. Seit 2008 erlebt Pforzheim einen enormen Zuzug von Jesiden. Da diese oft Analphabeten sind und gerne unter sich bleiben, ist ihre Integration sehr zeit- und kostenaufwendig. Von den rund 10.000 Hartz-IV-Beziehern, die es in Pforzheim gibt, gehört jeder Zehnte der kurdischen Volksgruppe an.

Kein Problem mit dem Islam, sondern mit Extremisten

Die blutigen Konflikte in Syrien und im Nordirak bringen nun eine neue Facette von Problemen nach Pforzheim. "Es gibt zunehmend Schwierigkeiten zwischen Muslimen und Jesiden; etwa in Schulen und auf Schulhöfen", berichtet Müller. "Teilweise wollen Muslime nicht in einem Raum sein mit Jesiden." Auch der Ärger zwischen türkischen und jesidischen Kindern nehme zu. Die Moschee-Vereine seien teilweise nicht gerade hilfreich bei der Vermittlung, deutet sie an.

Während die Polizei keine Anzeichen für zunehmenden Ärger oder gar Gewalt zwischen Muslimen und Jesiden hat, haben Kaidi und seine Freunde trotzdem oft ein mulmiges Gefühl. Mindestens 30 radikale Salafisten gebe es in Pforzheim, sagen sie. "Die treffen sich regelmäßig und zeigen sich jetzt auch mehr", berichtet Jaser, der 23-jährige Sohn Kaidis. "Wir wissen ja nicht, was denen so durch den Kopf geht", ergänzt sein Vater.

Ein Dauerproblem im Umgang mit Muslimen sehen die Jesiden in Pforzheim aber dennoch nicht. Auch der Zentralrat der Jesiden äußert sich gelassen. "Wir haben grundsätzlich kein Problem mit dem Islam, sondern eher ein Problem mit Extremisten", sagt ein Sprecher.

Von Anika von Greve-Dierfeld (dpa)