Den Tod beständig vor Augen
Zu den wichtigsten Tagen gehört für Friedhofsgärtner der 1. November. "An Allerheiligen muss alles picobello sein", sagt Wolfgang Welling. Während er erzählt, geht er an den Gräbern des Friedhofs in Münster-Kinderhaus entlang, gleich nebenan liegt seine Gärtnerei. Welling prüft die Heidegewächse und Gräser. Ein Bagger fährt an ihm vorbei und hält an einem offenen Grab am Ende der Reihe. "Es wird mit Sandboden gefüllt", erklärt der Friedhofsgärtner. "Dazu werden wir auch alle irgendwann, von uns bleibt nichts übrig." Welling ist er bei jeder Beerdigung dabei. Er hebt das Grab aus, geht nach dem Gottesdienst vor den Sargträgern her, füllt das Grab wieder mit Erde und schmückt es mit den Gestecken und Kränzen der Hinterbliebenen.
In seinem Beruf begegnet er täglich dem Tod. Beschäftigt er sich deshalb auch stärker mit dem Thema? "Ich denke vielleicht früher als andere darüber nach", sagt Welling. Jeder Mensch müsse sich aber irgendwann damit auseinandersetzen, spätestens nach dem Tod der eigenen Eltern: "Dann spürt man, dass man irgendwann selbst dran ist, als nächste Generation."
Der Friedhof als Ort der Begegnung
Seit 1970 gibt es die Gärtnerei Welling . Im Jahr 2000 hat Wolfgang Welling den Betrieb von seinem Vater übernommen. Der heute 43-Jährige kümmert sich seitdem um 15 Mitarbeiter, darunter drei Auszubildende. Auch seine Ehefrau arbeitet im Familienbetrieb. Dass der Sohn das Lebenswerk seines Vaters weiterführt, war so vorgesehen. Doch während seiner Ausbildung zum Gärtner stellte Welling fest, dass der Beruf auch wirklich genau das richtige für ihn ist. Einige Jahre hat er in Bayern gearbeitet; dann ging es zurück ins Münsterland.
Sein Friedhof ist für Welling ein Ort der Begegnung. "Wenn nach 50 Jahren Ehe der Partner stirbt, ist der Mensch zwar weg, aber in bestimmter Weise noch da", sagt er. Auf einer anderen Ebene könne der Hinterbliebene ihm neu begegnen: "Das Grab ist ein Ort, an dem ich mit dem geliebten Menschen wieder zusammen sein kann." Anfangs gingen die meisten Angehörigen öfter zum Grab, um die Trauer zu bewältigen , erzählt Welling. "Aber dann muss das Leben weitergehen." Hauptsache, man vergesse den Menschen nicht. Es sei doch aber positiv, wenn die Trauernden sich wieder öffneten fürs Leben: "Das wäre traurig, wenn jemand sich nur noch wünscht, selbst zu sterben."
Der Umgang mit dem Verlust ist niemals einfach. "Jeder Tod ist schmerzhaft", sagt Welling. "Aber wenn ein junger Mensch mitten aus dem Leben gerissen wird, dann ist es so still im Gottesdienst, dass man ein Blatt Papier fallen hört." In solchen Situationen ist Welling persönlich betroffen, auch wenn er dabei die nötige Distanz wahrt. "Manchmal habe ich selbst schon geweint, aber man darf nicht verzweifeln, das nicht zu nah an sich ranlassen."
Blau-weiße Nelken für Schalke-Fan
Manche Beisetzungen kann er dennoch nicht vergessen: Zum Beispiel die einer Frau aus Ghana. Sie starb jung und hinterließ zwei kleine Kinder. Auf der Beerdigung sang ein Gospelchor, die Kirche war beleuchtet und jemand filmte mit einer Kamera den Gottesdienst. Er erlebte einen für ihn fremden Umgang mit dem Tod. Doch das Erlebnis hat ihn tief berührt: "Ich habe eine Gänsehaut bekommen", sagt Welling.
Im Berufsalltag erlebt der Friedhofsgärtner verschiedene Arten der Beisetzung. Die meisten Menschen würden sich vor ihrem Tod Gedanken darüber machen. Dennoch gebe es in der Gesellschaft Skrupel im Umgang mit dem Sterben. "Früher wurde der Leichnam im besten Zimmer aufgebahrt. Alle konnten sich noch einmal verabschieden", sagt Welling. Heute werde möglichst schnell der Sargdeckel zugeklappt: "Die Bestattungskultur hat sich geändert."
Was besondere Wünsche für die eigene Beerdigung angeht, erlebt Welling oft Kuriositäten. Ein Schalke-04-Fan wollte blau-weiß Nelken als Sarggesteck; die Trauergemeinde trug zur Beerdigung Schalke-Trikots. Einer von ihnen entdeckte eine gelbe Blume zwischen den blau-weißen. "Das geht aber so nicht", habe er mit einem Augenzwinkern zu Welling gesagt. "Gelb steht doch für den BVB!" Solche Erlebnisse hätten ihm gezeigt, dass man auch eine eigentlich traurige Situation mit Humor nehmen könne.
Beruf mit Zukunft
Für Ausgleich sorgt Welling mit seinen Hobbies: In seiner Freizeit engagiert er sich ehrenamtlich beim Sportclub Westfalia Kinderhaus. Er geht laufen, spielt Badminton und Fußball, kümmert sich um seine beiden Töchter. Oft ist er nach Feierabend noch zwei Stunden im Büro und erledigt Papierkram. Er liebt seinen Beruf und nimmt die vielen Überstunden dafür in Kauf.
Die Arbeit des Friedhofsgärtners ist laut Welling eine besondere Dienstleistung. "Wenn man Angehörige sensibel begleitet, spürt man viel Dankbarkeit und lernt viel von den Menschen kennen." Für Welling ist es auch ein Beruf mit Zukunft. "Man hat mit Menschen, Erde, Pflanzen und Tieren zu tun", sagt er. Das hält er für eine große Chance, gerade in einer Zeit, in der immer mehr "mit Bildschirmen kommuniziert wird". Als Friedhofsgärtner könne man sich nicht hinter dem Smartphone verstecken, man müsse sich der Wirklichkeit zuwenden: "Friedhofsgärtner sind bodenständige, bescheidene und hart arbeitende Menschen".
Von Claudia Schwarz