Gastbeitrag des Mainzer Weihbischofs Udo Markus Bentz

Allerheiligen: Eine Hoffnung nicht nur für Auserwählte

Veröffentlicht am 01.11.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Mainzer Weihbischof Udo Bentz
Bild: © KNA
Allerheiligen

Mainz ‐ Sieht der Christ dem Tod auf andere Weise ins Auge als nicht- oder andersgläubige Menschen? In seinem Gastbeitrag zu Allerheiligen geht der Mainzer Weihbischof Udo Bentz dieser Frage nach.

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In einem Reisebericht über Mexiko las ich von skurrilen Riten und von - für unseren Kulturraum - merkwürdigen Bräuchen rund um den Feiertag Allerheiligen. An diesen Tagen sind in den Auslagen der Bäckereien Marzipansärge und Totenschädel als süßes Gebäck zu finden. Am Abend von Allerheiligen gibt es eine Kindermaskerade, die Gräber der Friedhöfe sind über und über mit Kerzen geschmückt und vor den Friedhöfen werden für dieses Fest eigens Karusselle aufgebaut: mehr fröhlicher Jahrmarkt als Totengedenktag. An diesem Tag grüßt man sich gegenseitig mit dem Gruß: "Einen frohen Totentag!"

Zugegeben: Solche mexikanische Toten-Folklore ist nicht gerade nach meinem Geschmack. Aber ich muss anerkennen, dass dieses Brauchtum eigentlich eine sehr ursprüngliche Hoffnungskraft, ja sogar festliche Freude ausdrückt: Die Toten werden mit einem eigenen Fest in die Lebenswelt der Lebenden geholt. Der Tod wird nicht tabuisiert und nicht verdrängt.

Ein notwendiger und heilsamer Brauch

Bei uns in Deutschland nimmt hingegen die Zahl der Anonym-Beerdigungen und der Beisetzung von Verstorbenen auf anonymen Grabfeldern stark zu. Damit wird eine andere Botschaft transportiert: Mit dem Tod soll es keinen Ort mehr geben, der an das Leben des Verstorbenen mahnt oder erinnert. Hat der Tod keinen Platz in einer Gesellschaft, die mit beiden Händen das volle Leben ausschöpfen will? Man sucht das pralle Leben und spürt dennoch unweigerlich: Ich kann mich noch so sehr gegen die Vergänglichkeit stemmen, dennoch rieselt die Zeit und das Leben wie Sand durch die Hände und kann nicht festgehalten werden. Wem der Glaube an ein Leben über den Tod hinaus schwerfällt, für den kann der Gedanke an den Tod unerbittlich und unerträglich werden.

Und wie ist das für denjenigen, der an die christliche Hoffnung der Auferstehung glaubt? Sieht der Christ dem Tod auf andere Weise ins Auge? Vielerorts gehört am Festtag von Allerheiligen oder an Allerseelen der Gang zu den Gräbern unserer verstorbenen Angehörigen dazu. Es ist ein uralter Brauch, der – davon bin ich überzeugt – heute mehr denn je notwendig und heilsam und gut ist. Oft finden an diesem Tag Familien, Freuende und Verwandte zusammen und erinnern sich und nehmen so ihre verstorbenen Angehörigen mit hinein ins Leben und weichen der Tatsache des Todes nicht aus.

Bild: ©KNA

Viele Menschen besuchen in den Tagen um Allerheiligen und Allerseelen die Gräber ihrer Angehörigen. Für Weihbischof Bentz ist dieser Brauch heute notwendiger denn je.

Natürlich kämpfen auch Christen mit der unausweichlichen Tatsache des Todes. Auch Christen spüren das Unbehagen vor dem großen Nichts, vor dem Hinaustreten und dem Hinübergehen ins völlig Unbekannte, denn trotz aller technischen und medizinischen Möglichkeiten haben wir keine letzte verlässliche Auskunft über das Jenseits der Schwelle. Auch Christen lehnen sich gegen den Tod auf, weil niemand glauben will und kann, dass alles, was das Leben ausgemacht hat, das Lebenswerk, die Beziehungen, alles, was so sinnvoll und sinnstiftend war, plötzlich ins Nichts zerfallen soll. Der Mensch wehrt sich gegen den Tod, denn: Liebe und Sehnsucht verlangen nach Ewigkeit. Daraufhin ist der Mensch angelegt – egal ob er mit oder ohne christliche Hoffnung lebt. Und dennoch: Sieht der Christ dem Tod auf andere Weise ins Auge?

Es ist kein Zufall, dass Allerheiligen vor Allerseelen gefeiert wird. Bevor wir unserer Toten gedenken, soll unser Blick geweitet werden. Im Bild gesprochen: Es ist wie mit dem Zoom einer Kamera. Mit dem Fest Allerheiligen wird der Fokus geweitet – der Zoom wird tatsächlich auf "unendlich" gestellt. Damit bekommt das Gedenken an die Toten die rechte Gewichtung. Mit Allerheiligen feiert die Kirche die österliche Hoffnung auf ein Leben bei Gott über den Tod hinaus. Bevor man also an Allerseelen der Toten gedenkt, werden Ziel und die Hoffnung über den Tod hinaus in den Blick genommen. Die Botschaft von Allerheiligen heißt: Jeder darf hoffen und vertrauen, dass sein Leben nicht ins sinnlose Nichts zurückfällt, sondern dass dem Menschen im Tod von Gott her Erfüllung und Vollendung eines unvollkommenen Lebens ermöglicht wird – wenn er sich diesem Gott des Lebens anvertraut. Jesus Christus, der erste von den Toten Auferstandene, ist der Grund dieser Hoffnung.

Kein Fest nur für Eliten

Dabei ist Allerheiligen eben kein Fest nur für Eliten: Dieses Leben bei Gott ist nicht nur einer exklusiven Zahl Auserwählter vorbehalten. Dieses Leben bei Gott ist nicht der Lohn für außerordentliche Leistungen, es ist Verheißung für alle, für die unüberschaubare Vielzahl aller, die ihr Leben in Gott vollendet haben. Der Glaube ist kein ethischer Hochleistungssport. Der Glaube fordert keine außergewöhnlichen moralischen Leistungen. Glaube ist das schlichte Vertrauen: Dieser Gott, der sich in Jesus Christus gezeigt hat, ist ein Gott des Lebens. Er hat den Tod überwunden und kann unserem endlichen, unvollkommenen Leben Vollendung geben über den Tod hinaus. Wer sein Leben diesem Gott anvertraut und sein Leben nach ihm ausrichtet, dem gilt, was das Evangelium sagt: "Freut euch und jubelt, euer Lohn im Himmel wird groß sein…" (Mt 5,11).

Wer von diesem Ziel her auf das Leben und den Tod schaut, gewinnt eine neue Perspektive. Allerheiligen und Allerseelen sind echte Hoffnungstage. Die geschmückten Gräber, die Lichter, die Segnung der Gräber und der Besuch auf dem Friedhof sind zwar weitaus nüchterner als das Brauchtum um Allerheiligen in Mexiko. Aber hier wie dort gibt es wirklich etwas zu feiern – nämlich die Hoffnung auf Leben über den Tod hinaus.

Von Udo Markus Bentz

Der Autor

Udo Markus Bentz (* 3. März 1967) ist seit 2015 Weihbischof sowie seit 2017 Generalvikar des Bistums Mainz.