Ein aufrechter Zeuge Jesu Christi
Am 21. Mai 2017 läuteten alle Glocken in der russischen Hauptstadt Moskau. Mit militärischen Ehren und in großer Prozession wurden die Reliquien des Heiligen Nikolaus vom Flughafen zur Christus-Erlöser-Kathedrale übertragen und dort vom Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche Kyrill empfangen und verehrt. Seit dem Jahr 1087 werden die Gebeine des großen Heiligen ununterbrochen in der apulischen Stadt Bari in Italien aufbewahrt, die dorthin gelangten, nachdem Kaufleute sie aus Myra, dem heutigen Demre in der Türkei, aus Furcht vor seldschukischen Muslimen wegschafften.
In seiner Gestalt verbindet Nikolaus von Myra Orient und Okzident. Und in diesem Jahr war er das Zeichen der Ökumene von Ost- und Westkirche, denn er wird in beiden Kirchen hochverehrt. Als die Reliquien Ende Juli wieder nach Bari zurückkehrten, hatten rund 2,5 Millionen Menschen in Moskau und St. Petersburg zum Teil lange Wartezeiten auf sich genommen, um wenigstens einen kurzen Moment dem großen Heiligen nahe sein zu können und seine Hilfe in all den unzähligen Anliegen von Menschen zu erflehen.
Bogen zum Konzil von Nicäa
Möglich wurde dieses ökumenische Ereignis nach dem Treffen von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill in Havanna am 12. Februar 2016, wo sich zum ersten Mal überhaupt ein russischer Patriarch und ein Pontifex Maximus begegneten. Und so heißt es in ihrer gemeinsamen Erklärung: "Wir danken Gott, der in der Dreifaltigkeit verherrlicht ist, für diese Begegnung, die erste in der Geschichte". Der Heilige Nikolaus vertieft diese Begegnung, weil gerade dieser Heilige zur Einheit mahnt. Und so bitten Papst und Patriarch die Christen in Ost und West, "sich im gemeinsamen Zeugnis für Christus und das Evangelium zu vereinen, so dass Europa seine Seele bewahrt, die sich in zweitausend Jahren christlicher Tradition gebildet hat". Fast scheint es, die Reise des Heiligen Nikolaus von Bari nach Russland und die vielen jungen Menschen, die dort kamen, um ihn zu verehren, erfüllen die Worte der Erklärung mit Leben, wenn es heißt: "Habt keine Angst, gegen den Strom zu schwimmen, wenn ihr die Wahrheit Gottes verteidigt, der sich die heutigen weltlichen Normen durchaus nicht immer angleichen".
Linktipp: Der Heilige, den jeder kennt
Einer der beliebtesten Heiligen ist Nikolaus. Seinen Gedenktag am 6. Dezember kennt wohl buchstäblich jedes Kind. Und das Brauchtum drumherum ist aus der Vorweihnachtszeit nicht wegzudenken.Darüber hinaus spannt sich der Bogen, den der Heilige Nikolaus bietet, bis hin zum ersten Konzil von Nicäa im Jahr 325, an dem der Bischof von Myra teilgenommen hat und wo das bis heute in allen christlichen Kirchen und Gemeinschaften gültige Glaubensbekenntnis festgelegt wurde. Der Glaube an die "eine, heilige, katholische und apostolische Kirche" verlangt danach, die Einheit zu wahren und zu erneuern, "ut omnes unum sint – damit alle eins seien" (Joh 17,21). Der Papst als Bischof der Kirche von Rom führt nach einem Wort des Heiligen Ignatius von Antiochien "den Vorsitz in der Liebe" (Brief an die Römer, Prolog). Der Nachfolger des Heiligen Petrus ist "das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit" (Lumen Gentium, 23). Der Heilige Vater Franziskus ermuntert die Christen immerfort dazu, lebendige Glieder am Leib Christi zu sein, eifrige Zeugen für Jesus Christus und überzeugende Missionare seines Evangeliums.
