Pater Martin Werlen über seine Bahngleichnisse und den Lokführerstreik

"Im Zug begegnet man der Welt"

Veröffentlicht am 07.11.2014 um 00:00 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 
Bahnstreik

Einsiedeln ‐ Als bahnfahrender Benediktiner wurde er bei Twitter bekannt: Pater Martin Werlen. Unter @MoenchMartin twittert er bis heute immer wieder auch zu seinen Erlebnissen mit der Bahn. Ein Gespräch über die Faszination des Bahnfahrens und den Streik der Lokführer.

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Frage: Pater Martin, bei Benediktinern denkt man zunächst eher an die Ortsgebundenheit als ans Bahnfahren...

Pater Martin: Von der Ortsgebundenheit sagt der heilige Benedikt eigentlich nichts in seiner Regel, er spricht von Stabilität in der Gemeinschaft. Und zur Gemeinschaft hat seit jeher auch dazugehört, in ihrem Auftrag unterwegs zu sein. In der Mönchsregel stand vor 1.500 Jahren schon, dass man für die Reise besondere Kleider bekommt.

Frage: Und heute gehört zu dieser besonderen Ausrüstung anscheinend auch das Smartphone. Wie kam es zu Ihrem ersten Bahngleichnis auf Twitter?

Pater Martin: Ich war unterwegs im Zug, habe eine Beobachtung gemacht und die in Form eines Gleichnisses gebracht. Das hat viele positive Reaktionen ausgelöst. Bei Twitter ist es nicht möglich, lange Texte zu schreiben, man muss Dinge auf den Punkt bringen in weniger als 140 Zeichen. Das hat mich fasziniert! Das ist Herausforderung auch für die Kirche: Wir müssen lernen, das was wir sagen wollen, auf den Punkt zu bringen. Wenn ich nicht fähig bin, eine Predigt in einer Botschaft von wenigen Zeichen zusammenzufassen, dann ist die Predigt nicht gut. Auch ein Buch taugt nichts, wenn ich es nicht so kurz zusammenfassen kann.

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Frage: Die Bahngleichnisse haben ihre Adressaten gefunden. Mittlerweile ist das Buch, das sie sammelt, in der dritten Auflage erschienen. Wie erklären Sie sich den großen Erfolg?

Pater Martin: Viele Menschen sind mit der Bahn unterwegs und merken plötzlich, wenn sie so etwas lesen: Ja, das stimmt eigentlich. Zum Beispiel das Bahngleichnis "Wer im Auto unterwegs ist, bleibt in seinen eigenen vier Wänden. Wer im Zug reist, begegnet der ganzen Welt." Das sind Erfahrungen, die Menschen machen, die mit der Bahn unterwegs sind. Der wichtigste Grund ist sicher, dass Leute ihre eigenen Erfahrungen hier auf den Punkt gebracht finden. Das spricht an. Meine Absicht war auch, dass Leute, die das lesen, selber animiert werden, mit offenen Ohren und Augen durchs Leben zu gehen, wie es der heilige Benedikt uns Mönchen ans Herz legt - weil hinter allem Oberflächlichen jemand ist: Gott. Das Buch soll auch Menschen anregen, solche Dinge wahrzunehmen und auf den Punkt zu bringen.

Zur Person

Pater Martin Werlen OSB (52) lebt seit 1984 in der Benediktinerabtei Maria Einsiedeln. Von 2001 bis 2013 war er der 58. Abt des Klosters.

Frage: In Deutschland streiken gerade die Lokführer. Man hat den Eindruck, dass jetzt die Fronten so verhärtet sind, dass ein Bahngleichnis allen Beteiligten guttun würde. Welches Bahngleichnis geben Sie den Streikenden und den davon Betroffenen mit?

Pater Martin: Als ich vom Streik gehört habe, habe ich ein Bahngleichnis geschrieben: "Wenn die Bahn nicht fährt, bringt das viele in Fahrt." Das muss Bewegung auslösen. Die Leute sollen nicht einfach grollen, sondern versuchen zu verstehen, warum gestreikt wird. Und alle Seiten müssen auch versuchen, Lösungen zu finden, die allen gerecht werden - das ist eine große Herausforderung. Da kann ein Bahngleichnis hilfreich sein, weil es eine Botschaft ist, die mehr sagt, als sie vordergründig zur Sprache bringt.

Frage: Und die Bahngleichnisse transportieren ihre Botschaft auch mit Humor.

Pater Martin: Ja, wir brauchen Humor. Für mich ist Humor, wenn man trotzdem liebt. Trotzdem lachen, das kann man auch sarkastisch oder zynisch. Aber trotzdem lieben, das heißt: Sich der Situation stellen, die unangenehm ist, und weitersehen. Oder als Bahngleichnis: "Selbst ein verpasster Zug birgt neue Chancen".

Von Felix Neumann