"Neuzelle ist eine wahre Oase"
Seit Ende August leben nach 200 Jahren Unterbrechung wieder Mönche im brandenburgischen Neuzelle. Vier Patres aus dem österreichischen Stift Heiligenkreuz prüfen eine dauerhafte Wiederbesiedelung des dortigen Zisterzienserklosters. Im Interview mit katholisch.de spricht der Prior der kleinen Gemeinschaft, Pater Simeon Wester, über den Neustart in Neuzelle, das Leben in der ostdeutschen Diaspora und die drängendsten Fragen, die mit Blick auf die Wiederbesiedelung gelöst werden müssen.
Frage: Pater Simeon, seit zwei Monaten leben Sie gemeinsam mit drei Mitbrüdern in Neuzelle. Wie unterscheidet sich Ihr Leben in Brandenburg von Ihrem vorherigen Leben im österreichischen Stift Heiligenkreuz?
Wester: Der Unterschied bemisst sich vor allem an der Größe der Gemeinschaft. Hier in Neuzelle sind wir derzeit noch zu viert, in Heiligenkreuz waren wir dagegen Teil einer sehr großen Gemeinschaft mit fast 100 Brüdern. Dadurch fielen dort im Alltag teilweise ganz andere Aufgaben an – zum Beispiel an der Theologischen Hochschule oder bei der Erziehung des Ordensnachwuchses. Ansonsten aber sind die Unterschiede nicht sonderlich groß, weil unser Tagesablauf hier in Neuzelle durch die Gebetszeiten in gleicher Weise strukturiert wird.
Frage: Wie hat man sich einen typischen Tagesablauf von Ihnen in Neuzelle vorzustellen?
Wester: Wir versuchen das zu tun, was Mönche tun sollen: Der heilige Benedikt von Nursia sagt, dass wir beten, arbeiten und uns in die Heilige Schrift vertiefen sollen. Das Gebet feiern wir hier in Neuzelle im Chorgestühl der Stiftskirche, beginnend mit den Vigilien um 5 Uhr morgens und endend mit der Komplet abends um 20 Uhr. Und zwischen den Gebetszeiten erledigen wir die Arbeiten, die anfallen – das sind derzeit vor allem organisatorische Angelegenheiten sowie die Dinge, die im häuslichen Bereich zu tun sind. Außerdem haben wir bereits einige pastorale Aufgaben übernommen: Ein Mitbruder arbeitet als Religionslehrer in der örtlichen Grundschule, ein anderer Bruder ist in der Pfarrei tätig.
Frage: Sie haben gesagt, dass sich Ihr Alltag in Neuzelle kaum verändert hat. Einen großen Unterschied dürfte aber doch wohl das Umfeld ausmachen: Vom katholisch geprägten Niederösterreich hat es Sie in die ostdeutsche Diaspora verschlagen...
Wester: Auch dieser Unterschied ist eher gering. Ob sie in Österreich sind oder in Ostdeutschland oder anderswo: Die Glaubensnot einerseits und der Hunger nach Antworten auf die Sinnfrage andererseits sind mittlerweile überall ähnlich groß. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich habe hier in Neuzelle bereits geistliche Gespräche mit sogenannten Atheisten geführt, die wesentlich länger und tiefergehend waren als in pastoralen Aufgaben, in denen ich an anderen Orten eingesetzt war.
Frage: Bevor Sie nach Brandenburg gekommen sind, hatten Sie wahrscheinlich ein Bild von der Region und den hier lebenden Menschen vor Augen. Hat sich dieses Bild bisher bestätigt?
Wester: Eindrücklich ist mir vor allem unsere Fahrt nach Neuzelle in Erinnerung: Über weite Strecken fährt man durch weitgehend unbewohnte Gegenden, ehe man plötzlich in diesem Kleinod ankommt. Neuzelle ist eine wahre Oase – die Architektur und das geistliche Flair sind schon etwas ganz Besonderes. Und seitdem wir hier leben, ist mir noch einmal stärker bewusst geworden, wie sehr dieser Ort und die ganze Mark Brandenburg zisterziensischen Ursprungs sind. Wir wollen mit unserer kleinen Gemeinschaft versuchen, an diese 800-jährige Tradition anzuknüpfen – und wir hoffen, dass der Herr uns die Gnade dazu schenkt und das Vorhaben gelingt.
Frage: Ziel Ihres Engagements in Neuzelle ist die Errichtung eines Priorats, also eines eng mit Heiligenkreuz verbundenen Klosters. Was sind auf dem Weg dorthin die nächsten konkreten Schritte?
Wester: Die Frage der Errichtung des Priorats hängt maßgeblich davon ab, ob die Verhandlungen zwischen dem Bistum Görlitz und den staatlichen Stellen – allen voran natürlich der Stiftung Stift Neuzelle, der das gesamte Klostergelände gehört – gelingen und zu einem guten Ende geführt werden können. Entscheidend ist, ob auf dem Klostergelände ein Ort gefunden werden kann, an dem wir dauerhaft bleiben können. Und wenn das gelingt, bleiben wir auch hier.
Frage: Sie sprechen es an: Die zentrale Frage ist, wo Sie und Ihre Mitbrüder auf Dauer wohnen können. Derzeit leben Sie im katholischen Pfarrhaus direkt neben der Stiftskirche – allerdings sind die räumlichen Möglichkeiten dort sehr begrenzt. Wenn Sie entscheiden könnten: Wo würden Sie künftig am liebsten wohnen?
Wester: Ich denke, dass es bei der Beantwortung dieser Frage viele Möglichkeiten gibt. Natürlich wäre es schön, wenn man eine Unterkunft in der Nähe der Kirche finden würde; das ist eine gewisse Notwendigkeit. Außerdem sollte genug Platz vorhanden sein, um Gäste empfangen und als Gemeinschaft weiter wachsen zu können. Aber noch einmal: Es gibt viele denkbare Varianten, und wir müssen abwarten, wie Bistum und Stiftung diese Frage beantworten.
Frage: Haben Sie denn Sorge, dass das Projekt der Wiederbesiedelung des Klosters noch scheitern könnte?
Wester: Wir haben unsere Aufgabe hier mit großer Hoffnung und großer Freude begonnen, und wir spekulieren nicht, ob das Projekt misslingen kann. Grundsätzlich wissen wir, dass alles im Leben schiefgehen kann, aber natürlich sind wir nicht mit einer solchen Haltung an diesen Neustart herangegangen.
Frage: Welche Erfahrungen haben Sie denn bisher mit den Menschen in Neuzelle gemacht? Mit ihrem schwarz-weißen Habit sind Sie ja schon von weitem erkennbar...
Wester: Die Reaktionen aus der Bevölkerung sind überwiegend freundlich und positiv. Dass man vereinzelt auch Ablehnung erfährt, ist kein Spezifikum dieses Ortes, das erlebt man auch anderswo.