Viele Legenden ranken sich um den Heiligen Nikolaus, die zwar historisch nicht nachzuweisen sind, aber dennoch das Wesen dieses Heiligen auf schöne Weise beleuchten und gleichsam eine Katechese über den guten und barmherzigen Gott sind, dem er sein Leben geweiht hat. Eine Wundererzählung beschreibt, wie der Heilige Nikolaus in einer Hungersnot von einem mit Getreide beladenen Schiff, das unterwegs zum Kaiser nach Byzanz war, einen Teil des Korns von den Seeleuten erbat. Zunächst weigerten sie sich. Erst als Nikolaus versprach, es würde ihnen nichts von der Ladung fehlen, wenn sie die Hauptstadt erreicht hätten, gaben sie ihm. Tatsächlich wurde ihr Vertrauen nicht enttäuscht. In Byzanz fehlte kein Gramm am Gewicht der Ladung. In Myra hingegen reichte das Korn für zwei Jahre und für die Aussaat. In einer anderen Überlieferung rettete der Heilige drei junge Mädchen vor der Prostitution, indem er für ihre Aussteuer sorgte, die er nachts in Gestalt von Goldklumpen in ihr Zimmer warf. Noch viele andere Geschichten erzählte man sich von diesem im wahren Sinne legendären Heiligen aus Myra. Sie alle zeigen uns den Bischof Nikolaus als Helfer in der Not, als Fürsprecher in Todesgefahr und als aufrechten Zeugen Jesu Christi.
In unseren Tagen möge der Heilige Nikolaus ein mächtiger Fürsprecher sein, wenn es darum geht, den Hunger in der Welt zu besiegen. 815 Millionen Menschen weltweit, vor allem aber in Afrika und Asien, leiden nach Angaben der Vereinten Nationen im Jahr 2017 unter Hunger. Die Zahl ist in diesem Jahr erstmals seit 1990 wieder gestiegen. Die Gründe dürften im Klimawandel und den Kriegs- und Krisensituationen liegen. Denken wir im Vergleich dazu an die Verschwendung von Lebensmitteln in den Industrieländern, so sehen wir die zwei Seiten der Medaille eines Skandals. Der Hunger in der Welt darf nicht als eine "unheilbare Krankheit" dargestellt werden, wie der Heilige Vater Franziskus bei seinem Besuch der Welternährungsorganisation (FAO) am 16. Oktober in Rom sagte. Bei dieser Gelegenheit legt er die Frage vor: "Ist es übertrieben, daran zu denken, die Kategorie der Liebe in die Sprache der internationalen Beziehungen einzuführen, die als Selbstlosigkeit, Gleichheit im Umgang, Solidarität, Kultur des Gebens, Brüderlichkeit und Barmherzigkeit zu verstehen ist?"
Das Licht des Nikolaus reicht bis in unsere Tage
Wie nötig die Wunder des Heiligen Nikolaus auch heute sind, zeigen andere Zahlen, besonders jene mit Blick auf die neuen Formen der Sklaverei. Gegenwärtig gibt es nach einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, etwa 40 Millionen Menschen weltweit, die in verschiedenen Formen versklavt sind. Im Jahr 2016 wurden davon 25 Millionen durch harte Arbeit ausgebeutet und 15 Millionen in eine Ehe gezwungen. 29 Millionen Frauen werden vor allem in der sogenannten Sexindustrie ausgebeutet.
Das Fest des Heiligen Bischofs von Myra am 6. Dezember fällt in die Adventszeit, die Zeit der Erwartung und des Wartens auf das hohe Weihnachtsfest. Zur dunkelsten Stunde des Jahres feiern wir, daß in Jesus Christus das Licht in die Welt gekommen ist, "das jeden Menschen erleuchtet" (Joh 1,9). Der Heilige Nikolaus ist einer jener Menschen, die erleuchtet waren und dessen Licht bis in unsere Tage reicht. Und so wollen wir an seinem Festtag mit der Kirche beten: "Gott, du Spender alles Guten, ... gib uns ein großmütiges Herz, damit wir anderen schenken, was wir empfangen, und den Weg des Heiles ungehindert gehen".